Silvia (links) und Sally arbeiten als Prostituierte im Leonhardsviertel. Sie haben zurzeit keinen Zuhälter, der sie zwingt und unter Druck setzt – aber das ist die Ausnahme im Sex-Gewerbe. Foto: Peter Petsch

Kondompflicht für Freier, Mindestalter für Huren, mehr Auflagen für die Bordelle – so will die Stadt das Sexgewerbe eindämmen.

Kondompflicht für Freier, Mindestalter für Huren, mehr Auflagen für die Bordelle – so will die Stadt das Sexgewerbe eindämmen.

Stuttgart - Die Stadt will künftig verstärkt gegen Zwangs- und Armutsprostitution vorgehen. Dazu soll die Sex-Branche mit diversen Melde- und Konzessionsauflagen reglementiert und den Frauen unter anderem durch eine Kondompflicht für die Freier beigestanden werden.

„Wir wollen die Abwärtsspirale, in der sich die Prostitution seit einigen Jahren befindet, stoppen und das Grundübel bekämpfen“, sagt Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU). „In der Elendsprostitution müssen die Frauen ihre Menschenwürde zu Grabe tragen. Das ist für mich inakzeptabel“, sagt Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer (FDP). Am Donnerstag wollen Schairer, Fezer und Stuttgarts Polizeipräsident Franz Lutz die Eckpunkte klären. Falls OB Fritz Kuhn (Grüne) zustimmt, soll das „Bündnis gegen Zwangs- und Armutsprostitution“ im Gemeinderat beschlossen werden.

„Wir streben eine Linderung der Symptome an – wir wollen aber auch grundlegende Änderungen erreichen“, sagt Schairer. Falls das nicht gelinge, werde man „dem Milieu weiterhin hinterherrennen“. Das Bündnis soll nicht nur den Frauen helfen, deren missliche Lage offenkundig ist – wie auf dem illegalen Strich im Leonhards- und Bohnenviertel. Das Bündnis zielt auf die ganze Sex-Branche. Das ist der neue Ansatz.

500 aktiven Prostituierten pro Tag

Die Stuttgarter Polizei führt seit 2013 keine Statistik mehr über die Gesamtzahl der Prostituierten in der Stadt. Stand 2012 waren es rund 3400 Frauen. Heutzutage sagt die Polizei nur noch, dass sie von 500 aktiven Prostituierten pro Tag ausgeht. 84 Prozent haben keinen deutschen Pass. Tendenz steigend. Sie kommen überwiegend aus Rumänien, Ungarn, Bulgarien. „Die allermeisten Prostituierten, die derzeit in Stuttgart tätig sind, sind in einer subjektiven Zwangslage durch Armut und/oder Zwang“, erklärt Fezer. Mit dem Bündnis wolle man auch „die Strukturen und Mechanismen“ hinter dieser Elendsprostitution bekämpfen.

Der Maßnahmenkatalog, den Schairer für das Bündnis federführend konzipiert hat, ist umfangreich: Auf der Liste stehen für die Prostituierten die Rückkehr zur verpflichtenden, regelmäßigen Gesundheitskontrolle und zur Meldepflicht bei der Polizei. Außerdem soll die Altersgrenze für Prostituierte auf 21 Jahre angehoben werden. Damit wäre ein „objektiv überprüfbarer Sachverhalt“ geschaffen, der die Arbeit der Polizei in der Szene erleichtere und den Andrang junger Frauen aus Osteuropa eindämmen helfen könnte, argumentiert Schairer. Die Frauen in ihrer Gesamtheit dürften allerdings nicht in die Illegalität getrieben werden.

80 illegale Bordellbetriebe in der Stadt

Für Freier soll künftig eine sanktionierbare Kondompflicht wie in Bayern gelten. Für Bordellbetreiber ist eine Konzessionspflicht vorgesehen. „Wir sind auch der Auffassung, dass neue, objektiv feststellbare Straftatbestände zur illegalen Zuhälterei und zum Menschenhandel nötig sind“, sagt Schairer. Bisher sind Polizei und Staatsanwaltschaft auf Aussagen der Opfer angewiesen. Außerdem solle Paragraf 3 des Prostitutionsgesetzes gestrichen werden, meint Schairer. Der Paragraf erlaubt den Bordellchefs ein „eingeschränktes Weisungsrecht“ gegenüber den oft nur zum Schein selbstständig tätigen Prostituierten; was Experten als Verstoß gegen die Menschenwürde werten.

Zur Umsetzung aller Maßnahmen des Bündnisses müssten zum Teil Landesgesetze – wie bei der Kondompflicht, die von der baden-württembergischen Sozialministerin Karin Altpeter (SPD) abgelehnt wird – oder sogar Bundesgesetze geändert werden. Dazu will die Stadt über den Städtetag und die Bundespolitik gehen. „Wir sehen außerdem ein gewisses Vollzugsdefizit“, sagt Schairer. Sprich: Auch Polizei und Justiz sollten entschlossener als bisher den Kampf gegen die Elendsprostitution aufnehmen.

Dass die Stadt selbst Mühe hat, die rund 80 illegalen Bordellbetriebe in der Stadt über das Baurecht oder Sperrvermerke im Grundbuch zu schließen, räumt der Bürgermeister ein. Meist dauert es Jahre, ehe ein wirksames Gerichtsurteil vorliegt. „Trotzdem: Wer Prostitution ermöglicht und wer daran verdient, muss ordnungsrechtlich gemaßregelt werden“, sagt Schairer.

Die neue harte Linie gegen das Sex-Gewerbe im Bündnis soll wie bisher von sozialen Hilfen für Prostituierte flankiert werden. „Unsere zentrale Aufgabe ist, die Frauen gesundheitlich und sozial zu betreuen sowie sie auf dem Weg zum Ausstieg aus der Prostitution zu begleiten“, sagt Fezer.