Eine beispiellose Serie von neun Ausbrüchen binnen fünf Tagen bringt Berlins Justizsenator unter Druck. Im Internet kursiert die aktuelle Reihe von Gefängnisausbrüchen bereits unter dem Spruch „Tage der offenen Tür“.
Berlin - Manchmal hilft nur noch Humor – und so bezeichnen manche im Internet die aktuelle Reihe von Gefängnisausbrüchen in Berlin nur noch als „Tage der offenen Tür“. In der Tat hat die Hauptstadt eine derartige Serie von Fluchten und so genannten Entweichungen noch nie gesehen: Binnen fünf Tagen konnten neun Gefangene aus der Justizvollzugsanstalt Plötzensee entkommen. Dabei erhöhte sich die Zahl am Dienstagnachmittag um zwei weitere Fälle, die der Grünen-Justizsenator Dirk Behrendt erst zu diesem Zeitpunkt einräumte. Es handele sich in diesem Fall nicht um klassische Ausbrüche, so der Politiker. Unklar war, wie die Männer, die offenbar im offenen Vollzug waren, entkamen oder ob sie nach einem Freigang ausblieben.
Begonnen hatte die Serie am vergangenen Donnerstag – vier Häftlinge im Alter zwischen 27 und 38 Jahren brachen mit einem Trennschleifer und einem Hammer durch einen Lüftungsschacht in der Mauer. Die Ausbrecher saßen wegen schwerer Körperverletzung, Diebstahls und Einbruch. Die Männer arbeiteten in einer Autowerkstatt, die an den entsprechenden Heizungsraum grenzt, der aus unerklärlichen Gründen nicht verschlossen war. Die 15 Arbeiter in der Werkstatt wurden von drei Bediensteten überwacht. Die Flucht war, obwohl per Kamera aufgezeichnet, erst nach Stunden bemerkt worden.
Erst am Freitagmorgen bemerkte die JVA dann, dass ein weiterer Gefangener am Donnerstagabend nicht aus dem offenen Vollzug zurückgekehrt war. Obwohl nach diesen Ausbrüchen eine Überprüfung der Sicherheitsstandards angekündigt worden war, entkamen dann am Samstag und Sonntag jeweils ein Häftling auf bisher unklare Weise und am Montagmorgen zwei Gefangene durch das Fenster einer Nachbarzelle, vor dem sie ein Gitter herausbrachen – auch hier fiel das Fehlen erst nach Stunden auf. Besonders seltsam an diesem Fall: beide Häftlinge befinden sich im offenen Vollzug, hätten also das Gefängnis morgens einfach durch die Tür verlassen können. Beide saßen wegen Schwarzfahrens. Einer wäre im Februar frei gekommen. Inzwischen hat sich einer der beiden gestellt, auch einer der vier Flüchtenden vom Donnerstag tauchte am Dienstag bei der Polizei auf.
Die letzte Flucht ist lange her
Der Justizsenator steht inzwischen politisch unter Druck, nicht nur aus der Opposition, auch vom Koalitionspartner SPD kamen Rücktrittsforderungen. Auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) schaltete sich am Dienstag ein und versicherte der Zeitung „B.Z.“, es werde für Aufklärung gesorgt.
Ausbruch mit Flex und Hammer
Behrendt hatte nach dem ersten Ausbruch bereits Fehler eingestanden und eine „Schwachstellenanalyse“ der teilweise sehr alten Haftanstalten angekündigt. Am Dienstag erklärte er erneut sein Bedauern und seine Bereitschaft zur Aufklärung. Er verwies zugleich darauf, dass so genannte Entweichungen im offenen Vollzug, in dem die Sicherheitsvorkehrungen nicht streng sind, keine Seltenheit seien. Im vergangenen Jahr waren dies 42, es handelt sich nicht um Schwerkriminelle.
Unter den sechs Gefängnissen der Stadt hat Plötzensee mit 360 Plätzen eine mittlere Sicherheitsstufe. Gefängnisausbrüche sind relativ selten. Die letzte Flucht aus einer Berliner Anstalt gelang 2014 zwei Gefangenen in Moabit – damals unter der Verantwortung des CDU-Senators Thomas Heilmann. Seine Partei griff nun Heilmanns Nachfolger scharf an. Der CDU-Innenexperte Burkhard Dregger sagte, früher seien in solchen Fällen Justizsenatoren zurückgetreten. Das allerdings ist lange her – und die Gefangenen damals waren andere Kaliber: Sowohl 1976 als auch 1978 traten die FDP-Justizsenatoren zurück, weil mehreren RAF-Terroristen spektakuläre Fluchten gelungen waren.
Auch die AfD griff den Senator heftig an. Behrendt sei fachlich eine „Schande für Berlin“, sagte Fraktionschef Georg Pazderski. „Während die Gefängnis-Klos gegendert, die Zellen mit WLAN luxusausgestattet und die Essenssäle auf Hotelniveau gebracht werden, steigen die Ausbrüche aus auf Rekordniveau.“