Die deutsche Kultur in Siebenbürgen kann nur überleben, wenn Roma-Familien dafür zu begeistern sind mitzuhelfen. Caroline Ferolends Projekt baut auf Hoffnung und verkraftet Rückschläge.
Die deutsche Kultur in Siebenbürgen kann nur überleben, wenn Roma-Familien dafür zu begeistern sind mitzuhelfen. Caroline Ferolends Projekt baut auf Hoffnung und verkraftet Rückschläge.
Deutsch Weisskirch - Es sind die Alten, die erzählen. Von früher. Worüber sonst? Männer und Frauen wie Johannes Schaas und Sara Dootz. Von den Kirchenburgen wissen sie zu singen, vom deutschen Leben in Siebenbürgen, von einer 800-jährigen Geschichte und der Reformation im Schatten der schneebedeckten Karpaten. Sie reden viel und stolz von der Vergangenheit. Denn die Zukunft macht Angst.
Der Schaasen-Hans sitzt auf den Stufen des Kirchenportals. Unter der Mütze züngeln graue Haarsträhnen. „Sie sind in Reichesdorf“, sagt der 80-Jährige und lächelt gewitzt. „In Rei-ches-dorf“, wiederholt er gedehnt, „nicht in Richis!“ Richis heißt das Dörfchen auf Rumänisch. Schaas schüttelt den Kopf. Er erzählt lieber von früher, von fleißigen und wohlhabenden Sachsen-Bauern. „Alle Berge waren mit Wein bepflanzt. Von Budapest bis Konstantinopel trank man Wein aus Reichesdorf.“ Es war einmal. In den Hängen verlieren die Bäume ihr Laub.
Seit gut zehn Generationen lebt die Familie Schaas in Reichesdorf. Jetzt sind Johann und seine Frau Hanni die letzten Sachsen im 800-Seelen-Dorf. Seine Kinder? „Sind in Deutschland“, sagt Schaas knapp. „Die kommen nicht zurück.“ Der 80-Jährige ist seit vielen Jahren Kurator, führt Besucher durch die verwundete Kirchenburg, in der die Orgel längst keine Pfeifen mehr hat.
Aus Kirchen wurden Wehranlagen
Die rund 150 Kirchenburgen sind die markantesten Zeugen der deutschen Geschichte des stets umkämpften Siebenbürgen, das seit 1918 zu Rumänien gehört. Möglich, dass die ersten Kirchenbefestigungen schon vor dem Mongolensturm von 1241/42 entstanden. Sicher ist, dass die deutschen Siedler aus ihrer alten Heimat die Gewohnheit mitbrachten, bei kriegerischen Auseinandersetzungen das Dorf preiszugeben und in trutzigen Festen Leben und Habe zu retten.
Als die Türken 1395 in Siebenbürgen eindringen, werden aus Kirchen Wehranlagen. Mauern werden – oft in mehreren Ringen um die Kirche – erhöht, überdachte Wehrgänge gebaut, Wehrtürme mit Schießscharten, Gusslöchern und Pechnasen hochgezogen. In Friedenszeiten dienen die Kirchenburgen mit ihren „Specktürmen“ als Vorratslager. Um die Kirche herum wachsen Dörfer mit den typischen giebelständigen Häusern mit großen Toreinfahrten.
Nur ein paar Kilometer von Reichesdorf entfernt hat es die Kirchenburg in Birthälm, dem ehemaligen Bischofssitz der Siebenbürger Sachsen, bis auf die Welterbeliste der Unesco geschafft. Gottesdienste werden auch hier nur noch selten gefeiert. Kein Wunder, dass Pfarrer Ulf Ziegler auf den Tourismus setzt, um seine Kirche instand zu setzen. Über 73 Stufen geht es an der Nordseite zum inneren Burghof, wo Paul Schuster 1700 der Letzte war, dem das Sünderglöcklein läutete. Vor der Hinrichtung. Weiter zum Ehekerker, in dem sich streitlustige Paare wochenlang nicht nur ein schmales Bett teilen mussten. „In 300 Jahren hat es nur eine Scheidung gegeben“, sagt Ziegler und grinst.
Rund 440 000 Deutsche reisten 2012 nach Rumänien
Der 44-Jährige zeigt Rumäniens größten Marienaltar, alte Kirchenbänke ohne Rückenlehnen, damit die Frauen die Bänder der Tracht herunterhängen lassen konnten, auch das jahrhundertealte Türschloss zur Sakristei, das 1900 zur Weltausstellung nach Paris geschickt wurde. „Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit“, so steht es auf das Tuch der aus einem einzigen Sandsteinblock gehauenen Kanzlel gestickt. 30 000 Besucher werden in diesem Jahr nach Birthälm kommen, wenige von ihnen für 15 Euro im „Dornröschen“, dem renovierten Gästehaus der Pfarrei, übernachten. Neun Mitarbeiter hat Ziegler beschäftigt. „Die Pfarrei lebt zu 90 Prozent vom Tourismus“, sagt der Pfarrer.
Rund 440 000 Deutsche reisten 2012 nach Rumänien – die meisten ans Schwarze Meer, ins Donau-Delta, nach Bukarest. Der Tourismus in Siebenbürgen sei eben noch nicht „sehr koordiniert“, aber die Gegend habe „Riesenpotenzial“, glaubt der deutsche Generalkonsul Thomas Gerlach in der prächtig renovierten europäischen Kulturhauptstadt von 2007, Hermannstadt.
„Wir brauchen die richtigen Touristen, die verstehen, was wir wollen“, sagt Caroline Fernolend. Um die 50-Jährige dreht sich in dem Flecken Deutsch Weißkirch alles. Sie sorgt für einen Leiterwagen und lässt die Gäste darauf kreuz und quer durch Wald und Flur, über abgeerntete Felder holpern. „Der Kutscher ist ein Roma“, erzählt sie, „er bekommt 15 Euro für die dreistündige Fahrt, damit alle Roma sehen: Auch sie profitieren vom Tourismus.“
Caroline Fernolend hat eine Mission: Sie will das deutsche Kulturgut, ihre Kirchenburg retten: „Das geht nur, wenn wir die Roma gewinnen mitzumachen.“ Was soll sie sonst machen? 300 Roma leben heute in Deutsch Weißkirch, 100 Rumänen, 15 Sachsen. 1930 waren es 562 unter 787.
EU-Umwelt-Richtlinien machen Piroschka und Imre arbeitslos
Der Wagen rumpelt über die Gemeindewiese mit der großen Schafherde, vorbei an Schweinen, Ziegen, Pferden mit ihren Fohlen, Enten und Gänsen, bis im Wald ein großer Meiler auftaucht. Eine Fahrt in die Vergangenheit, wieder einmal. Imre und Piroschka, die ungarischen Köhler, arbeiten hier von März bis Dezember. Imre steht hustend auf dem rauchenden Hügel. 170 Lei, rund 45 Euro, bekommen sie pro Tonne Holzkohle. Doch demnächst geht das Feuer aus. EU-Umwelt-Richtlinien machen Piroschka und Imre arbeitslos.
„Oftmals wollt ich schon verzagen und dacht, ich trüg es nie, und hab es doch ertragen, fragt mich nur nicht wie.“ Der Heinrich-Heine-Spruch ist auf ein Tuch gestickt, das im Flur von Caroline Ferolends bescheidenem Schwiegerelternhaus hängt. Vielsagend zeigt sie zum Doppelehebett in der Wohnküche, in dem oben das junge Paar und unten im Bettkasten das alte schlief: „Wenn keine Scheunen gewesen wären, wär’ Weißkirch kinderlos geblieben.“
Damals. Früher. So fangen sie alle an, die Sachsen-Geschichten in Deutsch Weißkirch, Großkopisch, Honigberg, Kleinschenk, Kerz, Mediasch, Radeln, Heltau, Wolkendorf und im 1317 erstmals urkundlich erwähnten Waldhütten. Oder in Michelsberg, wo auf dem Berg zwischen Apfelgärten die älteste romanische Basilika mit einem einfachen Bering mit Zinnenkranz thront. Im märchenhaften Schässburg, wo angeblich das Geburtshaus des Grafen Dracula steht, den sie Vlad, den Pfähler nennen, ist die reformierte Gemeinde noch 400 Köpfe stark, die deutsche Schule intakt wie der deutsche Friedhof.
In Kronstadt zählt die evangelische Homerus-Gemeinde mit ihrer berühmten Schwarzen Kirche, dem Wahrzeichen des Burzenlandes, noch 1000 Mitglieder, sagt Pfarrer Christian Pajer. In Heltau sind es 400 von einstmals 5500. „Einige Kirchenburgen sind an die Orthodoxen verkauft worden, dann bleiben sie wenigstens erhalten, auch wenn sie umgebaut werden“, sagt Muntean Ciprian, der rumänische Kirchenführer. 18 Kirchenburgen werden seit zwei Jahren mit großzügiger Finanzhilfe der Bundesregierung und der EU instand gesetzt.
Caroline Fernolend kämpft im Gemeinderat für die Integration der Zigeuner
Ja, es wird viel beerdigt in den deutschen Pfarreien. „Viele Pfarrer haben schon seit Jahren keine Taufe mehr gehabt“, sagt Ulf Ziegler. Doch es klingt nicht mutlos. „Es geht wieder voran“, sagt Fernolend. 14 000 Besucher wird sie in diesem Jahr in Deutsch Weißkirch zählen, knapp 9000 Übernachtungen. Ihre Mutter Sara Dootz hütet seit über 20 Jahren das 1225 erbaute Welterbe („Ein Ehrentitel, der kein Geld bringt“), hat sie alle auf der Kirchenburg begrüßt. Hat ihnen von ihren Vorfahren aus Luxemburg, vom Rheinland und der Mosel erzählt.
Mit hartem Sachsen-Akzent. Auch von Peter Maffay, dem Rocksänger, der im Dorf ein Haus besitzt („Makkay hat der mit richtigem Namen geheißen, seine Mutter kam aus Brenndorf“) und im nahen Radeln traumatisierte Kinder betreuen lässt. Oder von ihren Treffen mit Prinz Charles geschwärmt, der ein Bauernhaus als Schirmherr der Mihaiu-Eminescu-Stiftung gekauft hat und seit 2002 regelmäßig zu Besuch kommt. Noch immer schlägt die 77-Jährige um 12 Uhr die Glocke: „Ich bin Tag für Tag da.“ Einer ihrer Vorgänger hatte vom Gemeinderat zwei oder drei Säcke Weizen bekommen, weil er 38 Meter hinaufgehen musste, um die Uhr aufzuziehen. Früher. Längst ist die Uhr defekt. „Zum Glück“, sagt Sara Dootz.
Caroline Fernolend kämpft im Gemeinderat für die Integration der Zigeuner, nimmt bittere Rückschläge hin, rappelt sich auf, organisiert Roma-Frauenläden, in denen Socken, Topflappen und Pantoffeln verkauft werden. „In einigen Jahren werden hier keine Sachsen mehr leben“, sagt die 50-Jährige, deren jüngere Schwester Gerhild aus Deutschland wieder ins Dorf zurückgekehrt ist. Wie vor fünf Jahren Anna Rost mit Mann und Kindern. Jetzt führt sie im früheren Leibeigenen-Dorf Malmkrog das von der Mihai-Eminescu-Stiftung renovierte Gutshaus der ungarischen Adelsfamilie Apafi als Pension. Doch sie bleiben die Ausnahme.
„In einigen Jahrzehnten wird unsere Kultur nicht mehr ohne die Mithilfe der Roma überleben“, davon ist Caroline Ferolend überzeugt. Ihre Mutter lauscht ihren Worten. Manchmal schüttelt Sara Dootz den Kopf. Sagt, dass es unter den Roma gute Nachbarn und Helfer gebe, ja, aber: „Bei mir ist noch keiner im Haus gesessen.“ Dann nippt sie am Gläschen mit Tuika, dem von Schwiegersohn Walter gebrannten Pflaumenschnaps, und erzählt. Von früher.