Ungewöhnlicher Anblick: Tunnelbau-Pionier Martin Herrenknecht, bekannt als einer der schärfsten Kritiker von Angela Merkel, hält der Kanzlerin den Schirm. Foto: Patrick Seeger

Angela Merkel besucht mit Tunnelbau-Pionier einen ihrer schärfsten Kritiker.

Schwanau - Firmenbesuche bei erfolgreichen Unternehmen gehören zum Standard-Programm für Politiker, und da macht auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) keine Ausnahme. Ihr Besuch im kleinen Ortenau-Dorf Schwanau, unweit von Lahr gelegen, gehört am Montag jedoch zu den Auftritten, die besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Denn Merkel schaut bei einem ihrer größten Kritiker vorbei, dem Schwanauer Tunnelbau-Pionier Martin Herrenknecht (77). Zuletzt hatte der Chef des weltweit tätigen Unternehmens für Tunnelbau-Vortriebstechnik die Kanzlerin massiv angegangen, gar eine "Obergrenze für Kanzler" gefordert und seine Parteimitgliedschaft in der CDU aus Groll über Merkels Politik und die Entscheidung zu ihrer Nachfolge im Parteivorsitz ruhen lassen.

Kanzlerin weiß, was sie und die CDU am Firmenchef haben

Es nieselt leicht an diesem Montagnachmittag im Rheintal. Vorsichtshalber hat das Protokoll des Bundeskanzleramts große Schirme parat gelegt, die dann auch prompt gebraucht werden. Herrenknecht und Merkel lachen, als sie nach einem kurzen Vier-Augen-Gespräch den Werksrundgang starten. Sieht so ein vergiftetes Klima aus?

Mitarbeiter der Tunnelbaufirma haben ihre Hallen blitzblank geschrubbt, alles glänzt an diesem Mittag. Es ist der erste amtierende deutsche Regierungschef, der Schwanau besucht. Vor-Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) ist zwar öfters hier, als Vize im Aufsichtsrat der Herrenknecht AG, doch der ist schon Kanzler a.D..

Merkel weiß, was sie, ihre Partei und nicht zuletzt Deutschland an Herrenknecht haben. Der kantige Unternehmer, der aus einfachsten Anfängen in 40 Jahren einen Weltmarktführer im Tunnelmaschinenbau mit mehr als 5000 Arbeitsplätzen schuf, besitzt in vielen Regionen der Erde einen glänzenden Ruf. Seine Maschinen bohren sich durch härteste Untergründe, mit präziser deutscher Hochtechnologie.

Genau so bohren kann auch Herrenknecht selbst, wenn ihm etwas nicht passt. So wie Ende 2018. Da traf die CDU, der er seit bald 40 Jahren angehört und für die er in den Bundestag einziehen wollte, die Entscheidung, Annegret Kramp-Karrenbauer zur neuen CDU-Chefin zu wählen und nicht den von ihm präferierten Friedrich Merz. Herrenknecht war außer sich. Bundesweit vernahm man sein Poltern. Er sprach von "Weicheiern" und einer CDU, die sich in einer "lauwarmen Weiter-So-Blase einigelt". Als Paukenschlag kündigte er an, seine CDU-Mitgliedschaft ruhen zu lassen. Das sei eine "gelbe Karte" für die Partei, mit der roten drohte er schon.

Auch mit Merkel und ihrer Politik haderte er laut und vernehmlich. Die CDU sei "zu stark nach links gerückt, kraftlos in der gesellschaftlichen Mitte und ohnmächtig am rechten Rand", erklärte er und forderte ein Umdenken, eine Agenda 2035, um Deutschland zukunftsfit zu machen. Am besten ohne Merkel, für die – und künftige Kanzler – es eine "Obergrenze" geben sollte: Zwei Amtszeiten, dann sollte im Kanzleramt Schluss sein, forderte Herrenknecht.

Die Antwort kam per Handy: Merkel rief den aufgebrachten Schwanauer unverzüglich an, besänftigte ihn und regte ein Treffen im Kanzleramt an. Dieses fand dann Anfang des Jahres statt. Herrenknecht legte Merkel seinen Agenda-2035-Plan vor und beschrieb den Austausch gegenüber unserer Zeitung anschließend als "sehr gut". Die erste Annäherung in dieser Krisenstimmung, auch wenn die Drohung des Parteiaustritts noch immer in der Welt war.

Beide kennen sich gut. Herrenknecht ist regelmäßiger Gast bei Auslandsreisen der Kanzlerin, wenn es um wichtige Wirtschaftsthemen im Ausland geht. Erst neulich wieder saß er im Flieger mit Merkel nach China. Wie sie dort mit der Staatsspitze verhandelt habe, sei "bravourös" gewesen, lobt Herrenknecht beim Empfang, der sich dem Werksbesuch anschließt. "Bewundernswert, wie Angela Merkel unser Land führt", meint er. Und schüttet ein prallvolles Füllhorn des Lobes über dem Gast aus Berlin aus. Ganz andere Töne, als sie bislang zu hören waren.

Dann endlich fällt der alles entscheidende Satz: Schwamm drüber!

Dann, alle warten schon darauf, kommt im schick-modernen Konferenzgebäude der entscheidende Satz: "Ich bin bereit, wieder für die CDU zu kämpfen." Spontaner Beifall unter den 300 geladenen Gästen aus Firma, Wirtschaft und lokaler Politik brandet auf. Herrenknecht kündigt noch an, "positiv nach vorne schauen" zu wollen. Damit ist für ihn alles gesagt. Schwamm drüber, hört man ihn denken, jetzt sind wir wieder Freunde.

Merkel strahlt ihr schönstes Kanzlerinnenlächeln, an diesem Tag keine Spur des kleinsten Zitterns, sie fühlt sich sichtlich wohl. Kein Wunder, wenn ein langjähriger Parteifreund und -spender wieder zurück zur CDU-Familie findet. Und auch sie hat eine Lobeshymne für den Parteifreund mitgebracht, für seine Lebensleistung, die 5000 Jobs, seine Zukunftsvisionen. Den Bürgermeistern der Region, die aufmerksam lauschen, gibt sie dann noch auf den Weg: "Ich komme aus dem industrieschwachen Mecklenburg-Vorpommern. Seien Sie sich bewusst: Nicht überall ist es so gut wie in der Umgebung von Martin Herrenknecht!"

Dieser strahlt erfreut zurück. Beifall, Fotos, Händedrücke, dann steigt die Kanzlerin in ihre Limousine und braust davon. Mission erfüllt.