Wer als Auto-Pendler auf den Zug umsteigt, entdeckt die Langsamkeit auf unterschiedliche Arten. Das meint jedenfalls Schwabo-Mann Selim Gezener, der am Sonntag nach ungefähr einem Jahrzehnt mal wieder mit der Gäubahn gefahren ist und im Folgenden von seiner Erfahrung berichtet.
Herrenberg/Horb - Ich bin Autofahrer. Daran kann es keinen Zweifel geben. Wenn ich von Unterjettingen nach Horb in die Schwabo-Redaktion möchte, dann setze ich mich in meinen schwarzen VW Passat mit Böblinger Kennzeichen und düse los zum Flößerwasen.
Mit dem 9-Euro-Ticket in Bus und Bahn
Mit dem ÖPNV habe ich nicht viel am Hut. Und mit der Gäubahn rein gar nichts. Seit Ewigkeiten war ich schon nicht mit der Gäubahn gefahren, das letzte mal vielleicht vor 10 oder 15 Jahren. Wird mal wieder Zeit, denke ich mir, und steige am Sonntag mit dem 9-Euro-Ticket in den Bus nach Herrenberg ein.
An Gleis 4 in Herrenberg angekommen, schwirrt eine Biene vor meinen Augen, setzt sich auf meinen Kopf, schwirrt dann wieder vor meinen Augen, lässt mich nicht los. Ich laufe wie ein Dackel am Gleissteig um mich her, fuchtele an meinen Haaren und Schultern, und versuche die Biene – oder könnte es eine Wespe sein? – mit wilden Bewegungen von mir irgendwie loszuwerden.
Ein Stehplatz ist besser als gar kein Platz
Klappt nicht: Die Flügel des Insektes schlagen einfach viel zu schnell. Ein paar Teenager sitzen auf einer Bank und können sich das Lachen kaum verkneifen. Andere, die weiter weg sind, denken sich bestimmt, dass der Typ doch sicher einen an der Waffel hat.
Und dann, als würde sie mir zur Hilfe eilen, erscheint sie, wie ein Flugzeug ohne Flügel, aus einem Lichtblick heraus und fährt ein – die Gäubahn. Ich steige ein, das Insekt bleibt draußen. Da schon ein paar Passagiere stehen, geselle ich mich zu ihnen – und stehe auch.
Verkehrte Welten: Wo sind wir hier eigentlich?
Erster Halt: Gäufelden. Sagt in Jettingen kein Schwein. Wo genau sind wir hier? In Nebringen? Wohl nicht in Öschelbronn? Oder vielleicht doch in Tailfingen? Ich sag’ ja, mit dem ÖPNV hab’ ich nicht viel am Hut.
Zweiter Halt: Bondorf. Nanu, was sehe ich denn da? Auf dem gegenüberliegenden Gleis steht ein Zug, der nach Karlsruhe fährt. Wie bitte? Von Bondorf fährt ein Zug ohne Umstieg direkt nach Karlsruhe? Durch meinen 8000-Einwohner-Wohnort Jettingen fährt überhaupt kein Zug – nirgendwohin, während vom 6000-Einwohner-Ort Bondorf Züge direkt nach Singen, Stuttgart und Karlsruhe fahren? Und auf der Gemarkung Eutingen im Gäu, ebenfalls ein 6000-Einwohner-Ort, soll es – wie ich vor Kurzem erfahren durfte – sogar gleich drei Bahnhalte geben! Die sind ja verwöhnt, die Eutinger!
Ist der Schwabo-Mann noch recht bei Verstand?
Da gehen mir und der Gäubahn doch glatt die Türen zu, als der Zug in Bondorf wieder losfährt und mein Blick sich auf eine vor mir auf einer Treppenstufe sitzende Passagierin richtet, die ihren Dackel von einer Regenbogen-Leine löst, um ihn in einen Rucksack zu stecken.
Warum tut sie das wohl, frage ich mich, während eine Stewardess mit einem mit Kaffee und Schokoriegeln beladenem Tablett die Treppen rauf- und runtermarschiert. Aha! In der Gäubahn herrscht also Flugzeug-Flair! Aber kein Flugzeug-Tempo, denke ich mir und spreche leise vor mich hin: "Zu wenig PS!" Dabei lache kurz vor mich hin. Zwei Passagiere schauen mich an und denken sich bestimmt, dass der Typ doch sicher einen an der Waffel hat.
Leerer Parkplatz bringt Schwabo-Reporter ins Grübeln
Mit drei Minuten Verspätung – da drückt ein Jettinger natürlich ein Auge zu – kommt die Gäubahn schließlich in Horb an. Aber an Gleis 2, na toll! Jetzt darf ich auch noch durch die berühmt-be-riech-tigte Unterführung laufen und mir nach dem Auge auch noch die Nase zudrücken!
Doch der herrlich-sommerliche Ausblick am Flößersteg lässt mich wenig später schon wieder alles vergessen – bis ich vor der Redaktion auf den leeren Schwabo-Parkplatz schaue und mich frage, wer eigentlich schneller ist: mein VW Passat von Unterjettingen bis zur Schwabo-Redaktion, oder die Gäubahn von Herrenberg bis nach Horb?