Über 20 Folgen „Soko Stuttgart“ hat der Stuttgarter Regisseur Gero Weinreuter in den vergangenen fünf Jahren insgesamt inszeniert, darunter die allererste Folge und die 100., die an diesem Donnerstag läuft.
Stuttgart - Über 20 Folgen „Soko Stuttgart“ hat der Stuttgarter Regisseur Gero Weinreuter in den vergangenen fünf Jahren insgesamt inszeniert, darunter die allererste Folge und die 100., die an diesem Donnerstag um 18.05 Uhr im ZDF läuft. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, was die Reihe ausmacht und für die Stadt bedeutet.
Herr Weinreuter, Sie haben pro 45-minütiger Folge nur sechseinhalb Drehtage – haben Sie sich inzwischen daran gewöhnt?
Das ist nach wie vor extrem sportlich, aber allen ist klar, dass alles auf den Punkt klappen muss. Die Bücher sind entsprechend gebaut, und da die Regisseure immer vier Folgen im Paket drehen, kann man Drehzeit hin- und herschieben, wenn eine Folge viele Außendrehs hat. Da ist die „Soko Stuttgart“ sehr professionell aufgestellt.
Wie schaffen Sie es trotzdem, immer wieder schöne, aufwendige Szenen einzubauen?
Das geht nur, wenn man nie sagt: Das geht nicht. Und es clever einfädelt. Die Folge „Am Seidenen Faden“ spielt in der Modewelt, wir haben eine mächtige Anfangssequenz mit 150 Statisten. Neben unserem Studio im Römerkastell ist der Zauberer Thorsten Strotmann, in dessen Saal ist ein Rundell, an das wir einen Steg angebaut haben. Er hat über seinen Verteiler 100 Freiwillige besorgt, also mussten wir nur 50 Statisten bezahlen – und für ihn war das gute Werbung.
In Folge 100, „Mann ohne Gesicht“, zeigen Sie eine lange Verfolgungsjagd bei Nacht . . .
Die dafür nötige Beleuchtung wäre für uns kaum zu schaffen. Kameramann Thomas Weber hat aber eine extrem lichtempfindliche Kamera besorgt, die er erst mal testen musste – wir waren die Ersten in Deutschland, die damit gearbeitet haben. Bei so was unterstützt uns die Produktion immer. Das ist in Stuttgart wirklich bemerkenswert.
Die Folge spielt nicht in Stuttgart, sondern in dem Dorf Zechingen mit skurrilen Bewohnern.
Die Kulisse ist Strümpfelbach, und es ist schon außergewöhnlich. Unsere Polizisten beißen sich an diesem Dorf die Zähne aus. Kommissarin Seiffert verliert im Verhör mit dem Dorfpolizisten, fantastisch gespielt von Andreas Guenther, beinahe die Fassung, das hat es auch noch nicht gegeben.
Wie war die Arbeit mit Friedericke Kempter, bekannt als Assistentin aus dem Münsteraner „Tatort“, die hier eine Wirtstochter spielt?
Großartig. Ich habe ihr alles über die Figur und das Dorf erzählt, und sie hat aus dem Stand alles gleichzeitig gespielt: die Femme fatale, die Durchgeknallte, die mit dem Ermittler flirtet und ein komisches Verhältnis zu ihrer Mutter hat. Dabei bleibt sie absolut undurchschaubar und ist trotzdem auch sympathisch mit ihrer Art.
Und sie spricht Schwäbisch.
Das ist für die Schauspieler so, als würden sie ein Geheimnis preisgeben. Es ist überhaupt die schwäbischste Folge, die ich je gedreht habe. Alle Figuren schwätzen viel und sagen nichts. Ein gutes Drehbuch von Axel Hildebrand, den ich sehr schätze.
Walter Schultheiß ist auch dabei.
Er ist ein absoluter Profi. Er setzt sich gerne mal zwischen den Takes, da merkt man etwas sein Alter, aber wenn es weitergeht, ist er voll da und spielt auf den Punkt.
Wie hat sich die Stuttgarter Szene durch die „Soko“ entwickelt?
Es ist eine Infrastruktur entstanden, aber alles schon noch sehr familiär. Man achtet aufeinander, denn die Stuttgarter Filmwelt ist noch klein. Man begegnet sich hier nicht nur zweimal, sondern zehnmal.
Es wird gemunkelt, es käme eine zweite Serie?
Wenn das käme, wäre das ein ganz anderes Grundrauschen in der Stadt, die Filmszene würde deutlich wachsen.
Was würden Sie gerne mal ausprobieren?
Claude-Oliver Rudolph spielt in der „Soko“ regelmäßig den Bösewicht, und ich träume davon, ihn einmal als fürsorglichen, warmherzigen Familienpapa zu besetzen. Er würde sofort zusagen, glaube ich, und alle wären erstaunt, dass es funktioniert. Das sind Besetzungen mit Aha-Effekt.
Wo könnten deutsche Serien zulegen?
Weniger dialoglastige Erzählweisen, dem Medium vertrauen, mit filmischen Mitteln erzählen. Ein Beispiel: Kommissarin Seiffert nimmt bei der Soko ab und zu wortlos die Räume auf, da ist man ganz bei ihr, und es ist ein klares Zeichen: Der Chefin entgeht nichts. Sehr wichtig sind mir unterschiedliche Erzähltempi. Einerseits schnell, dynamisch, mit Druck, um im richtigen Moment das Tempo herauszunehmen und Gefühlen Platz zu lassen. Es nützt nichts, eine Geschichte durchgehend dynamisch erzählen zu wollen – auf der Autobahn sind es ja auch das Abbremsen und die Beschleunigung, die das Geschwindigkeitsgefühl ausmachen. Außerdem könnte man ab und zu die altbewährte Erzählstruktur aufbrechen.
Was meinen Sie konkret damit?
Ich durfte bei den ersten Folgen der komödiantisch angelegten ZDF-Serie „Heldt“ Regie führen, die nicht nach dem Täter fragt, sondern nach dem Warum. Der durchgeknallte Hauptkommissar, perfekt verkörpert von Kai Schumann, ist ein Lonesome Cowboy, er dockt emotional an die Figuren an und fragt nicht: Wo waren sie gestern um 21.45 Uhr? Sondern: Wie geht es ihnen heute? Die Titelfigur ist ein verspielter Junge, den alles interessiert, nur nicht die rationalen Fakten. Zur Verblüffung seiner Kollegen kommt er schneller zu Ergebnissen und manchmal gar zu völlig anderen.
Janine Kunze aus „Hausmeister Krause“ spielt die Staatsanwältin – funktioniert das?
Ich mag Besetzungen gegen den Strich. Sonst ist sie immer absolut authentisch mit ihrer Kölner Schnauze, die war hier aber nicht gefragt, deshalb brauchte sie Sicherheit für ihr Spiel. Ich habe ihr Hosenanzüge verordnet und statt Walle-walle-Pornomähne einen Zopf – und ihr gesagt: Das ist trotzdem sexy, du könntest auch in einem Kartoffelsack herumlaufen. Mit seriösem Äußeren konnte sie locker spielen und die lässige Schlagfertigkeit herauslassen, die man von ihr trotz Staatsanwältin sehen möchte.
Wie könnte man die „Soko“ aufbrechen?
Mal angenommen, Kommissarin Seiffert würde bei einer Verfolgungsjagd einen Mann anschießen, weil er einen Geldbeutel zieht und sie denkt, das sei eine Waffe. Es gäbe eine interne Untersuchung. Ihre Kollegen werden interviewt, man sieht die Verfolgungsjagd aus verschiedenen Perspektiven. Stoll sagt an einer Stelle nicht ganz die Wahrheit, um ihr zu helfen, und es kommt heraus. Man könnte die mal richtig reinreiten, das fände ich spannend.
Wäre das in sechseinhalb Tagen machbar?
Nur die Dramaturgie würde sich ändern, das wäre kein Mehraufwand. Das würde auch flutschen, denn die Schauspieler lechzen danach, kleine Feinheiten zu finden, die sie noch nicht bespielt haben. Die spielen ein Jahr lang jeden Tag dieselbe Figur. Und können alle viel mehr.