Das Bauen und Werkeln ist dem Menschen in die Wiege gelegt. Bob den Baumeister gab es schon in der Urzeit. Vor 476 000 Jahren haben Vorfahren des modernen Menschen Holz benutzt, um damit zu bauen. Am Südostufer des Tanganjikasee in Ostafrika haben Forscher Überreste von Holzstämmen gefunden, die offenbar genau dazu dienten.
Afrika vor rund 476 000 Jahren. Am Ufer der Kalambo-Wasserfälle an der Grenze zwischen dem heutigen Sambia und Tansania am Südostufer des gewaltigen Tanganjikasees (englisch: Lake Tanganyika) lebt eine Homo-erectus-Gruppe.
Vielleicht haben sie sich häuslich eingerichtet und Behausungen erbaut, für die sie Holzstämme aus den nahegelegenen Wäldern nutzen. Vielleicht jagen sie am Seeufer nach Fischen oder zerlegen Wildfleisch von einer Jagdbeute, das sie auf einem Feuer garen.
Die kleine Gruppe gehört zur Gattung der Homininae, einer Unterfamilie der Menschenaffen. Vorfahren des modernen Menschen, des Homo sapiens, dessen älteste Funde in Marokko rund 300 000 Jahre alt sind.
Das Rätsel der 476 000 Jahre alten Holzstämme
Hier, am Südostufer des Sees, bei den Kalambo-Fällen haben britische Archäologen im schlammigen Uferbereich zwei große Holzstämme gefunden. Sie sollen vor 476 000 Jahren als Fundament einer Plattform oder Teil einer Behausung gedient haben, mutmaßen die Forscher.
Damit wären die konservirten Überreste die ältesten bisher bekannten Hinweise dafür, dass Frühmenschen schon vor fast einer halben Million Jahren hölzerne Konstruktionen erschufen. Das berichten Larry Barham und sein Forscherteam von der englischen Universität Liverpool und der walisischen Universität Aberystwyth in einer am Dienstag (20. September) veröffentlichten Studie in der Fachzeitschrift „Nature“.
Hier können Sie die komplette Studie lesen.
Out of Africa: Die Entstehung des Homo erectus
Ostafrika, vor allem die Gegend um den Tanganjikasee, gilt als eine Wiege der Menschheit. Die Out-of-Africa-Theorie, wonach alle Frühmenschen von der südlichen Halbkugel der Erde stammten, ist längst Allgemeingut der Paläoanthropologie – also jener Wissenschaft, die sich mit den alten, stammesgeschichtlich frühen und ausgestorbenen Arten der Homininae beschäftigt.
Vor zwei Millionen Jahren entstand in Ostafrika ein weiterer Ast auf dem evolutionsgeshichtlichen Weg zum modernen Menschen – Homo erectus. Dieser Frühmensch hatte ein kräftiges, größeres Skelett und einen massiven Schädelknochenbau. Bereits vor 1,5 Millionen Jahren machten sich Gruppen des Homo Erectus auf und verließen Afrika.
Über den Nahen Osten zogen diese kleinen Clans bis nach Südost- und Ostasien sowie nach Südeuropa, wo sie den Zweig des Homo heidelbergensis begründeten, der vor rund 700 000 Jahren in Mitteleuropa auftauchte.
Beherrscher des Feuers, Erfinder des Speers, erster Baumeister
Homo erectus war groß von Gestalt und zudem ein guter Läufer, der größere Tiere wie Antilopen jagte. Da er ein größeres Hirnvolumen als seine Vorfahren hatte, war er höchst geschickt im Bau von Werkzeugen.
Wahrscheinlich war auch er es, der mit dem Speer die erste bewusst von Hand gefertigte Fernwaffe kreierte. Und er war der erste Frühmensch, der das Feuer zähmte und Werkzeuge erschuf, um Behausungen zu bauen. Der erste Baumeister in der Evolutionsgeschichte des Menschen war geboren.
Wiege der Menschheit – der Tanganjikasee
Doch warum siedelte dr Homo erectus am Tanganjikasee? Mit einem Alter von über 15 Millionen Jahren und einer Tiefe von fast 1,5 Kilometern ist er nach dem Baikalsee in Sibirien der zweitälteste und zweittiefste Binnensee der Welt.
Mit einer maximalen Breite von 50 Kilometer und einer Länge von 700 Kilometer hat er zudem eine außergewöhnliche Form und birgt eine enorm reiche maritime Vielfalt. Rund 1500 Tier- und Pflanzenarten sind am Tanganjikasee beheimatet, etwa 40 Prozent davon sind nur dort zu finden. Zudem ist das Klima perfekt zum Überleben. Ideale Voraussetzungen also für eine Besiedlung durch den Homo erectus.
Die Kalambo-Fälle gehören mit 235 Meter zu den höchsten Wasserfällen Afrikas. Sie liegen an der Grenze zwischen Sambia und Tansania am südöstlichen Ende des Sees. Archäologisch gesehen ist Kalambo einer der wichtigsten prähistorischen Fundorte Afrikas.
Urzeitliche Holzbauten bei den Kalambo-Fällen
Zurück zu dem außergewöhnlichen Fund: Die Radiokarbonmethode hat ein Alter der Hölzer von mindestens 476 000 Jahren ergeben – also weit vor der Evolution des Homo sapiens. Ein dauerhaft hoher Wasserstand im See habe das Holz über die lange Zeit konserviert, schreiben die Forscher.
Der Fund deutet darauf hin, dass Urmenschen sehr viel früher als bisher angenommen Holz nutzen, um daraus bauliche Strukturen zu erschaffen. Der Fund stelle zudem eine bis dato gängige Theorie infrage, erklären die Wissenschaftler. Dass nämlich die Frühmenschen der damaligen Zeit Nomaden waren. Die Gegend um die Kalambo-Fälle bot ihnen alles, was sie zum Überleben brauchten: eine Wasserquelle, ausreichend Nahrung und Baumaterialien aus den nahen Wäldern.
Steinwerkzeuge zur Holzbearbeitung
Die Wissenschaftler analysierten darüberhinaus auch Schnittmarken von Steinwerkzeugen auf dem Holz. Das Ergebnis sei der früheste Nachweis für eine bewusste Bearbeitung von Holzstämmen, die zu einer Konstruktion zusammengefügt wurden, schreibt das Team. Bisher gab es nur Belege dafür, dass Menschen Holz verwendeten, um Feuer zu machen oder Jagdspeere daraus zu fertigen.
„Vergessen Sie die Bezeichnung Steinzeit, schauen Sie sich an, was diese Menschen taten: Sie stellten etwas Neues und Großes aus Holz her“, erläutert Larry Barham von der Universität Liverpool. „Sie veränderten ihre Umgebung, um sich das Leben zu erleichtern und sei es nur, indem sie eine Plattform bauten, auf der sie am Fluss sitzen konnten, um ihre tägliche Arbeit zu verrichten. Diese Leute waren uns ähnlicher, als wir dachten.“