Das Varieté im Simmersfelder Festspielhaus lag diesmal in den Händen der Entertainerin Ina Z. und ihrer Freunde
Von Martin Bernklau.
Simmersfeld. Da steht sie dann riesengroß und reicht im orangenen Reifrock fast bis zur Decke im Simmersfelder Festspielhaus – Ina Z. auf Stelzen. Die im Raum Tübingen-Reutlingen stationierte Kleinkunst-Entertainerin schmiss mit ihren Schweizer Freunden diesmal das traditionelle Zwischenjahrs-Varieté der Kulturwerkstatt. Und wie!
Varieté ist Vielfalt. Und weil sich wahrhaftig von Kind bis Greis heuer so viele Gäste angemeldet hatten, war ganz eng statt bistro-bestuhlt. Schon gegen sieben Uhr begann das kulturelle Großfamilientreffen zum Jahresende. Und trotz dichten Schneetreibens kamen sie alle. Bühne frei für Ina Z.s Kleinkunst war dann anderthalb Stunden später.
Varieté verbindet die Vielfalt, wo doch die superlativen Spezialisten auf allen Kanälen und Medien den Zirkusleuten und Kleinkünstlern das Wasser abgraben und die Butter vom Brot nehmen: die Megastars den Sängern und Diseusen, die Comedians den Clowns, die Magier den Zauberern, die Wunderkörper den Akrobaten, die Blender den Gauklern, die Schreihälse den Poeten. Von allem etwas hatte Ina Z. dabei, und für alle etwas Besonderes.
Am Klavier saß der Reutlinger Jazz-Pianist Clemens Wittel, ansonsten meist bescheiden und still auf sein versiertes Klavierspiel konzentriert, aber doch auch hin und wieder zu jeder Blödelei bereit. Mit dem Klamotten-Koffer zum Gebrauchen, Tauschen, Verschenken oder Wegwerfen gab die Unterhalterin ihren Mitspielern so eine Art motivischen Rahmen vor und kündigte als erstes das artistische Clowns-Pärchen Hermann und Henriette an, das eigentlich Karin und Gili heißt, aus Basel kommt und als Duo ComicCasa tourt.
Die Zwei drehen alle schon für sich genommen staunenswerte Akrobatik ins Komische. Fackeln und Messer wären natürlich ungleich dramatischer, aber sie jonglieren mit Pömpeln und werfen mit ihnen auf Klodeckel. Pömpel? Das sind die Gummidinger, mit denen man verstopfte Abflüsse frei macht. Verblüffung auch, wenn sich Henriette mit dem griffbereiten Reiniger mal kurz in den Mund sprüht oder sich ärschlings in das enge Fass plumpsen lässt und da elegant wieder heraus kommt. Da ist ja noch die Handstand-Nummer auf den Klötzchen zu machen, Hermanns Leiter-Walking mit netten Gags auf Kosten des Opfers aus dem Publikum und vieles mehr.
Die Trapezkünstlerin Roswitha Doebeli aus dem schweizerischen Zürich will an ihrem Zimmer-Gerät auch nicht spektakuläre Todes-Salti nachstellen, sondern zelebriert ihre Körperbeherrschung – im zweiten Teil auch mit einem schwarzen, als Schlinge herabhängenden Netz – mit Eleganz und Poesie. Die kunstvollen Fall-Elemente lassen im nach oben staunenden Publikum so ein wenig auch den Atem stocken.
Ronaldo aus dem Wallis ist Bauchredner, auch so eine alte Gaukler-Kunst, die an und für sich schon lang nicht mehr das Staunen der Welt erregt. Ronaldo, hauptberuflich Lehrer, kombiniert diese Fertigkeit mit dieser besonderen Art gemächlichen Schweizer Humors, die eher mit Zeitzündern funktioniert als mit Knallfrosch-Feuerwerk. Im ersten Teil ist eine Puppe sein Pendant, im zweiten zwei Zuschauer, die mit herrlichen Mund-Masken gerne mitjuxen.
Ina Z. selber macht alles. Sie moderiert mit dem Akkordeon, erzählt melancholische Geschichten, verkleidet sich andauernd, singt zum Klavier Chansons und Songs und die frechen Berliner Lieder der Zwanziger, gibt den Clown, gaukelt mit Feuer aus Stoff und macht Josephine Bakers Bananenröckchen-Tanz ebenso nett nach wie sie dümmliche Cheerleaderei und das gleichgeschaltete Gehopse in den gängigen modischen Bewegungs-Mustern karikiert. Nicht böse, nein! Es ist Unterhaltung, Kleinkunst, bester Sorte. Einen Spaß will sie sich machen, und dem Publikum auch. Das applaudierte dankbar für jede Nummer eines so feinen wie wundervoll bunten Varieté-Abends. Und am Ende ganz lang.