Eine Schwangerschaft führt zwar oft auch zu Müdigkeit – aber der Grund für häufiges Gähnen liegt im besonderen sozialen Verhalten, ausgelöst durch jede Menge „Kuschelhormone“.
Stuttgart - Der Mensch gähnt rund 20-mal pro Tag. Und während der Schwangerschaft passiert es noch öfter. Doch laut einer italienischen Studie liegt das weniger an den damit einhergehenden körperlichen Veränderungen als an der zunehmenden Empathie.
Ein Forscherteam um Ivan Norscia von der Universität Turin hat näher untersucht, warum schwangere Frauen eigentlich so oft gähnen. Dazu führte das Team zwei Versuche durch. In dem einen beobachtete man 49 schwangere und nicht schwangere Frauen, wie sie auf die Videos von gähnenden Babys reagierten. In dem anderen Versuch beobachtete man 131 Frauen, von denen 81 schwanger waren, unter „natürlichen Bedingungen“, wie sie auf ihre gähnenden oder nicht gähnenden Mitmenschen reagierten.
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Schwangere lassen sich öfter von Gähnen anstecken
Das Ergebnis: Von sich aus, also aus eigenem Antrieb gähnen schwangere Frauen nicht häufiger als andere. Das gilt auch unabhängig von der Zeit: Egal, ob 7 Uhr morgens oder 19 Uhr abends, sie reißen gleich oft den Mund zum tiefen Luftaustausch auf.
Wenn jedoch jemand anders gähnt, lassen sich schwangere Frauen deutlich öfter zum Nachgähnen inspirieren. Besonders auffällig war dies bei den Videos. Hier lag die Wahrscheinlichkeit, dass die schwangeren Frauen sich von den gähnenden Babys anstecken ließen, bei rund 40 Prozent. Die nicht schwangeren Frauen erreichten hingegen nur einen Wert von rund 20 Prozent. Ist eine Frau schwanger, verdoppelt sich also die Wahrscheinlichkeit, dass sie beim Anblick eines gähnenden Säuglings ebenfalls zu gähnen anfängt.
Evolutionsbiologe Norscia vermutet als Ursache für die erhöhte Gähninfizierbarkeit, dass eine Frau während der Schwangerschaft empfänglicher ist für Signale, die von ihren Mitmenschen ausgesendet werden. Sie ist dann noch empathischer als sonst und eher bereit, dass Verhalten anderer Menschen zu spiegeln, und deswegen gähnt sie auch öfter, wenn diese gähnen.
Das Kuschelhormon Oxytocin spielt mit
Und dass diese Neigung beim Anblick der Babys noch einmal stärker ausgeprägt ist, liegt daran, dass sich eine schwangere Frau aufgrund ihrer eigenen aktuellen Situation besonders innig mit Babys verbunden fühlt. „Die soziale und emotionale Bindung zu einem Menschen spielt eine große Rolle dabei, ob wir uns von seinem Gähnen anstecken lassen“, betont Norscia. Dieses Phänomen reicht sogar bis tief in die Physiologie. So konnten Wissenschaftler zeigen, dass wir umso eher nachgähnen, je mehr Oxytocin in unserem Körper kursiert. Und von dieser gerne als „Kuschelhormon“ bezeichneten Substanz haben Frauen nach dem Sex, aber eben auch während der Schwangerschaft und Stillzeit besonders viel in ihrem Blut.
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Es ist also weniger die Müdigkeit als ihre gesteigerte Empathie und Nachahmbereitschaft, die eine schwangere Frau öfter gähnen lässt. Wobei Norscia betont, dass die Ansteckung ohnehin der einzige Faktor sei, der als Ursache fürs Gähnen wissenschaftlich solide untermauert ist. Dass es hingegen, wie weithin vermutet wird, mehr Sauerstoff ins Gehirn bringen würde, ist schon lange widerlegt. Denn dann müssten wir bei körperlicher Aktivität öfter gähnen als sonst; und gähnende Jogger sieht man so gut wie nie.