Gemeinsam im Kugelhagel: Angehörige der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) und des Spezialeinsatzkommandos (SEK) Foto: 7aktuell.de/ /Hessenauer

Am vergangenen Mittwoch schoss bei Boxberg ein „Reichsbürger“ minutenlang auf Polizisten. Auch auf die das Spezialeinsatzkommando unterstützenden Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit. Auch wenn solche Razzien längst zu deren Alltag gehören – ausgerüstet ist sie dafür nicht.

Das Maschinengewehr steht auf dem Boden des Wohnzimmers, nur einen Schritt vom runden Esstisch und seinen Stühlen entfernt. Ein Gurt mit Patronen ist eingelegt. In vielen der verkohlten Zimmer finden Kriminalisten griffbereite Kalaschnikow-Sturmgewehre, Magazine mit den Patronen in die Schächte eingeführt. Der „Reichsbürger“ in Boxberg-Bobstadt war vorbereitet, als die Polizei am vergangenen Mittwoch sein Haus durchsuchen wollte, um eine Glock-Pistole einzuziehen, deren Besitz dem 54-jährigen die Stadt Bad Mergentheim 2006 erlaubt hatte. Eine Entscheidung, die das Landratsamt des Main-Tauber-Kreises aber im vergangenen Jahr widerrief, weil der Mann den Beamten suspekt wurde.

Nicht zum ersten Mal, dass die Polizei in der Region nach Waffen bei Rechtsradikalen fahndete: 2017 beschlagnahmte sie – zufällig nach einem Hausbrand in Neuenstein im Hohenlohekreis - Maschinenpistolen, Gewehre, Revolver und mehr als 1500 Schuss Munition. Die beiden Besitzer gehörten zur rechtsextremen Gruppe „Hohenlohe wacht auf“. Sie hätten sich, sagten sie bei der Vernehmung, auf einen „Bürgerkrieg“, den „Einmarsch von Erdogan in Deutschland“ vorbereiten wollen.

Was für das Spezialeinsatzkommando (SEK) und die es unterstützende Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) wie ein Routineeinsatz begann, entwickelte sich am 20. April 2022 zum längsten Feuergefecht zwischen Polizisten und Straftätern in Deutschland seit der Festnahme des RAF-Terroristen Andreas Baader 1972 in Frankfurt.

Auch das bayerische SEK war in Boxberg im Einsatz

Die Dynamik des Einsatzes verdeutlicht ein Pressefoto, dass am späten Vormittag in Bobstadt aufgenommen wurde: Es zeigt einen gepanzerten Mannschaftstransporter vom Typ Enok 6.2 mit aufgebautem Maschinengewehr. Beide Systeme hat die Polizei Baden-Württemberg nicht in ihren Rüstkammern. Einzig das bayerische SEK ist damit ausgerüstet, das offenbar zur Hilfe gerufen wurde. Einen Umstand, den die Polizeiführer auf der Pressekonferenz am Donnerstag nicht ansprachen.

Wie auch diesen nicht: In den minutenlangen Geschosshagel des sogenannten Reichsbürgers gerieten nicht nur die SEKler. In der Gefahrenzone waren auch Frauen und Männer einer BFE aus Bruchsal: Deren Schutzwesten hätten von der im Haus aufgefundenen Munition des Kalibers 7,62 x 39 durchschlagen werden können. Dutzende Einschüsse fanden Forensiker auf den Einsatzfahrzeugen des SEK, das Panzerglas der Schutzschilde verhinderte ebenso Schlimmeres wie die Schutzwesten: Einem der Elitepolizisten schoss der mutmaßliche Rechtsradikale in die Oberschenkel.

Immer wieder unterstützen die BFE ihre Kollegen des Kommandos: Wenn befürchtet wird, dass sich Nachbarn oder Sympathisanten bei einer Durchsuchung mit den Beschuldigten solidarisieren. Während das SEK jedoch für solche Lagen ausgerüstet und ausgebildet ist, mangelt es den sechs BFE Baden-Württembergs genau daran.

Nicht nur Tumulte in den Griff bekommen

BFE sind in Baden-Württemberg offiziell bei aus dem Ruder laufenden Demonstrationen und Fußballspielen das letzte Mittel des Polizeiführers, um Lagen wieder zu kontrollieren. Dazu sind die Einheiten auch im gesamten Bundesgebiet unterwegs: bei der Räumung besetzter Häuser in Berlin oder des Hambacher Forstes bei Köln. Die Frauen und Männer sind dafür besonders ausgebildet und ausgerüstet, unterscheiden sich darin von den anderen Bereitschaftspolizisten. Das SEK wird bei Demonstrationen im Südwesten nie eingesetzt.

Das wird im Gegensatz dazu in Marsch gesetzt, wenn Ermittler wissen, dass Verdächtige über Schusswaffen oder andere Waffen verfügen. Gibt es darauf keine konkreten Erkenntnisse, die Polizei geht aber davon aus, dass der Beschuldigte gewaltbereit ist, werden für Durchsuchungen BFE eingesetzt. Rechnen in der Gefahrenanalyse die Polizeiführer damit, dass dem SEK während der Razzia der Rücken freigehalten werden muss, setzen sie – wie in Bobstadt – das Kommando und die BFE ein.

Der gemeinsame Einsatz von SEK und BFE ist auch in Baden-Württemberg längst Alltag. Öffentlich bekannt ist die tagelange Fahndung nach einem Mann in den Wäldern bei Oppenau im Schwarzwald im Juli 2020. Der Täter hatte zuvor vier Polizisten entwaffnet. Damals sicherten die BFLer die Einsatzräume des Kommandos, durchsuchten Hütten und eine Wohnung. Als der Einsatz aufgearbeitet wurde, wurde sehr schnell klar, dass es im Land keine speziell ausgebildeten und ausgestatteten Einheiten gibt, die das SEK in komplexen Lagen unterstützen. Behelfsmäßig greifen Polizeiführer dafür auf die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten zurück. Das personell deutlich schwächere SEK könnte so gerade bei über Stunden oder gar Tage andauernden Einsätzen seine Kräfte schonen. Geschehen ist seit Oppenau nichts.

Gegen „Reichsbürger“ und organisierte Kriminelle, für Putins Mordopfer

Dabei gehen in den meisten anderen Bundesländern längst SEK und BFE gemeinsam gegen bewaffnete Straftäter vor. In Bayern, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen sichern BFE-Polizisten Treppenhäuser, Kreuzungen, Straßenabschnitte, die zuvor von SEK-Beamten genommen wurden. Funktionssicherung nennt sich das Prinzip, mit dem den Kommandopolizisten für ihre eigentliche Aufgabe, die Festnahme bewaffneter Straftäter, der Rücken freigehalten wird. In Rheinland-Pfalz, trainieren – aufbauend auf die Lehren aus den Terroranschlägen in Paris 2015 – regelmäßig BFE und SEK gemeinsam – und zeigen dies in Pressevorführungen.

In den Augen der baden-württembergischen Öffentlichkeit – auch in denen der obersten Polizeiführung und Politik des Landes - sind mitunter die Frauen und Männer in den petrolfarbenen Overalls als „Schlägertruppe für Demonstrationen“ verrufen. Dabei leisten die BFEler im Südwesten deutlich mehr, als Straftäter innerhalb gewaltbereiter Gruppen bei Demonstrationen festzunehmen: Ausweislich von Pressemitteilungen wurden alleine 2021 und 2022 mehr als 150 Wohnungen und Objekte sogenannter Reichsbürger durchsucht. Einsätze, die zu mehr als 90 Prozent durch BFE absolviert wurden.

Hinzu kommen Razzien im Zusammenhang mit Ermittlungen in den Bereichen der Organisierten Kriminalität, vor allem bei Drogendelikten. BFEler unterstützten den Personenschutz des russischen Oppositionspolitikers Alexei Nawalny, als dieser sich nach einem Mordanschlag von Russlands Despot Putins in Baden-Württemberg erholte. Im Verfahren gegen die Mitglieder der mutmaßlichen rechtsterroristischen Gruppe S. schützten sie zu Beginn des Prozesses den lange als Kronzeugen geltenden Paul-Ludwig U.. Im Mafia-Verfahren in Konstanz sicherten sie 2019 und 2020 das Gerichtsgebäude. Längst sind auch die sechs BFE im Südwesten in dem neuen Polizeialltag angekommen, für den ihre Kollegen in den anderen Bundesländern ausgerüstet und ausgebildet sind.

Lücke in den Fähigkeiten zwischen Streifendienst und SEK

So verfügt das bayrische Unterstützungskommando (USK), das dort die BFE-Aufgaben wahrnimmt und während des Gerichtsverfahrens gegen Angehörige des rechtsterroristischen NSU die Angeklagten transportierte, über Gewehre. Die BFE der Bundespolizei nutzt Schutzschilde, die vor den Beschuss mit Kalaschnikows schützen - wie sie der Täter in Bobstadt einsetzte. „Auch an die Einführung einer Sanitätskomponente nach dem Vorbild der Spezialeinheiten einschließlich der entsprechenden Schulungen ist in diesem Zusammenhang zu denken“, sagt die Gewerkschaft der Polizei in Baden-Württemberg und fordert, die Lücke zwischen den Fähigkeiten des Streifendienstes und dem hoch spezialisierten SEK zu schließen – gehört wird sie seit Jahren nicht.

Politisch und organisatorisch schließen die BFE in den anderen Bundesländern die Lücke zwischen den Fähigkeiten des Streifendienstes und den hoch spezialisierten SEKs. Eine Realität, der sich Baden-Württemberg bislang verschließt: In den 25 Jahren, die vergangen sind, seitdem der Landtag die Aufstellung der BFE beschloss, hat sich deren Alltag teilweise grundlegend verändert: Weg von einer Truppe, die ursprünglich nur Tumultlagen bekämpfen sollte. Hin zu einer vielseitig eingesetzten Einheit, die andere Polizeidienststellen dann hinzuziehen, wenn Einsätze ein erhöhtes Gefahrenpotenzial bergen.

Geringe Wertschätzung

Dass dem nicht Rechnung getragen wird, mag auch an der geringen Wertschätzung liegen, die die Polizeiführung des Landes ihnen und dem SEK entgegenbringt. Selbst Polizeiführer sprechen im Zusammenhang mit dem SEK von „Sondereinsatzkommando“, ein Begriff, der an die ab 1938 aufgestellten Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes des damaligen Reichsführers SS Heinrich Himmler erinnert. Dessen Kommandos ermordeten ungezählte Menschen, sind untrennbar mit dem Völkermord an Juden verbunden. Das „Sondereinsatzkommando Eichmann“ organisierte die Verschleppung von mehr als 437 000 Juden aus Ungarn in die Vernichtungslager.

Polizeiinspekteur Andreas Renner machte sich im vergangenen Jahr über die Beamten des SEK in Anspielung auf deren oft getragenen Einsatzoverall lustig, „die Jungs sehen in ihren Strampelanzügen ja ganz niedlich aus“. Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz stellte gar die Frage, ob Baden-Württemberg überhaupt ein Spezialeinsatzkommando brauche – oder ob dessen Aufgaben nicht von Hessen und Bayern übernommen werden könnten.

Dabei hat das Land schon in zwei Jahren eine polizeiliche Mammutlage zu bewältigen: Während der Fußball-Europameisterschaft sollen vier bis sechs Spiele in Stuttgart ausgetragen werden. Ein Ereignis, über das sich Polizeistrategen heute schon den Kopf zerbrechen: Wie reagieren, wenn – wie bei der Weltmeisterschaft 2006 – Hooligans in der Stadt randalieren? Wie bei auf einem Terroranschlag oder Amoklauf antworten: Wer hält dem SEK den Rücken frei, wer evakuiert Verletzte aus einer möglichen Kampfzone? Klar ist, dass die BFE des Landes dabei eine tragende Rolle spielen werden – ohne dafür bislang angemessen ausgerüstet und ausgebildet zu sein.