Lindsey Vonn freut sich auf ihr Comeback. Foto: dpa

Für Lindsey Vonn endete mit dem Abfahrtstraining eine zehnmonatige Weltcup-Abstinenz. Die 29-Jährige ist nicht mehr die, die sich im Februar so schwer verletzt hatte.

Für Lindsey Vonn endete mit dem Abfahrtstraining eine zehnmonatige Weltcup-Abstinenz. Die 29-Jährige ist nicht mehr die, die sich im Februar so schwer verletzt hatte.

Lake Louise - 14 Mal hat Lindsey Vonn auf der Piste Olympic in Lake Louise schon gewonnen, die Strecke gilt als ihr Wohnzimmer. Doch als sich der US-Skistar am Mittwoch auf die Abfahrtsstrecke stürzte, war alles anders als je zuvor. Zum ersten Mal seit dem 5. Februar raste die 29-Jährige über eine Rennpiste, zum ersten Mal seit ihrem Innen- und Kreuzbandriss bei der WM in Schladming. „Das Knie war ganz gut, ich hatte ein gutes Gefühl, es war stabil“, sagt Vonn erleichtert. Ob das Knie fit genug für einen Rennstart bei den Abfahrten am Freitag und Samstag sowie beim Super-G am Sonntag ist, will die viermalige Gesamtweltcup-Siegerin kurzfristig entscheiden.

Den Sturz von Schladming hat sie verdaut und verarbeitet, sie hat sich die Bilder einige Male auf Youtube angetan. „Es sieht genauso übel aus wie es tatsächlich war“, erzählt sie. Und doch war dieser Vorfall eine Zäsur im Leben der Lindsey Vonn, die in der Zeit, in der sie als Sportlerin nicht gefordert wurde, eine Entwicklung als Mensch durchlebte. Zum ersten Mal war eine Verletzung stärker als ihr Wille, Höchstleistungen abzuliefern, Gegnerinnen zu besiegen und Triumphe zu feiern. „Ich bin überzeugt“, sagt die Amerikanerin, „dass dieser Unfall kein Zufall war. Er ist mir passiert, um mich stärker zu machen – auch als Mensch. Er ist gekommen, als ich stark genug war für diesen Test.“

Davor war die Medaillensammlerin eine Getriebene – vom Erfolgsdruck, den Sponsoren, ihrem Ehemann, von den Medien und sogar von den eigenen Fans. Natürlich liebte sie das Skifahren und opferte gerne und freiwillig ihr Privatleben, aber sie wollte es allen und jedem recht. „Ich habe alle Kommentare auf meinem Facebook-Account gelesen“, erzählt sie, „wenn irgendjemand meine Mitteilung nicht mochte, fühlte ich mich persönlich getroffen.“ Auf manche ihrer Einträge folgten gut 1000 Reaktionen, was zwingend die Frage aufwirft: Wie konnte sie sich überhaupt noch auf den Sport konzentrieren? Mehr schlecht als recht. Sie machte im Dezember 2012 ihre anhaltenden Depressionen öffentlich und schließlich folgte die nicht minder belastende Trennung von Ehemann Thomas. „Je schlechter es mir ging, umso wichtiger war mir die Anerkennung anderer“, gibt Vonn zu, „ich war fast süchtig danach, dass mich die Leute mögen.“

Vonn wollte sie selbst sein

In der Pause vom Skizirkus wurde Vonn im Sommer endgültig erwachsen, mit knapp 29. Sie wollte nicht mehr sein, wie andere es sich wünschten; sie wollte sie selbst sein. Eine Erkenntnis, zu der ihr auch ihr neuer Partner Tiger Woods verhalf. Sie hat den Golfstar zu Turnieren begleitet, ihm zugesehen und erfahren, wie er trotz des enormen Drucks ruhig und gefasst bleibt. Dass er sich nicht zur Marionette seiner Umgebung machen lässt. „Er besitzt eine unglaubliche mentale Härte“, schwärmt sie, „das ist für mich das nächste Level von Selbstvertrauen, Konzentration und Kontrolle.“

Dass diese Aussagen nicht nur Worthülsen sind, hat der Skistar in zwei TV-Auftritten bei den Talk-Ikonen Jay Leno und David Letterman bewiesen. Leno fragte, ob ihr Mann auch im Bett ihr Coach sei – Vonn lächelte den Angriff souverän weg; Letterman zog die Ski-Disziplinen durch den Kakao, Vonn reagierte witzig, auch wenn ihr Blutdruck rasant stieg: „Er hatte kein Recht, sich so respektlos über meinen Sport zu äußern. Aber so sind die Spielregeln, sie wollen, dass du etwas Ungewolltes sagst.“ Selbst die irrwitzigsten Geschichten in der Klatschpresse über das prominente Sport-Paar hinterlassen keine Kratzer an der Psyche – sie nimmt das Geschehen abseits der Pisten als Teil ihrer Arbeit an. „Ich bin eine Marke“, sagt sie, „um als solche Erfolg zu haben, muss man bei manchen Dingen eben mitspielen.“

Nun ist die Speed-Spezialistin zurückgekehrt in ihren Kosmos des Ski-Weltcups, dort will die neue Lindsey an alte Erfolgsserien anknüpfen, Gegnerinnen schlagen, Rennsieg Nummer 60 feiern – und Gold bei den Winterspielen 2014 gewinnen. „Der Unfall war der tiefste Punkt meiner Karriere“, sagt Lindsey Vonn, „Gold in Sotschi wäre der höchste.“ Und man darf sich ziemlich sicher sein: Wenn es nicht so kommt, wird sie das nicht mehr aus der Bahn werfen.