Ulrich Pfaff will im "Buch der Erinnerung" weiterer Opfer gedenken. Foto: Reimer

Ulrich Pfaff war damals noch ein kleiner Junge, etwa fünf Jahre alt. Doch er erinnert sich noch heute – wenn auch nur sehr vage – an eine Familie, die zur Zeit des Dritten Reichs in Altoberndorf regelmäßig unter den Eschen in der Nähe seines Wohnhauses kampierte.

Oberndorf-Altoberndorf - " ›Zigeuner‹ hat man sie damals genannt. Heute würde man sie Sinti, Roma oder Jenischen nennen", so Pfaff. "Ich und meine Geschwister haben draußen gespielt und sind herumgetapst", erinnert sich der 84-Jährige. Dabei haben sie immer wieder die fremdartigen Besucher bestaunt. "Für uns Kinder hatten diese Leute etwas exotisches."

Jeden Sommer kam die Familie in Altoberndorf vorbei, mitsamt Wohnwagen, Pferden und Hunden. Auf den Wiesen in der Nähe der heutigen Bushaltestelle Irslenbach schlugen sie jedes Mal ihr Lager auf. Sie gingen von Haus zu Haus und boten den Anwohnern an, kaputte Töpfe zu reparieren oder ihre Messer und Scheren zu schleifen. Durch die Reparatur von Haushaltsgegenständen haben sie sich ein bisschen Geld verdient. "Anschließend zogen sie weiter, bis sie im nächsten Sommer wiederkamen. Irgendwann kamen sie aber nicht mehr. Sie sind verschwunden."

An die Opfer erinnern

Pfaff ist inzwischen klar, was mit dieser Familie wohl geschehen ist. "Die Nationalsozialisten haben hunderttausende dieser ›Zigeuner‹ in Konzentrationslager verschleppt und ermordet." Die Familie ist wahrscheinlich den Massenmorden des nationalsozialistischen Regimes zum Opfer gefallen.

Pfaff will dem Schicksal dieser Familie auf den Grund gehen. Wie viel er herausfinden wird, ist aber unklar. Er steht noch ganz am Anfang seiner Spurensuche. "Aber vielleicht gibt es noch jemanden, der sich auch an diese Familie erinnert." Möglicherweise könnten andere Zeitzeugen mit ihm ihre Erinnerungen teilen.

Erinnerung – das ist für Pfaff das entscheidende Wort. "Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart", zitiert er den ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker. Pfaff selber ist seit jeher in der Initiative "27. Januar" in Oberndorf aktiv, die sich für die Erinnerungskultur in Oberndorf engagiert. Der 27. Januar ist der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.

Mahnmal soll ergänzt werden

Mit seiner eigenen Vergangenheit geht er offen um. "Ich wurde in dem NS-System sozialisiert und bin damit aufgewachsen." Sein Vater war damals überzeugter Nazi, der sich später selbst der Erinnerungskultur intensiv widmete. 1979 errichtete Hermann Pfaff daher auf seinem Anwesen in Altoberndorf ein Mahnmal gegen Krieg und Faschismus.

Ebenfalls unweit von Pfaffs Wohnort steht das "Buch der Erinnerung". Es wurde 2007 als Mahnmal in Gedenken an die Zwangsarbeiter, die damals in Oberndorf ums Leben kamen, eingeweiht. Die Initiative habe bei der Entstehung des Mahnmals mitgewirkt, so Pfaff.

308 Namen standen anfangs im Buch. 2015 wurden weitere Namen eingetragen. Es handelte sich um jüdische Opfer sowie um Opfer des nationalsozialistischen Euthanasie-Programms. Pfaff will, dass in dem Buch noch an weitere Opfergruppen erinnert wird. "Auch andere Menschen haben die Unterdrückung und die Verfolgung durch die Nationalsozialisten erlebt. Oppositionelle, Kirchenvertreter, Homosexuelle oder eben auch die Leute, die man damals als ›Zigeuner‹ oder ›fahrendes Volk‹ bezeichnete. "

Die Namen der Familienmitglieder herauszufinden, dürfte wohl nur schwer möglich sein, gesteht Pfaff ein. "Aber wenn sich einige Menschen an sie erinnern und über sie reden, ist das schon ein Anfang."