Hohe Haftstrafen erwartet die Angeklagten im Konstanzer Mafia-Prozess. Foto: Marc Eich

Urteil wegen organisiertem Rauschgifthandel. Verfahren wegen versuchten Mordes steht noch aus. Mit Kommentar

Konstanz/Villingen-Schwenningen - Es ist der mittlerweile 73. Verhandlungstag in einem denkwürdigen Mammutprozess vor dem Landgericht Konstanz. Im Mittelpunkt des Verfahrens steht seit über einem Jahr eine Bande von italienischen Drogenhändlern, denen Verbindungen zur Mafia nachgesagt werden.

Kiloweise Marihuana und Haschisch, aber auch Kokain hatten die insgesamt elf Männer im Schwarzwald-Baar-Kreis verkauft und damit für ein Novum im beschaulichen Schwarzwald besorgt. Denn internationale und organisierte Kriminalität, in die auch der italienische Geheimbund verwickelt sein soll, kannte man hier bislang nicht.

Doch nicht nur deshalb handelt es sich um ein Verfahren, das die Prozessbeteiligten in dieser Form vermutlich bisher noch nicht erlebt hatten. Dafür sorgt unter anderem die Tatsache, dass für die große Zahl an Angeklagten eine ehemalige Kantine auf dem ehemaligen Konstanzer Siemens-Areal umgebaut werden musste. Und dort spielten sich teils skurrile Szenen ab.

Mär vom "unbescholtenen Pizzabäcker"

Zunächst verstörte das anfänglich siegessichere Auftreten der Angeklagten. Insbesondere Placido A. aus Tuningen (Schwarzwald-Baar-Kreis), der aufgrund seiner Funktion als einer der Köpfe gewisserweise im Mittelpunkt stand, präsentierte sich zu Beginn lächelnd und winkend beim Betreten des Gerichtssaales – ließ über seinen Verteidiger zudem verkünden, dass sein vollständiger Name genannt und seine nicht gepixelten Bilder gerne gezeigt werden dürfen. Der Grund: Er wolle die Zeitungsartikel später in seiner neuen Pizzeria an die Wand hängen. (Anmerkung der Onlineredaktion: Weshalb wir seinem Wunsch nicht entsprochen haben)

Zu diesem Zeitpunkt bezeichnete die Verteidigung die Angeklagten noch als "unbescholtene Pizzabäcker". Ein Ausdruck, den Oberstaatsanwalt Joachim Speiermann rund ein Jahr später in seinem Plädoyer gerne aufgreift. Denn: Hierbei handelt es sich offenbar um eine Mär.

Verteidiger lassen keine Möglichkeit aus

Die zähen Verhandlungstage haben bewiesen, dass die Angeklagten, bei denen insbesondere die Verfahren der Handlanger zwischenzeitlich abgetrennt und mittlerweile teilweise beendet wurden, einen organisierten Rauschgifthandel mit Verkäufen im dreistelligen Kilogrammbereich aufgezogen hatten. Größtenteils wohl aus Italien hatte man Marihuana, Haschisch nach Deutschland sowie vom Schwarzwald-Baar-Kreis aus Kokain nach Italien geschmuggelt. Speiermann: "Es ist für mich eine Genugtuung, dass wir es nicht, wie behauptet, mit unschuldigen Pizzabäckern und Kaufleuten zu tun haben."

Doch die kriminellen Machenschaften der Männer rückten während des Prozesses häufig in den Hintergrund. Grund dafür war die, wie Speiermann es ausdrückte, "Konfliktverteidigung" der zwischenzeitlich insgesamt 18 Rechtsvertreter. Keine Möglichkeit wurde ausgelassen, um mit Anträgen und Beschwerden sowie dem Infragestellen von Gutachtern und polizeilichen Dolmetschern für Verzögerungen zu sorgen.

Es wurde sogar eine "Lustreise" des Oberstaatsanwalts nach Italien thematisiert, weil sich dieser mit den dortigen Behörden getroffen hatte. "Das Ziel war es, das Gericht lahmzulegen", polterte Speiermann in seinem Plädoyer deshalb in Richtung der Verteidigung. Er kritisierte zudem scharf das Angehen von Polizisten und Zeugen, die vor der Kammer ihre Aussagen getätigt hatten.

Angeklagte wenig kooperativ

Da sich die Angeklagten, die größtenteils im Schwarzwald-Baar-Kreis agiert hatten, wenig kooperativ zeigten, musste sich das Gericht insbesondere auf die abgehörten Innenraumaufnahmen aus genutzten Fahrzeugen und Telefongesprächen berufen. Monatelang wurden diese auf Italienisch abgespielt, um die anschließend in doppelter Form von Dolmetscherinnen übersetzen zu lassen. "Wir haben viel Unnötiges gehört, teilweise Fastnachtsmusik oder die Bundesligaübertragung – da war Darmstadt sogar noch in der ersten Liga", ärgert sich Speiermann über den enormen Aufwand, der zur Aufklärung nötig war. Er sah das auch vor dem Hintergrund, dass die Kosten des Prozesses aufgrund der Dauer in die Millionen gehen. Für den Vorsitzenden Richter steht dafür jedoch auch der Oberstaatsanwalt in teilweiser Verantwortung – so seien mehr Zeugen nötig gewesen, um sich die stundenlangen Tonaufnahmen zu ersparen.

Die Verteidiger schossen jedoch zurück, sprachen in ihren Plädoyers von anfänglich "drakonischen Strafmaßvorstellungen", die Konfliktverteidigung sei durch den "Stil der Anklage provoziert" worden und selbst bei Annäherungen habe die Staatsanwaltschaft den Deal "wenig schmackhaft gemacht". Genau jene Vereinbarung kam jedoch nach 71 Verhandlungstagen zustande. Gemeinsam einigte man sich auf ein Strafmaß, wobei tatsächlich insbesondere die Strafverfolgungsbehörde ihre Probleme mit dem vereinbarten Strafen hatte. So hätte der Oberstaatsanwalt gerne einen geplanten bewaffneten Überfall in Verona aufgeklärt, weil hierbei seiner Ansicht nach die kriminelle Energie der Bande zum Vorschein gekommen sei. Hier hatte man sich jedoch auf eine Teileinstellung geeinigt – auf mit Blick auf weitere Monate, die ansonsten zur Aufklärung nötig gewesen wären.

Und das Thema Mafia? Das wurde von der Kammer wohl bewusst außen vor gelassen, um einem Anfechtungsgrund aus dem Weg zu gehen. Doch auch hier scheiden sich die Geister: Während die Staatsanwaltschaft den Bezug zum italienischen Geheimbund als Tatsache ansieht, hält insbesondere die Verteidigung von Placido A. den Vorwurf für "lächerlich".

Mammutprozess geht weiter

Ganz und gar nicht lächerlich sind jedoch die Strafen, die die vier Angeklagten verbüßen müssen. A. wurde unter anderem wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln zu fast neun Jahren Haft verurteilt, das Bindeglied der Führung, Giovambattista S., zu acht Jahren und drei Monaten, die beiden anderen Angeklagten zu sieben Jahren beziehungsweise sechs Jahren und sechs Monaten.

Das Ende des Mammutprozesses ist damit jedoch noch nicht ganz erreicht. Das Urteil des dritten Hauptangeklagten Nicolo M., der sich unter anderem wegen versuchten Mordes verantworten muss, steht noch aus. Sein Verfahren wurde kürzlich abgetrennt, weil er sich ebenso wenig geständig zeigt, wie sein Sohn Giacomo. Ermittlungen gegen zehn Personen, die ebenfalls dem weiteren Umfeld der Angeklagten zuzurechnen sind, dauern zudem weiterhin an. Dies macht deutlich, dass die kriminellen Strukturen im idyllischen Schwarzwald noch lange nicht zerschlagen sind.

Kommentar: Nicht gefeit

Von Marc Eich    

Das siegessichere Lächeln ist verschwunden, stattdessen blicken die Angeklagten ernüchtert drein. Denn nun ist klar: Das von den Verteidigern gezeichnete Bild der unbescholtenen Pizzabäcker ist eine Mär. Über ein Jahr lang hat das Gericht die kriminellen Machenschaften der Drogenbande mit Verbindungen zur Mafia beleuchtet und dabei deutlich gemacht, dass der idyllische Schwarzwald nicht vor der internationalen organisierten Kriminalität gefeit ist. Kiloweise Stoff hat man beschafft, verkauft und damit Hundertausende Konsumeinheiten unter das Volk gebracht, während Widersacher mit Schüssen eingeschüchtert wurden. Der Prozess hat aber ebenso deutlich gemacht, dass die Arbeit der Ermittler lange nicht zu Ende ist. Denn die über Jahre gewachsenen Strukturen im Bereich der Rauschgiftkriminalität sind mit der Verurteilung noch nicht zerschlagen.