Nach der Trennung der Eltern beginnt oft das Gezerre um den Nachwuchs. Foto: Fotolia

Rund 200.000 Kinder müssen jedes Jahr in Deutschland die Trennung ihrer Eltern verkraften. Der Streit um den Nachwuchs wird immer häufiger mit allen Mitteln geführt.

Rund 200.000 Kinder müssen jedes Jahr in Deutschland die Trennung ihrer Eltern verkraften. Der Streit um den Nachwuchs wird immer häufiger mit allen Mitteln geführt.

Stuttgart - Es ist wie Krieg. Einer, bei dem es nur Verlierer gibt. Bei dem die Beteiligten vergessen zu haben scheinen, dass sie einmal keine Gegner gewesen sind. Sondern eine Familie. Doch das scheint lange her. Unendlich lange. Jetzt geht es nur noch darum, Recht zu haben. Sich durchzusetzen. Und welches größere Druckmittel könnte es am Ende einer Beziehung geben als die Kinder.

Als Elke Busch (alle Namen geändert) vor einigen Jahren ihren Partner kennen lernt, scheint alles in bester Ordnung. Bald wird sie schwanger. An diesem Donnerstag trifft sie ihn vor Gericht. Es muss entscheiden, wie der weitere Umgang des gemeinsamen Sohnes Sandro mit dem Vater geregelt wird. Dazwischen liegen Strafanzeigen, Besuche beim Jugendamt, gegenseitige Beschuldigungen und dutzende Beteiligte. Wenn die Betroffenen die Geschichte erzählen, könnte man meinen, es sei nicht dieselbe.

„Schon während der Schwangerschaft hat mein Partner mich geschlagen“, sagt Elke Busch. Auch den Sohn habe er später vor Zeugen getreten. Nach der Trennung habe er sich ihrem Haus behördlich angeordnet wochenlang nicht nähern dürfen, erzählt sie und zeigt eine entsprechende Verfügung und Arztatteste. Der laut Polizei mehrfach wegen Gewaltdelikten vorbestrafte Mann habe sie am Telefon terrorisiert, immer wieder gesagt, dass er das Kind nicht wolle und sogar schriftlich angeboten, gegen die Zahlung von mehreren Tausend Euro auf die Vaterschaft am gemeinsamen Söhnchen zu verzichten. Trotz dieser Vorgeschichte habe ein Gericht den begleiteten Umgang mit dem Vater angeordnet. Weil es besser sei fürs Kind.

„Er hat Angst vor ihm und schreit danach nachts wie am Spieß“

Seither sehen sich Sandro und sein Vater unter Aufsicht alle paar Wochen. Die Folgen sind laut der Mutter verheerend: „Er hat Angst vor ihm und schreit danach nachts wie am Spieß.“ Inzwischen habe das Kind einen Tinnitus als psychische Folge, werde immer wieder aggressiv und sei in Behandlung beim Psychotherapeuten. Stehe der nächste Termin bevor, weigere sich der Kleine, aus dem Auto auszusteigen. Er sei sogar schon von der zuständigen Umgangspflegerin bei seinem leiblichen Vater eingeschlossen worden, damit er nicht fliehen könne. Das bestätigt auch der neue Partner der jungen Frau und erwägt eine Anzeige.

„Die beiden irren sich sehr“, sagt dagegen die Umgangspflegerin und empfiehlt dem Gericht weitere Treffen. Ein Umgangspfleger wird auf Anordnung des Gerichts bestellt, wenn von familiären Problemen auszugehen ist. Sandro wolle zum Vater und habe überhaupt keine Probleme, sagt sie. Dieser Meinung ist auch der leibliche Vater selbst. „Elke hat Hirngespinste“, behauptet er. Gewalt sei nie im Spiel gewesen. „Sandro mag mich und das sieht sie. Ihre größte Angst ist, dass er sich an mich gewöhnen könnte.“ Er müsse jedes Mal um den Umgang kämpfen, obwohl ein Gericht ihn angeordnet habe. Es sei unfassbar, was sich abspiele. „Und das Schlimmste daran ist: Der Kleine bekommt den ganzen Krieg zwischen uns mit.“

Zwei Versionen derselben Geschichte. Das zuständige Jugendamt äußert sich nicht zu dem Fall. Sicher ist nur: Ein vierjähriger Junge bleibt dabei auf der Strecke.

Damit ist er nicht allein. 2012 haben sich in Deutschland allein über 179.000 Ehepaare scheiden lassen. 143.000 Kinder mussten diesen Schlag verkraften. Schätzungen gehen davon aus, dass inklusive aller anderen Trennungen rund 200.000 Jungen und Mädchen pro Jahr miterleben müssen, dass Mutter und Vater nicht mehr miteinander leben wollen. Etwa 90 Prozent der Kinder bleiben danach bei der Mutter.

Unter Trennung leiden betroffene Kinder gesundheitlich und sozial

Die Trennung ist eine schwere Erfahrung. Studien haben längst nachgewiesen, dass die betroffenen Kinder gesundheitlich und sozial darunter leiden. Doch diese Folgen können enorme Ausmaße annehmen, wenn der Nachwuchs zum Spielball zwischen verfeindeten Eltern wird. Fachleute bezeichnen solche Kinder als Hochrisikogruppe für Depressionen und Aggressionen.

„Die hoch strittigen Fälle nehmen deutlich zu“, sagt Cordula Lasner-Tietze vom Deutschen Kinderschutzbund. Wenn ehemalige Partner in einem solchen Streit sind, gehe es oftmals nur noch ums Rechthaben. Der Blick richtet sich immer weniger auf die betroffenen Kinder. „Manche Familien befinden sich anschließend ihr ganzes Leben lang in solch hoch strittigen Konflikten und kommen zu keiner Lösung“, weiß die Expertin, „damit riskieren sie ihre eigene Gesundheit und die ihres Kindes.“

„Keiner fragt nach dem Kind“, sagt Sandros Mutter. Sie und ihr früherer Partner bezichtigen sich gegenseitig, psychisch krank zu sein. Der neue Lebensgefährte sagt: „Wir wissen nicht mehr, was wir noch tun sollen. Keiner will uns helfen. Der Kleine geht kaputt.“ Und das, obwohl mittlerweile Dutzende Beteiligte involviert sind. Neben den Eltern und deren Familien sind Hauptakteure in dem traurigen Spiel: Richter, diverse verschiedene Sachbearbeiter beim Jugendamt, fünf Rechtsanwälte, mehrere Gutachter, eine Umgangspflegerin, die Familienhilfe, eine Integrationshilfe, diverse Ärzte und Zeugen. Und dennoch geht es dem Kind immer schlechter.

Jugendämter überfordert

Dessen Psychotherapeut befürchtet das Schlimmste. „Das Kind ist total verwirrt. Durch den erzwungenen Umgang werden ständig alte Wunden aufgerissen“, sagt er. Der Kleine zeige Verhaltensauffälligkeiten und sei immer schwerer therapierbar. Einen solch heftigen Fall habe er noch nie erlebt, sagt der Mann aus Stuttgart, generell aber falle auf, dass die Jugendämter immer häufiger überfordert seien: „Viele Mitarbeiter dort durchschauen die Tricks nicht. Da wird gelogen, dass sich die Balken biegen.“ In jüngster Zeit habe er zudem das Gefühl, dass besonders das Vaterrecht „blind durchgepaukt“ werde.

Sandros Vater sieht all das anders: „Die Mutter gefährdet den Kleinen.“ Weil sie ihm einrede, alle wollten ihm Schlechtes, mache er Rückschritte. Einig ist er sich mit dem Therapeuten allerdings beim Versagen der Behörden: „Sandros Mutter sagt die Umgangstermine immer wieder ab. Ich sehe meinen Sohn nur alle ein, zwei Monate. Und keiner tut was dagegen.“

Generell kommen Gerichte und Jugendämter bei den Beteiligten nicht gut weg. Auch viele Experten bemängeln immer wieder, dass es bei beiden am nötigen Grundwissen fehle. Manche Betroffene beklagen, die Jugendämter neigten generell der Ansicht der Mütter zu, andere sehen eine Hinwendung zu den Vätern. Tatsächlich werde auch durch die europäische Rechtsprechung inzwischen „die väterliche Verantwortung mehr eingeklagt und möglich gemacht“, sagt Cordula Lasner-Tietze vom Kinderschutzbund. Dieser „Haltungswandel“ sei begrüßenswert.

Eltern sind gefragt

Allerdings sieht auch die Expertin Probleme bei den Jugendämtern und Richtern. „Es ist sicher auch der Personalsituation in manchen Ämtern geschuldet, dass für komplizierte Fälle wenig Zeit bleibt“, sagt sie. Betroffene Eltern gingen oft den Weg über die Gerichte, aber auch die könnten der Anforderung nach langer Beratung und Vermittlung nicht nachkommen.

Lasner-Tietze bemängelt, dass es bisher kaum Studien über die steigende Zahl der hoch strittigen Fälle gibt. Die seien aber nötig, um Konsequenzen ziehen zu können: „Wir brauchen Beratungskonzepte, die man den Jugendämtern an die Hand geben kann. Dann herrscht dort keine Hilflosigkeit mehr vor“, sagt sie. Die gesetzlichen Grundlagen brauche man dafür nicht zu ändern: „Die geben das her.“

Doch allein damit wird sich nicht jeder Fall lösen lassen. Denn der entscheidende Faktor bleibt ein anderer. „Vor allem die Eltern müssen sich klar machen, was für das Kind am besten ist“, sagt Lasner-Tietze. So lange von ihnen keiner den Schritt nach vorne macht, werden Kinder wie der kleine Sandro Spielball und Opfer bleiben. In einem Krieg, der keine Sieger kennt.