Umjubelt – nicht nur von Bürgermeister Rudolf Schuler: Leonie Walter und ihr Begleitläufer Pirmin Strecker. Foto: Junkel

Sie sollte bei den Paralympics in Peking Erfahrungen sammeln – so die Zielvorgabe für die 18-jährige Nachwuchs-Biathletin und Langläuferin Leonie Walter aus St. Peter. Doch in China kam alles ganz anders. Und in dem kleinen Ort im Hochschwarzwald sind alle von den Socken.

"Bei der WM im Januar kam die 18-Jährige bei vier Rennen unter die Top Ten. Bei den Paralympics hofft die Schülerin auf ähnlich vordere Plätze." So lautete die Experten-Einschätzung vor den Paralympics in Peking über die Erfolgsaussichten von Leonie Walter aus St. Peter. Ein paar Wochen später steht der kleine Ort im Schwarzwald Kopf. Denn die 18-Jährige holte nicht nur Top-Ten-Plätze, sondern dreimal Bronze – und sensationell einmal Gold. Am Wochenende nun bewahrheitete sich, was Leonies Mutter Renate schon direkt nach dem Gold-Triumph ihrer Tochter per Live-Anruf im ARD-Interview zugerufen hatte: "Ganz St. Peter wartet jetzt auf dich!"

Ganz St. Peter auf den Beinen

Zusammen mit ihrem Begleitläufer Pirmin Strecker wurde die sehbehinderte Langläuferin und Biathletin vom ganzen Ort bejubelt. Mit der Kutsche ging es in den Klosterhof, durch ein Spalier des Ski-Clubs, begleitet vom Musikverein, gelangten die beiden zum Podium, wo nicht nur Bürgermeister Rudolf Schuler wartete und die 18-Jährige hochleben ließ. Zur Belohnung darf sie nun mit ihrem Guide einen Gleitschirm-Tandemflug vom Kandel absolvieren.

Ein sensationelles Schwarzwaldmädel

Rückblende: "Das Schwarzwaldmädel und das Schwabenmädel aus der ›Küken-WG‹ haben eine sensationelle Geschichte geschrieben", hatte der Präsident des Deutschen Behinderten-Sportverbands, Friedhelm Julius Beucher, lachend die Erfolgsgeschichte von Leonie Walter und der 15-jährigen Linn Kazmaier zusammengefasst: "Sie sollten nur Erfahrungen sammeln. Und dann sammeln sie gleich Erfahrung beim Medaillenabgreifen. Ich hoffe, dass sie eine Leuchtkraft entwickeln, die uns hilft, Nachwuchs zu generieren."

Bronze – Bronze – Gold!

Nach der ersten Bronzemedaille im Biathlon über sechs Kilometer war die Hochschwarzwälderin schon überwältigt. "Ein wunderschönes Gefühl", kommentierte sie – nicht wissend, was noch kommen würde. "So geht‘s hoffentlich auch weiter", meinte sie schon abgeklärter nach Bronze über 15 Kilometer klassisch im Langlauf. Und dann das: Nach ihrem Zehn-Kilometer-Rennen im Biathlon fällt Leonie Walter direkt hinter der Ziellinie entkräftet auf den Rücken – und muss erst einmal warten. Doch als klar ist, dass die 18 Jahre alte Biathletin Paralympics-Gold gewonnen hat, gibt es kein Halten mehr. "Ich habe die ganze Zeit nach oben geschaut und mich gefragt: Wo bleibt die Zeit?", erklärt sie hinterher noch mit zittriger Stimme: "Dann sind alle aufgesprungen, und ich wusste, ich hab’s."

„Einfach eine coole Socke“

Auch bei der Ehrung in St. Peter werden die sensationellen Paralympics-Erfolge noch einmal aufgezählt, nicht vergessen wird die dritte Bronzemedaille über die 12,5-Kilometer-Biathlonstrecke, bei der die gestiegenen Ansprüche schon deutlich wurden. "Läuferisch wäre sicher noch mehr gegangen", sagte sie: "Aber ich bin ganz glücklich, diese Medaille auch noch mitgenommen zu haben." Nicht nur Bundestrainer Ralf Rombach befand: "Wie Leonie in so jungen Jahren die Nerven behält, ist schon sehr besonders. Sie ist einfach eine coole Socke."

Die Belohnung: Fahnenträgerin

Zur Belohnung durfte sie zusammen mit Pirmin Strecker bei der Abschlussfeier die deutsche Nationalfahne ins Stadion von Peking, das sogenannte "Vogelnest" tragen. Eine ganz besondere Ehrung für Leistungen "über alle Erwartungen hinaus", wie DBS-Präsident Beucher es ausdrückte. Der war so begeistert, dass er beim Goldgewinn auf der Zielgeraden neben Leonie Walter alles gab und neben ihr herlief, um sie anzufeuern – mit 75!

Land unter in St. Peter!

Danach war Land unter in St. Peter, jedenfalls für Mutter Renate. Das Telefon klingelte ohne Unterbrechung, das Smartphone explodierte: Die Trachtenschneiderin, die Grundschullehrerin, ehemalige Feriengäste auf ihrem Hof, der Seniorchef vom Lebensmitteleinzelhandel, der Briefträger – alle wollten gratulieren. "Ich kann das gar nicht fassen", war Renate Walter sprachlos. Am Ende kam auch noch das SWR-Fernsehen vorbei. "Man kann nicht ins Dorf gehen", berichtete die Mutter der Gold-Leonie, "man kommt nicht mehr heim!"

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

Leonie Walter setzt dabei in St. Peter eine alte Tradition fort. Beim Empfang erinnerte der Skiclub-Vorsitzende Matthias Kristiansen-Kürner an die hundertjährige Geschichte des Vereins, an die "goldenen Zeiten der Maier-Buben" in den 50er-/60er-Jahren, an die Olympia-Teilnahme von Sepp Maier 1960 – und an die 17-jährige Rosa Maria Rohrer, die 1954 und 1955 erfolgreich an der deutschen Jugendmeisterschaft teilgenommen hat – sie ist die Großmutter von Leonie. Der Apfel fällt eben nicht weit vom Stamm.

Albert Kürner: „der tollste Mann im tollen Skiclub“

Mutter Renate ist es aber wichtig, in den ganzen Emotionen über die Goldmedaille einen Mann hervorzuheben: Albert Kürner. "Das ist der tollste Mann im tollen Skiclub St. Peter", sagt sie. Mit sieben Jahren beginnt Leonie beim SC mit dem Langlauf. Von Geburt an hat sie weniger als fünf Prozent Sehkraft. Viele sind mit ihrer Förderung überfordert, die Erfahrung fehlt einfach. Aber Albert Kürner hatte am Olympiastützpunkt schon einmal mit Sehbehinderten trainiert, nimmt die Sache in die Hand und begleitet Leonie jahrelang als Guide – bis sie für ihn zu schnell wird. "Der hatte da einfach Spaß dran und hat das Mädle groß gemacht", berichtet Mutter Renate.

„Hoch soll sie leben“

So groß, dass am Wochenende ganz St. Peter auf die 18-Jährige gewartet hat. Und die "coole Socke" hochleben ließ. Wie sich das für eine Goldmedaillengewinnerin gehört.