Nach schweren Missbrauchsvorwürfen gegen Trainer und Funktionäre steht der Deutsche Turner-Bund unter Druck. Wolfgang Staiger, ehemaliger Bundesliga-Turner und engagierter Trainer, sagt, was sich aus seiner Sicht ändern muss.
Die Pressekonferenz des Deutschen Turner-Bundes (DTB) am Rande eines Weltcup-Turniers in Cottbus sowie die Stellungnahme des Präsidenten Alfons Hölzl verfolgte Wolfgang Staiger im Liveticker. Die Erschütterungen rund um das deutsche Kunstturnen lassen ihn nicht unberührt.
Ehemalige Athletinnen prangerten Missstände an mehreren Stützpunkten an, insbesondere in Stuttgart und Mannheim. Es wurde von „körperlichem und mentalem Missbrauch“ gesprochen.
Mehrere Spitzensportlerinnen, darunter Tabea Alt und Elisabeth Seitz, sind mit schweren Vorwürfen an die Öffentlichkeit gegangen. Der DTB reagierte darauf, stellte zwei Übungsleiter frei und beauftragte eine Frankfurter Kanzlei mit der Untersuchung. Anschließend soll die Aufarbeitung durch einen unabhängigen Expertenrat folgen.
Turnsport in der Kritik und die Angst vor dem Rufschaden
Es sei eine sehr schwierige Situation, betont Staiger. Die Turnerinnen hätten sich zurecht alles „von der Seele geredet“. Dennoch befürchtet er, dass die „Revolution jetzt ihre Kinder frisst“ und der gesamte Turnsport bis in die Basis in Verruf gerät. Positiv sei jedoch, dass das Negative nicht bis in die unteren Ebenen durchschlage.
Seit 20 Jahren engagiert sich Wolfgang Staiger ehrenamtlich als Trainer bei der Wettkampfgemeinschaft Villingendorf-Rottweil. Besonders dankbar ist er für seine „Jungs“, die er betreuen darf. Er erlebt hautnah die Begeisterung der Kinder für Bewegung – gerade in einer Zeit, in der es vielen schwerfalle, einen Purzelbaum oder die klassische Kerze zu bewältigen.
Nachwuchsprobleme gibt es in seinem Verein nicht. Das sei vor allem dem engagierten Team zu verdanken. Zudem biete die Mehrzweckhalle in Villingendorf mit ihrer Turn- und Bewegungslandschaft ideale Bedingungen. „Da rennen uns die Kinder die Bude ein“, berichtet er.
Spaß an der Bewegung steht im Mittelpunkt
Im Mittelpunkt stehe der Spaß am Turnen, das Gemeinschaftsgefühl im Verein und ein allgemeines Grundlagentraining. Ziel sei es, den Kindern das zurückzugeben, was sie verlernt haben: Geschicklichkeit, Gleichgewicht, Kraft und Ausdauer.
Wenn er besonders talentierte Kinder erkenne, suche er gemeinsam mit den Eltern nach der besten Möglichkeit, diese Talente gezielt zu fördern.
Staiger nutzt auch seine Kontakte, um junge Sportler an Leistungszentren wie Stuttgart zu vermitteln. Er berichtet von einem Jungen, der dorthin gewechselt ist, wo es jedoch leider „schief ging“. Dies sei leider auch auf die pädagogischen Unzulänglichkeiten eines Trainers zurückzuführen gewesen, meint Staiger.
Trainer besser ausbilden und Fehlentwicklungen vermeiden
Hier sieht er einen wichtigen Ansatzpunkt: Um solche Vorkommnisse im Spitzensport zu vermeiden, müssten Pädagogik und Psychologie stärker in die Trainerausbildung integriert werden. Ein solcher Systemwandel brauche jedoch Zeit.
Man müsse stets im Blick behalten, dass man es mit Kindern und Jugendlichen zu tun habe – trotz der notwendigen Selektierung, um es an die Spitze zu schaffen. Das vom DTB ausgegebene Motto, nach dem auch Staiger lebt, lautet: „Leistung mit Respekt“. Essenziell sei auch, dass Kinder merkten, dass man sie gern habe. Dann könne man auch etwas einfordern.
Soziale Fähigkeiten werden in jungem Alter erlernt
An der Basis, wie in Rottweil und Villingendorf, spiele die soziale Komponente eine große Rolle. Die Kinder lernten, sich gegenseitig zu unterstützen.
Kinder fördern und für Bewegung begeistern
Die große Turnwelt ist dem 70-Jährigen nicht fremd. Er selbst schaffte es bis in die Bundesliga und war von 1987 bis 2005 Pressesprecher des DTB. Zudem begleitete er Turnevents als Berichterstatter, unter anderem für den Sportsender Eurosport.
Auch die handelnden Akteure, Funktionäre und Trainer kennt er teilweise schon jahrelang persönlich. Der Deutsche Turnerbund ist mit 4,8 Millionen Mitgliedern in 17 000 Vereinen – darunter rund 1,8 Millionen Kinder und Jugendliche – und Tausenden Übungsleitern der zweitgrößte Spitzensportfachverband Deutschlands.