Spitzenkandidat Martin Schulz (links) und SPD-Chef Sigmar Gabriel feiern das Ergebnis der Sozialdemokraten Foto: dpa

Der Poker zwischen Kanzlerin Merkel und Wirtschaftsminister Gabriel ist eröffnet, wer was in der EU-Kommission bekommen soll.

Berlin - Die Chance ist da. Martin Schulz sieht glücklich aus, sogar ergriffen. Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel, der neben Schulz auf dem Podium steht, wirkt sehr zufrieden. Im voll besetzten Foyer des Willy-Brandt-Hauses haben 300 Parteifreunde Schulz soeben mit „Martin, Martin“-Rufen empfangen. Sie halten Schilder in Blau und in Rot hoch, auf denen steht: „Jetzt ist Schulz“. Ein Genosse vollendet den Satz noch ins erhoffte Ergebnis: „. . . Präsident.“

Jawohl, Schulz, der Spitzenkandidat der deutschen und der europäischen Sozialdemokraten, will der nächste Präsident der Europäischen Kommission werden – Nachfolger des Portugiesen José Manuel Barroso. Noch aber sieht der Aachener ein „Kopf-an-Kopf-Rennen“ mit dem Kandidaten der Europäischen Volksparteien, dem Luxemburger Jean-Claude Juncker.

Schulz lächelt. Die Hatz der vergangenen Monate mit 200 Wahlkampfauftritten in 28 EU-Staaten hat sich gelohnt. Keine Frage. Gabriel sagt, nur Kandidaten im US-Präsidentschaftswahlkampf hätten ähnliche Strapazen hinter sich. Noch nie habe die SPD bei einer deutschlandweiten Wahl ihr Ergebnis derart steigern können wie bei dieser Europawahl. So ein Ergebnis erschüttert auch die Statik der großen Koalition in Berlin. Rund 6,5 Prozentpunkte plus sind eine Hausnummer, allerdings vom niedrigen Niveau (2009: 20,8 Prozent) kommend.

Dann muss Schulz nach Brüssel auf. Abflug 20.30 Uhr. Dort wird er sondieren, ob und wie er eine Mehrheit für sich als Kommissionspräsident „zimmern“ könnte – was auch Folgen für das Kräfteverhältnis innerhalb der Koalition haben könnte. Die CDU verliert leicht, die CSU in Bayern kräftig, die SPD legt deutlich zu. Heute Abend treffen sich die Parteichefs von CDU, CSU und SPD in Berlin, um über die Folgen aus dieser Europawahl zu beraten. Schulz oder Juncker – das ist weiter die Frage. Eine offene.

Drei Kilometer Luftlinie vom Brandt-Haus entfernt ist die Stimmung in der CDU-Zentrale nur bedingt fröhlich. Der deutsche Spitzenkandidat David McAllister verweist darauf, dass die Union ihr Wahlziel „klar erreicht“ hätten. Also deutet der Niedersachse das Ergebnis positiv: „Wir sind die Nummer eins. Wir haben diese Wahl gewonnen.“ Die Union in Deutschland habe mit ihrem Resultat „einen Baustein geliefert“, dass Juncker Kommissionspräsident werden könne. Doch CDU-Chefin Angela Merkel hat es nun nicht leichter, denn die leichten Verluste für ihre Partei könnte auch ein Dämpfer sein.

Auch die Freude von Unionsfraktionschef Volker Kauder über das Wahlergebnis ist deutlich gedämpft. Er sei „insgesamt ganz zufrieden“, vor allem dort, wo wie in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz oder Nordrhein-Westfalen die Menschen neben dem Europäischen Parlament auch ihre Vertreter für die kommunalen Parlamente gewählt hatten. Auch er will aus dem Ausgang der Europawahl die von ihm erhoffte Wahl Junckers zum Kommissionschef ableiten.

Doch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann hält dagegen. „Jetzt ist nicht die Stunde der Partei. Jetzt ist die Stunde des Parlaments.“ Die Abgeordneten in Straßburg müssten eine Mehrheit schaffen, um Schulz oder Juncker zum Kommissionspräsidenten zu wählen. Spät am Abend zeichnet sich dann ab: Junckers Konservative gehen mit rund 28 Prozent als stärkste Kraft aus den Europawahlen hervor. Schulz holt in Europa 25,7 Prozent. Er wird sich gedulden müssen.