Mais, so weit das Auge reicht: In immer mehr Regionen wird das zur Realität, weil die Agrarpflanze sich nicht nur zur Ernährung, sondern auch zur Gewinnung von Biogas eignet. Foto: Fotolia

Jede dritte Maispflanze in Deutschland wandert nicht in die Mägen von Mensch und Tier, sondern Biogasanlagen.

Stuttgart - Im Naturpark Schwäbisch-Fränkischer Wald, dort, wo das Flüsschen Murr in einem weiten Bogen nach Süden abdriftet, um irgendwann in den Neckar zu fließen, ist die Welt eigentlich noch in Ordnung. In einem breiten Talgrund, nahe dem Örtchen Sulzbach, biegen sich die reifen Ähren auf den Feldern. Auf den Wiesen stehen Wildblumen in voller Blüte. Mittendrin steht Matthias Strobl und fragt: „Wie lange wird das noch so sein?“

Strobl ist Agrarexperte beim Naturschutzbund (Nabu) in Baden-Württemberg, und die verträumte Ecke im Nordosten Baden-Württembergs ist seit einiger Zeit eines seiner Sorgenkinder. Seit am Rand von Sulzbach eine kapitale Biogasanlage errichtet wurde, hat sich das Landschaftsbild verändert. Maisfelder fressen sich in das kleine Tal und verdrängen zusehends die kleinteilige Landwirtschaft. „Wenn das so weitergeht, wird hier bald nur noch Mais stehen“, sagt Strobl. „Futter für die Biogasanlage.“

Allein im vergangenen Jahrzehnt stiegen die Anbauflächen um zwei Drittel

So wie in Sulzbach sieht es mittlerweile an ziemlich vielen Flecken in Deutschland aus. Mit beeindruckender Geschwindigkeit hat sich das eigentlich aus Südamerika stammende Süßgras Mais auf Äckern und Fluren ausgebreitet. Seit 1960 haben sich die Anbauflächen fast verfünfzigfacht. Allein im vergangenen Jahrzehnt stiegen sie um zwei Drittel – auf mittlerweile deutlich über 2,5 Millionen Hektar.

Damit hat Mais innerhalb kurzer Zeit nahezu allen traditionellen Ackerfrüchten den Rang abgelaufen. Unter den Getreidesorten steht nur noch der Weizen in der Gunst der Bauern höher. Selbst Gerste, die über Jahrzehnte als Rückgrat der deutschen Landwirtschaft galt, wurde vom neuen Lieblingsgewächs der Landwirte zum Statisten auf den Äckern degradiert. Raps und Rübe erging es ähnlich.

In einzelnen Regionen – etwa im Rheingraben zwischen Lörrach und Freiburg, im westlichen Allgäu nahe des Bodensees – sind nach Daten des Deutschen Maiskomitees mehr als 70 Prozent der bewirtschafteten Flächen mit Mais bepflanzt. „Wer dort mit dem Fahrrad übers Land fährt, sieht im Sommer außer zwei Meter hohen Stängeln von der Landschaft nicht viel“, weiß Strobl. Doch auch außerhalb der Mais-Brennpunktregionen belegt die Ackerfrucht oft immer noch die Hälfte der Felder.

Besonders gilt das für Baden-Württemberg, das Mutterland der gelben Kolben in Deutschland. Im warmen Rheingraben wurde das Gewächs in den 1960er Jahren erstmals großflächig kultiviert. Von hier aus trat es seinen Siegeszug durch die Republik an.

Mit Nahrungssicherheit hat der derzeitige Mais-Boom wenig zu tun

In Ostdeutschland stand Mais dagegen schon in den 50er Jahren hoch im Kurs. Als Futtermittel für Rinder hatte „die Wurst am Stängel“, wie der damalige KPdSU-Chef Nikita Chruschtschow die stärkehaltigen Pflanzen gerne nannte, strategische Bedeutung. Folge waren Mais-Monokulturen, die schon damals an vielen Orten das Landschaftsbild prägten.

Mit Nahrungssicherheit hat der derzeitige Mais-Boom dagegen wenig zu tun. „Mais hat heute als Energiepflanze große Bedeutung“, sagt Detlef Riesel, Bioenergieexperte bei der bundeseigenen Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe (FNR). Von den enormen Ertragszuwächsen des vergangenen Jahrzehnts verschwinde fast jedes Korn in einer der bundesweit etwa 7900 Biogasanlagen. Nach Daten der FNR wurde 2011 auf fast 750.000 Hektar Mais ausschließlich für Biogasmeiler angepflanzt – eine Fläche, dreimal so groß wie das Saarland. Wahrlich explodiert sind seit 2004 die Anbauflächen. Damals verankerte die Bundesregierung im Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG), das Betreibern von Wind-, Solar- oder Biogasanlagen staatliche Vergütungen für die erzeugte Energie gewährt, den sogenannten Nawaro-Bonus. Wer fortan nachwachsende Rohstoffe (Nawaros) in den Gärtanks seiner Biomeiler vor sich hin rotten ließ, erhielt satte Extrazahlungen. Ziel war es, die Ökoenergie voranzubringen und EU-Klimaziele umzusetzen. „Jeder, der kann, steckt seither Mais in seine Anlagen“, sagt Riesel. Obwohl der umstrittene Bonus seit Januar 2012 wieder abgeschafft ist, laufen die Biogasanlagen auch heute „fast immer auf Mais“.

Die Monokulturen führen dabei fast immer zu Schäden im gesamten Ökosystem

Alternativen sind rar. Hie und da stopfen Öko-Landwirte Hirsepflänzchen in die Gärbottiche. Andere versuchen es mit Biertreber, Kartoffelschlempe, Rübenallerlei, Grünroggen oder Klee. Das Problem ist immer dasselbe: So effizient wie Mais lässt sich keine der bisher getesteten Alternativen vergasen. Lediglich der Durchwachsenen Silphie – eine Art Riesenmargerite aus den USA – wird eine realistische Chance eingeräumt, Mais irgendwann zu ersetzen. Sogar der Energiekonzern Vattenfall testet das Gewächs mit den viereckigen Stängeln mittlerweile. Bis der US-Import großflächig eingesetzt wird, kann es aber noch dauern.

Einstweilen beherrschen Maiskulturen wie in Sulzbach vielerorts das Bild auf deutschen Äckern. Die Monokulturen führen dabei fast immer zu Schäden im gesamten Ökosystem. Starker Einsatz von Dünger und Pestiziden senkt die Artenvielfalt und belastet das Grundwasser. Schweres Gerät auf den Feldern verdichtet die Böden. Weil bei jeder Ernte viel Grünmasse abtransportiert wird, kann sich Humus nicht neu bilden. Und für Schädlinge wie den Maiswurzelbohrer sind die Kolbenwälder ein gefundenes Fressen. Im Rheingraben sind die Bestände mittlerweile fast flächendeckend befallen. Um die Ausbreitung zu verhindern, sahen sich die Behörden vergangenes Jahr gezwungen, Tausende Hektar Maisfelder zur Sicherheitszone zu erklären. Ohne Erfolg: Auch in Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen sammelt man die gefräßigen Käfer mittlerweile von den Kolben.

Dass die Probleme abebben, ist unwahrscheinlich. Die jüngste Reform des EEG bietet den Betreibern von Biogasanlagen nach Ansicht von Fachleuten immer noch üppige Gewinnmöglichkeiten. „Sehr große Anlagen kommen bei den Vergütungssätzen besonders gut weg“, sagt Nabu-Agrarfachmann Strobl. Das Problem: Gerade sie laufen eigentlich nur mit Mais richtig gut.