Vorstand Wolfgang Weber Foto: Eich

Vorstand Wolfgang Weber erläutert Hintergründe. Keine allgemeine Besserung der Auftragslage in Sicht.

Schwarzwald-Baar-Kreis - Vor dem Hintergrund der Turbulenzen in der Automotive-Branche und den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie hat der Zahnrad- und Getriebespezialist IMS Gear an seinen deutschen Standorten Arbeitsplätze abgebaut. Trotz des Stellenabbaus werden in der Produktion aktuell aber Sonderschichten gefahren. Ist das nicht ein Widerspruch? IMS Gear-Vorstand Wolfgang Weber erläutert im exklusiven Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten die Hintergründe der momentanen Situation.

Erst im August hat IMS Gear angekündigt, rund 140 Stellen abzubauen. Jetzt wird in Umlauf gebracht, dass der Laden wieder so brummt, dass Sonder- und Wochenendschichten gefahren werden und sogar "fachfremde" Mitarbeiter aus dem Verwaltungsbereich in der Produktion aushelfen. Was ist da dran?

Es ist in der Tat so, dass wir derzeit in einigen unserer Produktionseinheiten an unseren Standorten in Donaueschingen, Eisenbach, Trossingen und Villingen-Schwenningen zeitlich begrenzte Auftragsspitzen abfedern. Seit September gehen die Abrufe einiger unserer Kunden durch die Decke. Das ist allerdings lediglich ein vorübergehender Effekt, der aller Voraussicht nach noch bis in den November hinein anhält, um dann wieder abzuklingen. Momentan bewältigen wir die hohen Stückzahlen mit freiwilligen Sonderschichten an den Wochenenden und auch unter großer Mitwirkung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus den indirekten Bereichen. Alle helfen mit, diese besondere Situation zu meistern. Dafür sind wir sehr dankbar.

Wie können Sie sich diese "zeitlich begrenzten Auftragsspitzen" erklären? Derzeit sieht es ja eigentlich nicht danach aus, als wenn sich die wirtschaftliche Lage verbessert.

Das sind Nachhol-Effekte. Bedingt durch die Corona-Pandemie standen in der Automobilindustrie zeitweise praktisch alle Werke still. Mittlerweile wird die Produktion wieder hochgefahren und es werden Rückstände aufgeholt. Das ist aber, wie gesagt, ein vorübergehendes Hoch, das sich wieder auf niedrigerem Niveau einpendeln wird.

Erst der Stellenabbau, jetzt Sonder- und Wochenendschichten – das muss bei Ihrer Belegschaft fast zwangsläufig zu Irritationen geführt haben…

Ja, das war zunächst so. Aus Sicht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sieht das auf den ersten Blick ja auch widersprüchlich aus: Mit der letzten Phase des Stellenabbaus haben wir gerade einen sehr schmerzhaften, aber notwendigen Einschnitt hinter uns gebracht. Jetzt heißt es plötzlich Zusatzschichten fahren. Natürlich ist das erklärungsbedürftig. Und natürlich sind wir im ersten Moment in Mitarbeiterkreisen auf Unverständnis gestoßen und mit Fragen à lá ›Erst baut ihr Stellen ab, jetzt sollen wir Überstunden machen. Wisst Ihr eigentlich noch, was ihr tut?‹ konfrontiert worden. Wir haben unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Situation sehr ausführlich und möglichst anschaulich geschildert und um Verständnis geworben.

Den Stellenabbau ganz oder teilweise rückgängig zu machen, ziehen Sie nicht in Erwägung?

Nein, das ist keine Option. Denn an der Ausgangslage, die uns zum Personalabbau gezwungen hat, hat sich nichts geändert. Unser Gesamtumsatz für 2020 wird ziemlich genau auf dem Level von 430 Millionen Euro liegen und wird auch nächstes Jahr voraussichtlich nicht deutlich besser werden, als unsere Annahme für die Strukturanpassungen.

Um nochmals nachzuhaken: Sie gehen demnach nicht davon aus, dass sich die Auftragslage auf dem aktuellen hohen Niveau dauerhaft verfestigt?

Nein. Die Auftragsspitzen, die wir momentan bewältigen, sind, wie gesagt, vorübergehender Natur. Um das bildhaft zu erläutern: Der momentane Effekt ist mit einem Stau auf der Autobahn zu vergleichen. In einem Moment stehen alle Fahrzeuge plötzlich und im nächsten Moment beschleunigen wieder alle und fahren 120 Stundenkilometer, um im nächsten Moment wieder zu stehen. Es dauert dann eine Weile bis sich der Verkehrsstrom wieder mit einer konstanten mittleren Geschwindigkeit von 80 Stundenkilometer bewegt. So gesehen befinden wir uns gerade in der Phase, dass nach dem kompletten Stillstand jetzt alle wie verrückt beschleunigen, aber der eigentliche Bedarf auf einem niedrigen Niveau liegt. Das heißt für uns bei IMS Gear, dass wir nach wie vor konservativ planen müssen und dabei, wie sich jetzt gerade zeigt, auf große Schwankungen der monatlichen Abrufe gefasst sein müssen. Flexibilität ist und bleibt also ein Muss.

Und wie sieht es perspektivisch bei IMS Gear aus? Drohen weitere Einschnitte?

Sie meinen, ob wir mit einem weiteren Stellenabbau rechnen? Nein, damit planen wir nicht. Es ist ganz im Gegenteil so, dass wir mit den jetzt erfolgten harten Einschnitten die Weichen dafür gestellt haben, in den kommenden Jahren wieder einen – wenn auch zunächst moderaten – Wachstumskurs einzuschlagen. Wir halten an unseren Standorten in Deutschland fest und werden hier auch künftig Investitionen tätigen.

Werden denn die Erfahrungen aus der derzeitigen Krise genutzt, um die Abhängigkeit des Unternehmens von der Automobilbranche zu reduzieren?

Die Automobilbranche bleibt ein Schwerpunkt für uns. Sie durchläuft derzeit zwar einen technologischen Wandel – Stichworte Elektrifizierung, automatisiertes Fahren und Vernetzung – und dieser Umbruch bringt eine Phase konjunktureller Abkühlung mit sich. Mittel- bis langfristig bietet uns dieser Markt aber weiterhin Wachstumschancen. Von Vorteil ist dabei, dass wir, was unsere Produktpalette anbelangt, weitestgehend unabhängig davon sind, ob ein Fahrzeug von Verbrennungsmotoren, per Hybrid-Technik oder rein elektrisch angetrieben wird. Zudem werden wir unseren Non-Automotive-Bereich stärken. Im Bereich der Industrieanwendungen – dort sind wir bereits seit Jahrzehnten mit unseren Planetengetrieben erfolgreich unterwegs – gibt es Marktpotential, das wir erschließen wollen. Außerdem bewegen wir uns auf dem relativ jungen Gebiet der Mikromobilität. Darunter fallen beispielweise Antriebslösungen für autonom fahrende Kleinfahrzeuge im Logistikbereich. Dieser Markt ist jung und entwickelt sich gerade. Und IMS Gear ist dabei.