Lässt sich den Mund nicht verbieten: Derya Türk-Nachbaur. Foto: Spitz

Sozialdemokratin Derya Türk-Nachbaur lässt sich den Mund nicht verbieten. Türkei-Reisen zur Familie? Derzeit lieber nicht.

Schwarzwald-Baar-Kreis - Mit ihrer Meinung hinterm Berg zu halten ist so gar nicht der Stil von Derya Türk-Nachbaur. Im Gegenteil: Die stellvertretende Kreisverbandsvorsitzende der SPD hat eigentlich zu allem etwas zu sagen. Im Falle der Politik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan brachte ihr das aber den Ruf einer "Vaterlandsverräterin" und viel Ärger ein.

Wer die engagierte Sozialdemokratin aus Bad Dürrheim – eigentlich eine gebürtige Westfälin – kennt, der weiß um ihre starke Präsenz auf allen Kanälen, auch online. Selbst in den Landesvorstand der Sozialdemokraten schaffte es die Regionalpolitikerin aus der Kurstadt. Umso verwunderlicher war es, als es Ende März plötzlich zehn Tage lang mucksmäuschenstill geworden war um Derya Türk-Nachbaur. Was war passiert?

Sie hatte mal wieder ihre Meinung gesagt, oder besser: geschrieben. Nachdem Erdogans Präsidialamt Journalisten des Tagesspiegels und des ZDFs aus dem Land werfen ließ, kommentierte Türk-Nachbaur diesen Vorgang in einer Internet-Diskussion und bezeichnete den Akt als eine "Beschneidung der Meinungsfreiheit". Doch der Meinungsfreiheit in ganz anderer Richtung sind offenbar Tür und Tor geöffnet: Per Handy-App nämlich können türkische Staatsbürger, die Erdogan oder den türkischen Staat kritisieren, direkt bei der Zentralbehörde der türkischen Polizei denunziert werden. Und genau das ist der Wahl-Bad-Dürrheimerin passiert: "Erdo-Fanboys haben uns per Denunzianten-App als Terroristen gemeldet...", erklärte die 46-Jährige online.

"Das Ziel dieser Menschen ist es doch, mundtot zu machen!"

Ein Fall, der Aufsehen erregte und von einem Radiosender in einem Interview thematisiert worden ist. Doch dann ging es erst richtig los: Von "Psychos, Stalkern und Antidemokrat*innen" sei sie angegangen worden, erzählt die stellvertretende SPD-Kreisverbandsvorsitzende im Gespräch mit unserer Zeitung. Üble Beschimpfungen musste sie über sich ergehen lassen. "Ich wurde eigentlich als alles bezeichnet: ›Terroristenunterstützerin‹, ›Speichelleckerin der Deutschen‹, ›die rote Haustürkin‹ oder ›Vaterlandsverräterin‹", erzählt die überzeugte Sozialdemokratin und blickt als ebenso überzeugte Pazifistin immer noch ungläubig auf diese Auswüchse menschlicher Emotionen.

Kinder dürfen Oma und Opa erstmal nicht besuchen

Viel gravierender aber sind andere Folgen: Eine Einreise in die Türkei, wo noch immer Verwandte der Politikerin leben, würde nach Meldung über die Denunzianten-App zum Glücksspiel avancieren. "Wie gut, dass ohnehin kein Türkei-Urlaub geplant war", meint die 46-Jährige lächelnd und weiß: "Ich könnte mich überraschen lassen am Flughafen, aber darauf verzichte ich lieber." Ob sie Angst hat? Sie schüttelt den Kopf – "das Ziel dieser Menschen ist es doch, mundtot zu machen. Das lasse ich mir aber weder hier noch dort nehmen!", sagt sie kämpferisch und strafft die Schultern. Die Coolness, mit der sie über ihre eigene Person verfügt, ist jedoch nur die eine Seite der Medaille – mögliche Auswirkungen auf ihre Freunde und Verwandten sind die andere. "Ich habe mich jetzt aus diversen Foren rausgehalten, weil ich nicht weiß, ob es Auswirkungen auf meine Familie drüben hat", gesteht sie. Und den beiden großen ihrer vier Kinder hat sie bis auf Weiteres verboten, zu Oma, Opa, Tanten und Onkeln in die Türkei zu reisen.

Zu groß ist das Risiko, dass der Hass dieser Erdogan-Fans noch weitere schlimme Blüten treibt. Nichtsdestotrotz: Ihr Schweigen im Internet hat die streitbare Rote aus Bad Dürrheim "nach einer Woche Besinnungszeit" gebrochen: "Es gibt hier das Recht auf freie Meinungsäußerung und darauf bestehe ich, Basta!"