Die Europäische Union könnte durch den Austritt Großbritanniens in Frage gestellt sein. Foto: donfiore/Fotolia.com

Firmen mit Handelsbeziehungen zu Großbritannien reagieren gelassen. "Im Schwarzwald anders als in Spanien."

Schwarzwald-Baar-Kreis - Jubel gab es gestern bei den acht britischen Mitarbeitern der Niederlassung der Firma Kendrion in Leeds. Bedauern und Ungewissheit, wie es nach der Entscheidung der Briten weitergeht, aber auch Gelassenheit dominieren auf deutscher Seite.

"Ich habe heute bei unseren Mitarbeitern in Leeds angerufen und gefragt ›Jungs, wie seht ihr das‹", berichtet Ralf Wieland, Business Unite Manager IDS bei Kendrion in Villingen. Und er erfuhr: "Es sind vor allem kulturelle Unterschiede und die ›Fernsteuerung aus Brüssel‹, die Befürworter des ›Brexit‹ veranlasst hat, so abzustimmen." Von der Kendrion-Niederlassung in Leeds werden Produkte in 100 Länder exportiert. "Ich persönlich war überrascht", erklärt Wieland.

Eigentlich habe er mit einem Votum für den Verbleib der Briten in der EU gerechnet. "Ich tue mich schwer, das Ganze zu bewerten und ich glaube, das dauert noch lange", so Wieland. Alllerdings ist er überzeugt, dass es auch nach dem EU-Austritt noch Handelsbeziehungen nach Großbritannien geben wird. Sollte Deutschland als jetzt mehr oder minder einziges Land, das noch in die EU einzahlt, jetzt ebenfalls in einer Volksabstimmung über den Verbleib entscheiden? "Nun, ein Argument für den Brexit war ja, dass es nur zwei große Nettozahler in der EU gibt, nämlich Großbritannien und Deutschland", gibt Wieland zu bedenken. Er selbst ist aber dafür, die Errungenschaften der EU, die in 40 Jahren erworben wurden, nicht aufs Spiel zu setzen. "Wir profitieren wirtschaftlich von der EU".

"Aus Sicht der regionalen Wirtschaft ist dies eine weitreichende Entscheidung, mit heute noch unabsehbaren Folgen für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung", erklärte IHK-Präsident Dieter Teufel: "Vielleicht ist die Entscheidung aber auch ein heilsamer Schock. Die Zeit der nun anstehenden Verhandlungen sollte Europa nutzen, um über sich selbst nachzudenken. Umso mehr ist es wichtig, dass alle Beteiligten sich mit Besonnenheit dafür einsetzen, dass die möglichen negativen Folgen des Austritts und die zu erwartende Verunsicherung sich in Grenzen halten."

Die EU sei das große Friedens-, aber auch Wirtschaftsprojekt der Europäer. "Freizügigkeit und Binnenmarkt, um nur zwei Schlagworte zu nennen, scheinen allerdings bei der Brexit-Kampagne im Vereinigten Königreich ihre Strahlkraft nicht entfaltet zu haben. Dies könnte zu tun haben mit dem derzeitigen Zustand unserer europäischen Institutionen, ihren Verfahren und dem, was in Brüssel alles geregelt wird", Aus Sicht des IHK-Präsidenten sollte die EU nun über sich selbst und notwendige Reformen nachdenken.

Ingo vom Berg, Senior Vice President Global Sales, Aesculap Division Tuttlingen bedauert die Entscheidung der Briten: "Leider ist es uns nicht gelungen, die britische Bevölkerung von den Vorteilen der Europäischen Union zu überzeugen", so vom Berg. "Dieser Tag wird Großbritannien und Europa verändern", ist er überzeugt. Die Firma Aesculap ist in Großbritannien über ihre Muttergesellschaft B. Braun mit einer eigenen Niederlassung und 1200 Beschäftigten vertreten. "Das Ausstieg Großbritanniens wird wirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen und stellt für alle Unternehmen, die mit Großbritannien Handelsbeziehungen haben, ein Risiko dar. Kurzfristig wird der Brexit für uns vermutlich nur geringe Auswirkungen haben. Mittel- bis langfristig wird sich der Handel mit Großbritannien erschweren", stellt vom Berg fest.

Gelassen bewertet Klaus Scheuble, Kaufmännischer Geschäftsführer der Firma Kern-Liebers in Schramberg, die Folgen der britischen Entscheidung. Er meint, dass das wirtschaftliche Wachstum im Vereinigten Königreich mehr darunter leiden werde als das in Europa. "Die Auswirkungen insgesamt lassen sich nicht abschätzen", so Scheuble, der von einer "Signalwirkung" auf die Märkte spricht. "Der Fortbestand der Europäischen Union ist ungewisser als zuvor. Die Frage, ob sie in der EU bleiben, werden sich einige Länder stellen", so Scheuble. Allerdings sei die Reaktion der Börse bei weitem nicht so heftig wie befürchtet. Die Firma Kern-Liebers hat eine Tochtergesellschaft mit 50 Mitarbeitern in Nordengland in der Nähe von Birmingham. Der Umsatz dort betrage ungefähr ein Prozent. Möglicherweise gebe es durch die Kursschwankungen beim Pfund Auswirkungen auf die Bezüge der englischen Mitarbeiter. Für diejenigen, die nach Großbritannien reisen, könnte es allerdings jetzt günstiger werden.

Dirk Schallock, Geschäftsführer der Firma ebm-papst in St. Georgen, die ebenfalls Handelsbeziehungen zu Großbritannien unterhält, hatte sich bereits im Vorfeld geäußert: "Selbst wenn im Rahmen eines etwaigen Handelsabkommens mit der Europäischen Union auf Zölle verzichtet würde, käme auf die Unternehmen auf jeden Fall mehr Bürokratie zu. Denn innerhalb der EU abgeschaffte Zollvorschriften würden beim Im- und Export mit Großbritannien wieder greifen", so Schallock.

"Müssen bedauerliche Entscheidung akzeptieren"

Der EVP-Europaabgeordnete und CDU-Kreisvorsitzende Andreas Schwab befand sich gestern auf einem Langstreckenflug. In einer schriftlichen Stellungnahme teilte er mit: "Diese bedauerliche Entscheidung müssen wir akzeptieren, aber es bedeutet nicht das Ende der Europäischen Union. Es muss einen klaren Schnitt geben. Der Zugang zum europäischen Binnenmarkt kann nur gestattet werden, wenn auch die Personenfreizügigkeit und ein Beitrag zum EU Haushalt umgesetzt werden." Schwab meint, es sei nun wichtig, die Bürger "auf ein Neues von den großen Vorteilen einer engen Kooperation zu überzeugen." Keinesfalls sieht er die Entscheidung der Briten als Reaktion auf griechischen Bankrott und Flüchtlingskrise. "Gerade bei diesen Herausforderung müssen wir deutlich machen, dass die Lösung nur gemeinsam in der Europäischen Union erfolgen kann."

Der Bundestagsabgeordnete Thorsten Frei sieht Flüchtlingskrise und Griechenland-Bankrott dagegen durchaus als ursächlich für das Referendum an und wendet sich gegen ein Zusammenwachsen zu einer "engeren politischen und vor allem fiskalischen Union, wie es beispielsweise von Frankreich oder Italien gewünscht wird". "Die Entscheidung Großbritanniens für einen Austritt aus der EU ist ein Tiefschlag für die EU und für die Stellung Europas in der Welt. Auch wenn die eigentlichen Folgen und das weitere Prozedere noch nicht abzusehen sind, ist für mich klar, dass der heutige Tag nur Verlierer mit sich bringt. Großbritannien schaue in vielen Fragen ebenso kritisch auf die zunehmende Zentralisierung und Gleichmacherei in Brüssel wie Deutschland. Wir verlieren einen wichtigen Verbündeten."

Frei hält die Vielfalt der EU für ihre Stärke, betont aber auch die Unterschiede: "Die Menschen im Schwarzwald leben einfach anders als in Südspanien oder am Donaudelta. Deshalb müssen die Länder selbst regeln, was für sie richtig ist. Der Bereich der Asylpolitik, der Wirtschafts- und Finanzpolitik oder auch die Sicherheits- und Verteidigungspolitik sind Bereiche, auf denen wir gemeinschaftlich handeln sollten. Ein Fall dauerhaften Verstoßes gegen Regeln wie in Griechenland ist eben kein Fundament für eine erfolgreiche Europäische Union."