Zwischen Verfolgung und Beharrlichkeit – ein Stadtrundgang hat Stationen des jüdisches Lebens in Freiburg aufgezeigt.
Seit wann Juden in Freiburg leben, weiß niemand so genau. Bekannt ist jedoch, wann sie zum ersten Mal verfolgt und aus der Stadtgemeinschaft ausgeschlossen wurden, berichtet Thierry Frenkel, Kulturbeauftragter der Israelitischen Gemeinde in Freiburg, beim Stadtrundgang, zu dem die Grünen-Landtagsabgeordnete Nadyne Saint-Cast eingeladen hat. Anfang des 15. Jahrhunderts, wenige Jahre nach dem Ausbruch der Pest, wurden Juden gefoltert und aus der Stadt vertrieben. Man warf ihnen vor, für die Pesttoten verantwortlich zu sein und die Brunnen der Freiburger vergiftet zu haben. Ein antisemitischer Mythos, der bis heute vielen geläufig ist.
In der Folge siedelten sich die Freiburger Juden des Mittelalters in der Kaiserstuhlregion und in Breisach am Rhein an, viele widmeten sich dem Weinbau, so Frenkel weiter: „Den Wein durften sie auch in der Stadt auf dem Markt verkaufen, aber abends mussten sie raus aus der Stadt.“
Antisemitismus ist immer noch weit verbreitet
Antisemitismus war immer und ist auch heute – wieder – ein Thema, mit dem sich die jüdische Gemeinde konfrontiert sieht und das bis in die Schulen hinein präsent sei, so Nadyne Saint-Cast. Man dürfe aber nicht vermischen, was sich im jüdischen Leben vor Ort abspiele, und was die derzeitige Regierung Israels tue, so die Abgeordnete. Es sei wichtig, dem Antisemitismus durch Begegnung mit jüdischem Leben etwas entgegenzusetzen. Frenkel ergänzte die Frage, wo angesichts des grassierenden Hasses gegen Juden in Deutschland derzeit eigentlich der öffentliche Aufschrei bleibe.
Erst durch ein Edikt Napoleons konnten sich Juden ab dem frühen 19. Jahrhundert wieder in den Städten ansiedeln. Um 1860 lebten in Freiburg etwa 1000 Menschen jüdischen Glaubens. „Die Idee für den Bau einer Synagoge konnte mit finanzieller Hilfe der jüdischen Gemeinde in Mannheim umgesetzt werden“, berichtet Frenkel. Der Bau am heutigen Platz der Alten Synagoge wurde 1925 sogar erweitert. 1938, in der Pogromnacht im November, wurde die Synagoge unter den Augen der Freiburger Feuerwehr von den Nationalsozialisten niedergebrannt.
Damals lebten 1400 Juden in Freiburg. „Viele hatten sich da bereits in die USA abgesetzt“, so Frenkel. Die letzten 400 Freiburger-Juden wurden am 22. Oktober 1940 ins südfranzösische Internierungslager Gurs verschleppt. „Die wenigsten haben überlebt, die meisten wurden weiter nach Auschwitz deportiert.“
Das Gedenken an die Mordopfer der Nationalsozialisten in Freiburg hält vor allem eine Frau lebendig: Marlies Meckel rief 2002 die Stolperstein-Initiative in der Stadt ins Leben. „Mittlerweile haben wir rund 550 Stolpersteine verlegt“, berichtet sie. Beim Stadtrundgang hält sie die Teilnehmer dazu an, die Steine putzen zu helfen. Erinnerungsarbeit hautnah. Die kleinen Gedenktafeln im Kopfsteinpflaster der Altstadt erinnern nicht nur an ermordete Juden, sondern auch an Menschen wie den Sozialdemokraten und Abgeordneten Stefan Maier, der von den Nazis mit einem Hammer zu Tode geprügelt wurde – allein, weil er Mitglied der SPD war.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges kehrten bald wieder Juden in die Stadt zurück, berichtet Thierry Frenkel. Die ersten Gottesdienste wurden in Wohnungen improvisiert und im Historischen Kaufhaus gefeiert. Nur wenige Gegenstände aus der zerstörten Synagoge konnten gerettet werden, darunter zwei große Holztüren.
Holztüren aus der Alten Synagoge wurden gerettet
„Die Türen hatte sich jemand nach der Pogromnacht als Brennholz unter den Nagel gerissen“, so Frenkel. Jahrzehnte später brachten reumütige Nachfahren des Diebes sie zurück. Heute bilden sie den Eingang zum Betsaal in der Freiburger Synagoge, die in den 1980er-Jahren gebaut wurde und heute das streng gesicherte Zentrum jüdischen Lebens in Freiburg darstellt.
Im luftigen, mit hellem Holz verkleideten Saal berichtete Frenkel nicht nur von den Traditionen und Regeln des jüdischen Glaubens, sondern zeigte den rund 40 Teilnehmern des Stadtrundgangs auch die Tora-Rollen, aus denen im Gottesdienst rezitiert wird.
Eine dieser Rollen wurde aus den Trümmern der Alten Synagoge geborgen und wird, nachdem sie restauriert werden konnte, von der Gemeinde wie ein Schatz gehütet. Ein Symbol der Beharrlichkeit, mit der Juden um ihren Platz in der Stadt immer wieder mit Erfolg gerungen haben. Heute zählt die jüdische Gemeinde in Freiburg rund 500 Mitglieder, viele von ihnen kamen in den 1980er-Jahren als Verfolgte aus der damaligen UdSSR nach Deutschland oder gehören zu deren Nachfahren.