Wie viele Hauptschulen gibt es noch im Südwesten? Die Zahl wird gut verborgen in der Statistik – und sie ist eindrücklich. Auch den Verteidigern der Schulart in der Politik sollte sie zu denken geben.
Raten Sie mal, wie viele Hauptschulen es in Baden-Württemberg noch gibt? Die Information findet sich in den offiziellen Schuldaten nicht. Dort wird zwischen den Haupt- und den im Jahr 2010 eingeführten Werkrealschulen nicht unterschieden. Das Statistische Landesamt weist nur aus, dass es zuletzt 229 davon gab. Wer wissen will, wo diese Schularten heute stehen, muss tief in die Statistik eintauchen. Ein Ergebnis vorneweg: Es gibt in ganz Baden-Württemberg nur noch eine reine Hauptschule.
Wegen der grün-schwarzen Schulreformen, der angekündigten Abschaffung des Werkrealschulabschlusses und der teils hitzig geführten Debatte darüber, lohnt der Blick auf dieses Thema. Immerhin hat der CDU-Fraktionsvorsitzende und Landeschef Manuel Hagel jüngst im Landtag gegen „das Gerede von der Hauptschule als Restschule“ gewettert. Hagel verteidigte „unsere Hauptschulen“ als „wichtige Säule in unserem gegliederten Schulsystem“. Der FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke kritisierte die Abschaffung des Werkrealschulabschlusses: „Hier wird ein funktionierendes, ein erfolgreiches System zerschlagen.“
Schwarz-gelbes Lob durch Fakten nicht gedeckt
Historisch verständlich ist der Schulterschluss von Christdemokraten und Liberalen bei der Verteidigung der Haupt- und Werkrealschule insofern, als beide Parteien in gemeinsamen Regierungszeiten das traditionell dreigliedrige Schulsystem mit Haupt-, Realschule und Gymnasium in Baden-Württemberg durch alle Fährnisse verteidigt haben. Die Werkrealschule war ihre letzte Innovation im Schulwesen vor dem Aufstieg der Grünen an die Macht. Damit wollte Schwarz-Gelb den bundesweiten Niedergang der Hauptschule stoppen. Gelungen ist das nicht. Was Hagel und Rülke aktuell lobend für die Haupt- und Werkrealschule ins Feld führen, wird durch die in den Statistiken verborgenen Fakten dementiert.
Erstens belegt die Tatsache, dass es im Land nur noch eine echte Hauptschule gibt, wie das Statistische Landesamt auf Anfrage unserer Redaktion mitgeteilt hat, dass der Restbestand, den diese Schulart im Bildungssystem noch verkörpert, nicht mehr viel kleiner werden kann. Die letzte Hauptschule ist per Definition eine Schule, die mit der neunten Klasse endet und wo Schüler ausschließlich den Hauptschulabschluss machen können.
Irreführender Name
Zweitens führen keineswegs alle übrigen 228 Werkrealschulen in eigener Regie zu einem Werkrealschulschabschluss. Im Schuljahr 2021/2022 hatte jede vierte Werkrealschule – laut Statistischem Landesamt sind es 58 Schulen – keine eigene zehnte Klasse, und konnte den Werkrealschulabschluss nur in Kooperation mit einer anderen Schule verwirklichen. Tatsächlich waren diese 58 Werkrealschulen im Schuljahr 2021/22 ausweislich ihres eigenständigen Bildungsangebots damit also faktische Hauptschulen, die aber wegen der Kooperation mit einer anderen Schule im Blick auf den mittleren Abschluss trotzdem „Werkrealschule“ heißen dürfen. Eigenständige Werkrealschulen, die eine eigene zehnter Klasse hatten, gab es laut den Statistikern zuletzt 171.
Drittens schaffen es die Werkrealschulen immerhin, ihren Schülern einen Weg zu einem Mittleren Schulabschluss zu eröffnen. Laut Statistischem Landesamt hatten 2022 43 Prozent der Absolventen einen Werkrealschulabschluss in der Tasche. Von den 43 000 jugendlichen Schulabgängern mit Mittlerem Schulabschluss in Baden-Württemberg stammten fast neun Prozent von der Werkrealschule.
Viertens hatten die Hauptschulen im Schuljahr 2002/2003 ihren Höchststand mit 212 000 Schülern. Das waren 27,5 Prozent der Schüler aller weiterführenden Schulen im Südwesten. Im vorigen Schuljahr 2023/2024 besuchten noch 40 472 Schüler eine Haupt- oder Werkrealschule. Das entspricht einem Anteil von 6,4 Prozent. Die Zahlen belegen, dass die Einführung der Werkrealschule im Jahr 2010 den Schülerschwund nicht stoppen konnte. Die Einführung der Gemeinschaftsschule im Jahr 2012 hat ihn weiter beschleunigt. Dass das nicht nur ein statistischer Effekt ist, weil mit der Gemeinschaftsschule die Konkurrenz größer geworden ist, zeigt der Vergleich mit den Realschulen: Dort ist der Anteil der Schüler im gleichen Zeitraum bei 30 Prozent stabil geblieben.
Schülerschwund geht ungebrochen weiter
Fünftens geht die Schülerzahl in den Haupt- und Werkrealschulen weiter zurück, obwohl es seit einigen Jahren wieder mehr Grundschüler gibt. Von den 95 000 Viertklässlern wählten im vorigen Schuljahr 5034 Schülerinnen und Schüler eine Haupt- und Werkrealschule; das sind 5,3 Prozent, wie das Statistische Landesamt vor wenigen Tagen mitgeteilt hat.
Vor allem die FDP hält die Übergangsquote nach der vierten Klasse für eine irreführende Messgröße, weil die Schülerzahlen der Haupt- und Werkrealschulen in den höheren Klassen wieder wächst. Der Grund sind Schüler, die am Gymnasium überfordert sind und die Schulart wechseln. Aber die Statistik zeigt auch, dass auch die Auffangfunktion der Haupt- und Werkrealschulen schwächer geworden ist. Wechselten im Schuljahr 2018/19 noch mehr als 7200 Schüler zwischen Klasse sechs und neun auf eine Haupt- und Werkrealschule, waren es zuletzt weniger als 1400.
Eigentlich nicht überlebensfähig
Sechstens wäre der Restbestand an Haupt- und Werkrealschulen im Land noch kleiner, wenn der Werkrealschulabschluss nicht flächendeckend „in zumutbarer Entfernung“ von jedem Ort im Land aus zugänglich sein müsste. Das besagt eine Sonderregel im Schulgesetz. Grundsätzlich müssen kleine Schulstandorte, die zweimal hintereinander die Mindestzahl von 16 Fünftklässlern verfehlen, geschlossen werden. Aktuell wäre dies laut Kultusministerium bei 24 Werkrealschulen der Fall. Sie sind eigentlich nicht überlebensfähig, wurden von der Schulaufsicht aber als „letzte Werkrealschule in zumutbarer Erreichbarkeit“ mit Bestandsgarantie versehen.
Übergangsquoten
Statistik
Laut den jüngsten Informationen des Statistischen Landesamtes haben sich die Übergangsquoten an den weiterführenden Schulen in den vergangenen acht Jahren insgesamt stabilisiert. Zwar gibt es starke regionale Unterschiede, aber landesweit schwankt die Übergangsrate zum Gymnasium um 44 Prozent, bei den Realschulen um 34 Prozent, bei Gemeinschaftsschulen um 13 und bei Haupt- und Werkrealschulen um sechs Prozent.
Grundschulempfehlung
Im Schuljahr 2012/13 konnten Eltern erstmals von der Grundschulempfehlung abweichen. Das führte bei Realschulen und Gymnasien zu einem Anstieg der Übergangsquoten um je drei Prozentpunkte, während der Zustrom an die Haupt- und Werkrealschulen um acht Prozentpunkte sank. luß