Satiriker Mike Jörg hat bei seinem Auftritt in Simmersfeld Politikern den Kopf gewaschen. Foto: Köncke Foto: Schwarzwälder Bote

Festspielhaus: Der Kabarettist präsentiert eine fast zweistündige Generalabrechnung / Themen von Populismus bis zur Gorch Fock

Eine Kanzlerin, die kurz vor der Heiligsprechung steht, ein Innenminister mit teuflischen Gedanken, ein Verkehrsminister, den die Autoindustrie eingeschleust hat – der Nagolder Satiriker Mike Jörg holte an Aschermittwoch im Simmersfelder Festspielhaus zum politischen Rundumschlag aus.

Simmersfeld. Traditionell werden zum Auftakt der Fastenzeit in bayerischen Festhallen und Bierzelten politische Giftpfeile abgeschossen. Warum nicht auch in Simmersfeld, dachte sich die Kulturwerkstatt und engagierte einen scharfzüngigen Kritiker, der 100 Minuten lang warnend seine Stimme über Gefahren für die Demokratie in Deutschland erhob, der über Konsumkapitalisten schimpfte, denen die Gesundheit von Menschen piepegal zu sein scheint und über Konzerne wetterte, die Gewinnmaximierung zum Götzen erhoben hätten.

Warum Mike Jörg mit geballter Faust, lauten Ho-Chi-Minh-Rufen samt passender Mütze auf dem Kopf, John-Lennon-Brille und einem Parka durch die Reihe der Bistrostühle eilte? Weil das für ihn Symbole der 68er-Bewegung sind und er einen Vergleich zur aktuellen politischen und gesellschaftlichen Situation ziehen wollte, um herauszufinden, wohin das Pendel – das auf der Bühne des Festspielhauses an einer Leiter baumelte – ausschlägt. Früher hatte der 69-Jährige zu seinen Auftritten einen großen Stapel Zeitungen mitgebracht, die er nach dem Verlesen von Überschriften und bissigem Kommentieren nach und nach in einer Mülltonne entsorgte. Diesmal stand neben seinem Stuhl ein Reißwolf, den er mit Originalaussagen diverser Entscheidungsträger fütterte.

Die 68er hätten mit vollem Magen, Wut im Bauch und befreitem Atem Missstände angeprangert und Visionen entwickelt. Und heute? Keine Aufbruchstimmung herrsche mehr in Deutschland, dafür sei die Zahl populistischer Politiker angewachsen. Wie der "Scheuer Andy", der sein Gewissen an Volkswagen verkauft habe und dem es offenbar nichts ausmache, wenn im letzten Jahr 96 000 Züge zu spät oder überhaupt nicht am Zielbahnhof angekommen seien. Oder "Flinten-Uschi", die nichts gewusst haben will von immensen Kostensteigerungen bei der Sanierung des Segelschulschiffs Gorch Fock.

Jörg würde nicht wundern, wenn Angela Merkel irgendwann von der eigenen Partei heilig gesprochen werde, nachdem sie verkündet hatte, nicht mehr als CDU-Vorsitzende zu kandidieren. Dabei habe die Kanzlerin Deutschland jahrelang im Wachkoma gehalten und die Menschen mit ihrer "Raute" hypnotisiert.

Bei Mike Jörg bekommen auch andere ihr Fett weg, wie der FDP-Vorsitzende Christian Lindner, der bei den Jamaika-Koalitionsverhandlungen herumgeeiert und Alexander Gauland, der versprochen habe, das deutsche Volk zurückzuholen. Dass die politische Landschaft zu weit nach rechts abdriftet, diese Besorgnis besteht für Mike Jörg nicht, weil sich die Menschen nach satten Wiesen sehnten, weshalb die Grünen bei Umfragen so beliebt seien.

Nach der Pause betrat der Satiriker die Weltbühne und fand auch dort genügend Futter, um seiner Empörung Ausdruck zu verleihen über selbstgefällige, testosterongesteuerte "Machtpsychopathen" (Trump, Erdogan, Putin, Orban), echte Stinkstiefel (Bolsonaro in Brasilien und Salvinii in Italien) und Verbrecher wie den saudiarabischen Prinzen Mohammed bin Salman, der den Befehl zur brutalen Ermordung des Regime-Kritikers Jamal Kashoggi gegeben habe.

Auch wenn es wahrlich genug Gründe gibt, sich fürchterlich aufzuregen, war die fast zweistündige Schwarzmalerei Jörgs dich schwere Kost. Vielleicht fiel deshalb der Schlussbeifall der 40 Zuhörer im Simmersfelder Festspielhaus recht verhalten aus.