Märchenschloss in ungewohnter Perspektive: Noch dieses Jahr sollen am Torturm von Neuschwanstein die Gerüste wieder fallen – zugunsten der Fotografen. Foto: Kreiner

Extrem gut hat er gebaut, der „Kini“. Doch jetzt braucht selbst das Welt-Märchenschloss Neuschwanstein eine g’scheite Restaurierung. Zum erstenmal in seiner Geschichte.

Schwangau - Gewiss: der „Kini“ ist im Starnberger See ertrunken. Das eigentliche Leben des Ludwig II. aber endete bereits einen Tag zuvor. An jenem 12. Juni 1886 nämlich erschien eine Kommission der bayerischen Regierung auf Schloss Neuschwanstein, um den frisch entmündigten König festzunehmen. Sie trafen den 40-Jährigen an auf einer, auf seiner Riesen-Baustelle, und fertigstellen durfte er gar nichts mehr. Ludwig II., der größte Bauherr Bayerns: tragisch unvollendet. Bereits sechs Wochen später ließen die Behörden die ersten Touristen nach Neuschwanstein. Alle sollten sehen, wie verrückt, wie größenwahnsinnig dieser Monarch und wie gerechtfertigt es war, ihn aus dem Verkehr zu ziehen.

Der Schuss ging nach hinten los. Statt sich gebührlich zu entrüsten, bewunderten immer mehr Menschen den Zuckerbäckerbau, den Ludwig II. schon mit 23 Jahren „auf steiler Höh, umweht von Himmelsluft“ zu erstellen beschlossen hatte. Heute schnaufen jedes Jahr 1,5 Millionen Besucher den Berg zu einem Gebäude hinauf, das längst ein Märchenschloss für die ganze Welt geworden ist: voller geklauter Stilelemente – aus Gotik, Romanik, byzantinischer Kunst – und in deren genial-romantischer Verschmelzung selber stilbildend für Fantasie-Ritterburgen ohne Zahl. Und wenn’s im Disneyland ist. Oder in Zeichentrickfilmen.

Belastungsgrenze erreicht

Der Besucheransturm verursacht erhebliche Probleme. Gebaut hatte es Ludwig II. als Rückzugs- und Weiheort für sich allein – heute schlappen pro Tag bis zu 8000 Touristen durch Thron- und Sängersaal, durchs königliche Schlafgemach, durch die Tropfsteinhöhle. Führungen alle fünf Minuten. Die Belastungsgrenze, sagen sie bei der Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung, sei erreicht. Aber begrenzen wollen sie auch nichts, „höchstens mehr Besucher in die Nebensaisonen umlenken“.

„Ludwig II. hat extrem gut und aufwendig gebaut“, sagt Heiko Oehme von der Schlösserverwaltung. Aber die Besuchermassen trügen Schmutz hinein und Salz im Winter; die viele Feuchtigkeit aus der Atemluft verderbe die Wandmalereien; „Griffschäden“ machten sich am Mobiliar und an den Tropfsteinen bemerkbar. All das Leder, all die wertvollen Textilien, sagt Oehme, seien heute verschlissen. Und ausgebleicht seien Malereien „auch dadurch, dass man lange keinen Schutz gegen die hereinstrahlende Sonne in den Räumen hatte.“

Die Extreme des alpinen Wetters tun ein Übriges: Im Winter kühlen die Räume auf unter Null Grad ab. Und allzu lang, sagt Oehme, habe man Holzoberflächen mit einem falschen Öl eingestrichen: das glänzte, sah gut aus, ließ Möbel und Wandvertäfelungen aber derart nachdunkeln, dass viele Räume in Neuschwanstein heute so düster aussehen wie ein gemeines bayerisches Wirtshaus. Dabei hatte Ludwig II. doch „recht verschiedene Farbigkeiten“ im Sinn gehabt.

Rummel wie auf Sylt

Aus all diesen Gründen hat der Freistaat Bayern als Schlossherr mehr als 20 Millionen Euro bereitgestellt für eine Restaurierung, genauer: für die erste Generalsanierung, die Ludwigs 1868 begonnene „Neue Burg“ bisher erlebt hat. Das Geld war so schwer nicht aufzutreiben: Neuschwanstein als stärkstes Tourismusziel Bayerns bezahlt sich aus seinen Einnahmen von selbst. „Eine der kompliziertesten Baustellen überhaupt“ laufe da nun, verschärft auch noch dadurch, dass die Arbeiten „unter laufendem Besucherbetrieb“ stattzufinden hätten, sagt Finanz- und Heimatminister Albert Füracker (CSU), der diesen Donnerstag in Neuschwanstein vorbeigeschaut hat und beinahe genauso ruckzuck durchgeschleust wurde wie gemeine Touristen: die Maschinerie durfte nicht ins Stocken geraten. Als Ziel der Renovierungsarbeiten hat Füracker eine „dauerhafte Konservierung“ ausgegeben. Angestrebt werde dabei „ein gepflegtes, gealtertes Erscheinungsbild.“ Man wolle ja schließlich „kein neues Neuschwanstein schaffen.“ Unten am Berg allerdings, wo die ganzen Busse ankommen, wo Müllcontainer und Straßen verstopft und nicht nur die legalen Parkplätze rappelvoll sind, tut sich vorerst nichts. Stefan Rinke, Bürgermeister des 3000-Einwohner-Dorfes Schwangau, klagt über eine „Syltisierung“ und fragt sich, ob der Tourismus nicht schon zu viel sei: „Wir haben hier jeden Tag Volksfest-Zustand.“ Unter diesen Bedingungen könne es durchaus passieren, dass erlebnishungrige Touristen das Traumschloss „nicht mehr als Highlight“ betrachten. „Dann kippt das alles“, sagt der CSU-Politiker.