Suchtprobleme sind keine Seltenheit. Die Fachstelle Sucht in Calw bietet Hilfe – auch ambulant (Symbolfoto). Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/A3818_Klau

Die Fachstelle Sucht in Calw bietet Auswege aus der Abhängigkeit – unter anderem eine ambulante Therapie. Drei Betroffene erzählen.

Harald O. hat eigentlich alles erreicht: Frau, Kinder, Haus, solider Job.

 

Doch er trinkt.

Harald weiß, dass er süchtig ist – doch eine Therapie? Monatelang in einer Klinik? Was wird dann aus seinem Leben? Harald trinkt weiter. Ein böses Ende scheint programmiert.

Diesen Fall hat es so nie gegeben – in seinen Einzelheiten haben wir ihn erfunden. Doch fest steht: Millionen Menschen ergeht es wie Harald.

Die Mitarbeiter der Fachstelle Sucht in Calw kennen die Schwierigkeiten, mit denen sie kämpfen. Und sie haben Lösungen dafür. Unter anderem eine Therapie, die nicht zwingend mit einem monatelangen Klinikaufenthalt verbunden ist.

Die ambulante Reha

Konkret handelt es sich dabei um wöchentliche Gruppensitzungen sowie Einzelgespräche, die alle ein bis zwei Wochen hinzukommen. Eine ambulante Reha, die berufsbegleitend erfolgt. Gewissermaßen während das Leben weiterläuft.

Die Betroffenen erhalten dabei etwa Rat, wie sie mit Suchtdruck umgehen können, mit dem Verlangen nach dem Suchtmittel. Wie sie Probleme, Gefühle, Einsamkeit ohne Alkohol und Co. bewältigen können. Wie es gelingt, mit Gewohnheiten zu brechen.

Angeboten wird das Ganze in Calw, in Nagold und in Calmbach. Voraussetzungen sind eine mindestens dreiwöchige Abstinenz sowie ein stabiles soziales Umfeld und/oder ein Arbeitsplatz.

Möglich ist auch eine Kombination aus stationärer und ambulanter Reha. Eine ambulante Therapie dauert dabei zwischen sechs und zwölf Monaten, kann aber auch auf 18 Monate verlängert werden.

Wartezeiten, so sagt Anja Niedballa, Leiterin der Fachstelle Sucht, gebe es keine. Sobald die Zusage des Kostenträgers da sei, könne es losgehen.

Und es gebe einen „signifikanten Unterschied“ zur stationären Therapie: Die Betroffenen lernen unmittelbar, im Alltag zurechtzukommen. Bei einer stationären Therapie stehe den Suchtkranken das nach der Behandlung erst bevor.

Paargespräche und Angehörigengespräche ergänzen das Angebot. Seit Juli gibt es auch Angehörigenabende.

Betroffene berichten

Die Menschen, die diese Unterstützung von der Fachstelle Sucht in Anspruch nehmen, haben oft vieles gemeinsam. So verschieden sie sind, der Weg in die Sucht verlief oft ähnlich – und klingt erschreckend nachvollziehbar.

Zwei Männer und eine Frau, die anonym bleiben wollen, teilten ihre Erfahrungen im Gespräch mit unserer Redaktion.

„Anfangs durch Neugier“, so erzählt einer der Männer, nennen wir ihn M1, habe er in der Pubertät begonnen, Alkohol zu trinken. Hinzu kamen Gruppenzwang und eine schwere Kindheit. Auch sein Vater war ein Trinker, M1 leidet überdies an ADHS und Depressionen.

Erst Alkohol, später auch Cannabis, teilweise weitere Drogen wurden mit der Zeit für ihn zur „schnellstmöglichen Lösung, um Gefühle auszublenden“. Eine Flucht aus der Realität. Und auf dem Dorf, „da wird man auch komisch angekuckt, wenn man nichts trinkt“.

Irgendwann ging es nicht mehr ohne. „Die Sucht hat sich eingeschlichen“, erzählt er. Irgendwann konsumierte er pro Tag eine halbe Kiste Bier und fünf bis zehn Gramm Marihuana täglich. Rund 1000 Euro im Monat, schätzt M1, habe er ausgegeben, um sich zu betäuben.

Doch irgendwann habe die erwünschte Regulation der Gefühle nicht mehr funktioniert. Mit dem Bild seines Vaters vor Augen bekam er Angst – und suchte sich Hilfe.

M1 ist bereits das zweite Mal hier. „Aus Gewohnheiten auszubrechen, ist für uns Menschen eine der größten Herausforderungen“, sagt er. Nach der ersten Therapie verfiel er durch neue Krisen in alte Muster.

„Früher hätte man das als Scheitern gesehen“, erklärt Niedballa. Heute verstehe auch der Kostenträger, dass es sich um eine Krankheit handle, die nicht immer linear verläuft.

Ein anderer Mann, nennen wir ihn M2, sammelte im Alter von 13 oder 14 Jahren die ersten Erfahrungen mit Alkohol – aber „gleich bis zum Vollrausch“. Ein Schema, dass sich über Jahrzehnte durchzog. Er sagt, er war nie arbeitslos, war erfolgreich im Beruf, habe immer abends, nie bei der Arbeit getrunken. Doch „das Lebensziel war Saufen“. Mit Alkohol habe er sich „in Schach gehalten“.

Immer wieder habe er erfolglos versucht, aufzuhören. Doch M2 hatte nie gelernt, mit Emotionen umzugehen. „Es gab ja nur den Plan zu trinken“, sagt er. Auch Freunde hätten ihn dazu ermuntert. Wenn er trinke, sei er kommunikativer, zugewandter. „Ich dachte eigentlich nicht, dass ich Alkoholiker bin“, meint er.

Jetzt müsse er sich mit Dingen auseinandersetzen, die er Jahrzehnte verdrängte. Und lernen, Stress und Gefühle ohne Alkohol zu bewältigen.

Doch Sucht ist kein reines Männerproblem. Rückblickend, so berichtet die Betroffene, der wir den Namen F geben, habe sie wohl seit ihrer Jugend immer ein problematisches Trinkverhalten an den Tag gelegt. Sie habe Grenzen gespürt, sei dennoch darüber hinweg gegangen.

Schon früh habe sie Alkohol benutzt, „um Kummer zu ertränken“. F leidet an Depressionen. Doch sie habe immer funktioniert, ihre Kinder großgezogen und nie vor oder bei der Arbeit getrunken.

Irgendwann habe sie bei einem auf Sucht spezialisierten Mediziner ein 100-Tage-Programm ohne Alkohol durchgezogen – allerdings auch ohne Therapie. Nach sechs Jahren Abstinenz kehrten nach einer schwierigen Lebenssituation alte Gewohnheiten zurück. Sie erlitt einen schweren Rückfall.Und suchte Unterstützung bei der Fachstelle Sucht.

Das Urteil zur Therapie

So unterschiedlich und zugleich ähnlich die Geschichten der Betroffenen sind, so einig sind sie sich bei der Bewertung der Arbeit, die in der Fachstelle Sucht in Calw geleistet wird.

„Ich weiß nicht, wo ich heute wäre ohne die Fachstelle Sucht“, betont M1. Alle drei unterstreichen, dass sie es ohne diese Einrichtung nicht geschafft hätten.

Niedballa schreibt das zu einem großen Teil den Gruppen zu. Diese würden den Betroffenen ein Gefühl der Verbundenheit geben. Die Fachstelle habe zwar das Fachwissen, „aber weiß nicht, wie es sich anfühlt“, sagt die Leiterin der Einrichtung.

Die Gruppe zeige Verständnis statt Abwertung, sagt M1. Und kenne jeden einzelnen fast besser als die jeweils nächsten Angehörigen, fügt M2 hinzu.

Und F bilanziert: Therapien habe sie bereits mehrere erhalten. Doch „das beste Gefühl habe ich hier bekommen“.

Kontakt zur Fachstelle Sucht Telefon: 07051/93616, Mail: fs-calw@bw-lv.de