Massendemonstration in Tiflis für eine Annäherung des Landes an die Europäische Union Foto: dpa/Zurab Tsertsvadze

Wie geht die Parlamentswahl in Georgien aus? Das beschäftigt auch Politiker und Experten in Deutschland. Denn es geht auch um die Frage, wohin das Land im Südkaukasus steuert: gen Westen – oder gen Russland.

Es ist noch kein Jahr her, da strahlte der Fernsehturm in der georgischen Hauptstadt Tbilissi in Schwarz, Rot und Gold. Es war eine Geste, um Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zu begrüßen, die Ende vergangenen Jahres zu Besuch war. Kurz zuvor war Georgien der Kandidatenstatus für die Europäische Union (EU) zugesprochen worden. „Deutschland hat diesen Prozess und diese Entscheidung sehr unterstützt“, sagte Faeser bei einem Auftritt mit ihrem georgischen Amtskollegen vor der Presse. „Wir freuen uns sehr und gratulieren dazu.“

Inzwischen hat die EU den Prozess bis auf Weiteres angehalten. Dabei ist der Beitritt sogar als Ziel in der georgischen Verfassung festgehalten. Wie und ob es damit weitergeht, entscheidet sich wohl auch am Samstag bei den Parlamentswahlen in Georgien. Es geht dabei um nicht weniger als die Frage, wohin der einstige Sowjetstaat im Südkaukasus steuert: in Richtung Westen – oder in Richtung Russland.

Ein umstrittenes Gesetz

Seit 2012 regiert die Partei „Georgischer Traum“ in Georgien. Sie galt einst als liberal, verfolgt aber inzwischen einen autoritären und russlandnahen Kurs. Im Juni trat ein Gesetz in Kraft, das an ein ähnliches aus Russland erinnert. Beide zielen darauf, Medien und Nichtregierungsorganisationen zu kontrollieren. Kritiker befürchten, dass Georgien auf diesem Weg die Zivilgesellschaft und die Meinungsfreiheit einschränken will. Für die EU war das Gesetz der Grund, den Beitrittsprozess zu stoppen.

Deshalb hängt viel von der Abstimmung am Samstag ab. „Fast alle Wahlen in Georgien sind historisch“, sagt Stefan Meister. „Aber dieses Mal ist es tatsächlich eine Richtungsentscheidung.“ Meister ist Experte für Zentralasien bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). „Der Trend ist eigentlich gegen die Regierungspartei“, sagt Meister. „Um ihr Ziel zu erreichen, müsste sie sehr viel fälschen.“

Sorge vor Gewalt

In Umfragen liegt der Georgische Traum zwischen 30 und 35 Prozent. Das klingt viel, ist aber weit von dem entfernt, was er anstrebt: Parteigründer Bidsina Iwanischwili zielt auf 50 Prozent. Meister hält es aber für möglich, dass die Regierungspartei die Wahl stark manipulieren könnte, um an der Macht zu bleiben. Dann könnte es zu Massendemonstrationen kommen, so Meister: „Ich befürchte, dass die Regierung dann mit Gewalt dagegen vorgehen wird.“

Die Opposition gilt zwar aktuell als stärker denn je. Sie besteht allerdings aus zerstrittenen Parteien, bei denen offen ist, ob sie eine regierungsfähige Koalition bilden könnten. Dass sie überhaupt so gut dasteht, dürfte an der proeuropäischen Bewegung liegen, die Zehntausende zu Protesten mobilisiert hat. Auch in Umfragen wünscht sich eine übergroße Mehrheit einen EU-Beitritt. Meister von der DGAP weist aber darauf hin, dass sich viele davon vor allem eine bessere wirtschaftliche Perspektive erhoffen.

Kritik aus Deutschland

Was in Georgien passiert, wird auch in Deutschland verfolgt. Die Ampelkoalition verabschiedete kürzlich einen Beschluss im Bundestag, der den aktuellen Regierungskurs stark kritisiert. Meister hält das nicht für ausreichend. „Ich finde, die Bundesregierung hätte sich schon viel früher dazu äußern müssen, was in Georgien passiert – und klarmachen, dass man bestimmte Dinge dort nicht akzeptiert“, sagt er. Es seien viele deutsche und europäische Fördermittel nach Georgien geflossen. „Die hätte man aber viel stärker an bestimmte Bedingungen knüpfen müssen. Deutschland – und auch die EU – hatte hier nie eine klare Strategie. Dabei wäre die dringend nötig gewesen“, so Meister.

Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth, ist ebenfalls besorgt. „Wenn Georgien als europäischer Stabilitätsanker im Südkaukasus wegbräche, würde das den russischen Imperialismus abermals stärken und den Frieden auf unserem Kontinent weiter gefährden“, sagt der SPD-Politiker. Er betont: „Falls die Regierungspartei wiedergewählt wird, wird es keine weitere Annäherung an die EU geben können.“ Sollte es zu massiven Wahlfälschungen durch den Georgischen Traum kommen, wären Massenproteste wahrscheinlich, befürchtet Roth: „Es droht Instabilität und möglicherweise ein neuer Konflikt im Osten Europas.“