Die Energiewende wird nicht billig. Besonders die Ökostromförderung über die EEG-Umlage ist volkswirtschaftlich ineffizient und hat bisher Milliardenkosten verursacht. Foto: dpa

Beim Umstieg auf Solar- und Windkraft gehen Meinungen auseinander – Industrie fürchtet höhere Strompreise

Stuttgart/Karlsruhe – Seit der Atomausstieg Deutschlands beschlossene Sache ist, schießen die Studien zu möglichen Strompreiserhöhungen ins Kraut. Jetzt hat auch das Karlsruher Forschungsinstitut KIT eine Analyse vorgelegt, die eine starke Kostenzunahme prognostiziert.

Wie sieht die Lage bei den Strompreisen ein Jahr nach dem Atomausstiegsbeschluss aus?
Die vielbeschworenen Horrorszenarien eines Strompreisanstiegs sind bislang ausgeblieben. Die Börsenpreise an der Leipziger Energiehandelsbörse EEX pendeln seit über einem Jahr konstant zwischen fünf und sechs Cent je Kilowattstunde.

Woran liegt das?
Im deutschen Energiemarkt gibt es aktuell drei Faktoren, die die Energiepreise maßgeblich bestimmen – die Entwicklung der Rohstoffpreise, die staatliche Steuer- und Abgabenlast und die Angebotsmenge von Strom. Zwar steigen die Preise von Öl, Kohle und Gas nach wie vor an, die Entwicklung verläuft aber nicht mehr so rasant wie früher. Insbesondere die Preissprünge der Jahre 2007 und 2008 sind derzeit fern. Andererseits deutet sich Entlastung bei den staatlich bestimmten Preisbestandteilen an – etwa der sogenannten EEG-Umlage, mit der der Ausbau erneuerbarer Energien finanziert wird. Diese beträgt aktuell rund 3,5 Cent am Endkundenstrompreis von etwa 24 Cent je Kilowattstunde. Grund sind die sinkende Fotovoltaikförderung und die damit verbundenen geringeren Zuwachsraten beim Ausbau der Technologie. Entscheidend für die relative Ruhe an der Preisfront ist aber auch eine andere Entwicklung. Seit Windkraft und Solarenergie ausgebaut werden, steigt das Stromangebot drastisch an. Strom ist zeitweise sogar zur Dumpingware geworden, die zu negativen Strompreisen gehandelt wird. Das engt die Spielräume der Versorger für Preiserhöhungen ein. Die letzte Tarifrunde bei der EnBW für Kunden mit Standardverträgen liegt beispielsweise schon fast eineinhalb Jahre zurück.

Was sagen die verschiedenen Experten?
Die Prognosen bezüglich zukünftiger Energiepreise schießen derzeit förmlich ins Kraut. Die wohl pessimistischste Prognose gab vor einiger Zeit der Industrieverband BDI ab, der Preissteigerungen für die Industrie von bis zu 222 Prozent bis 2017 für möglich hielt. In ein ähnliches Horn stößt jetzt auch der Industrie- und Handelskammertag im Südwesten (BWIHK). Die Strompreise in Deutschland werden gemäß der vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) angefertigten Studie für Industriekunden bis zum Jahr 2025 um 70 Prozent steigen. Für Privatleute könnte die Preissteigerung demnach wohl noch stärker ausfallen. Andere Industrieverbände sehen Kostensteigerungen von bis zu 40 Prozent in den kommenden Jahren.

Fakt ist: Die Energiewende wird nicht billig

Gibt es nur Schwarzseher?
Besonders industrienahe Institute sehen Preisexplosionen heraufziehen. Es gibt aber auch andere Stimmen. Weitaus optimistischer beurteilt etwa das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin die Kosten der Energiewende. In einer Studie aus dem Jahr 2011 gehen die Experten um die Energieökonomin Claudia Kemfert davon aus, dass sich die Preise an den Strombörsen bis 2020 nur um elf Prozent erhöhen werden. Das entspricht einem Anstieg von knapp fünf Cent je Kilowattstunde. Das Überraschende: Ohne den weiteren Ausbau von Solar- und Windkraft würden die Preise demnach bis 2020 viel stärker steigen, nämlich um 20 Prozent. Aufgrund der Schwemme an Ökostrom steigt das Angebot deutlich stärker als die Stromnachfrage. Die Folge sind Stromüberschüsse, die die Börsenpreise drücken. Auch die Deutsche Energieagentur (Dena) geht von moderaten Steigerungsraten durch die Energiewende von vier bis fünf Cent je Kilowattstunde bis 2020 aus.

Was sagt die Politik?
Baden-Württembergs Umwelt- und Energieminister Franz Untersteller (Grüne) hat die Studie des BWIHK als „sehr gewagt“ bezeichnet. Für eine derartige Entwicklung gebe es „keine belastbaren Anzeichen“.

Was stimmt denn jetzt?
Fakt ist: Die Energiewende wird nicht billig. Besonders die Ökostromförderung über die EEG-Umlage ist volkswirtschaftlich ineffizient und hat bisher Milliardenkosten verursacht. Weitere Milliarden wird der Ausbau der Stromnetze und Energiespeicher verschlingen. Die großen Übertragungsnetze fit für die Zukunft zu machen ist dabei vergleichsweise günstig. Nach Angaben der Netzbetreiber werden sich die Kosten mit gut einem halben Cent je Kilowattstunde für den Endverbraucher in Grenzen halten. Aber neue Speicher und der Ausbau der Verteilnetze kosten viel Geld. Dagegengerechnet werden muss allerdings die zunehmende Unabhängigkeit von den Preisrallyes auf den Öl- und Gasmärkten. Allein 2011 ersetzten Wind und Sonne in Deutschland Öl- und Gasimporte von umgerechnet elf Milliarden Euro. Die Beratungsagentur McKinsey kommt denn auch in einer Analyse zu den Kosten der CO2-Vermeidung zum Ergebnis: Die Energiewende lohnt sich langfristig – auch für die Industrie.

Zahlt nicht die Industrie sowieso schon geringere Strompreise als die Privatkunden?
Der Strompreis für Industriebetriebe liegt deutlich unter dem von Haushaltskunden. Nach Daten der Statistikbehörde Eurostat lagen die Industriekundentarife 2011 in Deutschland deutlich unter zehn Cent pro Kilowattstunde, die für Privatkunden dagegen bei etwa 24 Cent. Darüber hinaus haben Großfirmen in den vergangenen Monaten erhebliche Entlastungen durchgesetzt. So können sie sich von den Netznutzungsentgelten – eine Komponente im Strompreis – befreien lassen, was den Privathaushalten allein 2012 mindestens eine Milliarde Euro an Zusatzkosten bescheren wird.