2500 Kinder und Jugendliche aus der Stadt und dem Umland besuchen Schulen in Trossingen. Aufgrund der Bildungsreform wird es Veränderungen geben, etwa am Gymnasium, wo mehr Räume notwendig sind. Foto: Markus Herb

Die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium, der Wegfall des Werkrealschulabschlusses und die Einführung der verbindlichen Grundschulempfehlung – das hat auch Auswirkungen auf die Bildungslandschaft in der Musikstadt.

Rund 2500 Kinder und Jugendliche aus Trossingen und Umgebung besuchen die allgemeinbildenden Schulen in der Musikstadt, ein Drittel von ihnen in den drei Grundschulen und jeweils mehr als ein Viertel an der Realschule und dem Gymnasium. Die Schulreform der baden-württembergischen Landesregierung wird hier nach Einschätzung der Stadtverwaltung zu Umbrüchen in der Schullandschaft führen.

 

Unabhängig davon rechnet man in den nächsten Jahren mit einem Anstieg der Schülerzahlen um 30 bis 40 Prozent in allen Jahrgängen, weil Trossingen eine junge Stadt ist, geprägt von jungen Familien und weil der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund hoch ist. Der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule beispielsweise kann in Trossingen garantiert werden, weil man mit der Etablierung der Rosenschule als Ganztagsschule die Voraussetzungen geschaffen hat.

Eine Portion Kritik

Der Rechtsanspruch gilt in Baden-Württemberg ab dem Schuljahr 2026/27, also bereits in zehn Monaten, und wird stufenweise, beginnend mit Klasse eins, eingeführt. Die Stadt Trossingen hat nun gegenüber dem baden-württembergischen Kultusministerium eine Stellungnahme zu den Schulreformen abgegeben, in der auch eine Portion Kritik mitschwingt.

Darin heißt es wörtlich: „Andere Eckpunkte der Reform, insbesondere die Rückkehr zum G 9 und die faktische Abschaffung der Werkrealschulen, lassen uns ratlos zurück“. Bürgermeisterin Susanne Irion äußerte sich im Gemeinderat zur Bildungspolitik in Baden-Württemberg: „Warum man alle fünf Jahre eine neue Sau durch den Ort treiben muss, verstehe ich auch nicht“. Dass es künftig mehr Sprachförderung in Kitas und der Grundschule geben wird, sei allerdings positiv. Begrüßt wurde auch die Schaffung von Juniorklassen (an Stelle der bisherigen Grundschulförderklassen). Skeptisch sind Bürgermeisterin samt Verwaltungsspitze beim Wegfall des Werkrealschulabschlusses. „Hier ist die Rückkehr zum Hauptschulabschluss zu befürchten“, so Susanne Irion.

Angemessene Förderung von Hauptschülern

Bisher hätten handwerklich und technisch begabte Hauptschüler die Möglichkeit, in der zehnten Klasse mit dem WRS-Abschluss einen mittleren Bildungsabschluss in der gleichen Zeit zu erreichen wie die Realschüler. Deshalb hätten sich auch in Trossingen viele Eltern entschlossen, ihr Kind an der Werkrealschule anzumelden. In Trossingen mit seinem hohem Migrantenanteil würden momentan die Werkrealschüler mit eher praktischer Begabung angemessen gefördert, um sprachliche Defizite auszugleichen und hatten in anderen Fächern Erfolgserlebnisse. „Nun wird den Hauptschülern genau diese Möglichkeit genommen. Künftig ist ihre einzige Chance auf einen mittleren Bildungsabschluss, dass sie auf eine zweijährige Berufsfachschule wechseln“, so die Bildungsreform-Kritik aus dem Trossinger Rathaus.

Sinkt Niveau in Realschule?

In Trossingen befürchtet man, dass die Abschaffung der Werkrealschule zu einem Absinken des Leistungsniveaus an der Realschule führen wird. „In großen und noch volleren Klassen“ würden künftig Schüler, die einen engen Praxisbezug bräuchten, zusammen mit Schülern unterrichtet, die nach dem Realschulabschluss eigentlich die Fach- oder Hochschulreife im Blick haben, heißt es in dem vom Gemeinderat abgesegneten Schreiben, das an Kultusministerin Theresa Schopper gerichtet ist, - „das kann nicht das Ziel sein“. Ein Auseinanderdriften des Leistungsniveaus in der Realschule sei die Folge.

Begrüßt wird von der Stadt der geplante Potenzialtest für Schüler, die trotz abweichender Empfehlung das Gymnasium besuchen wollen. Unverständnis herrscht in der Musikstadt, dass es einen solchen Test nicht auch für die Realschulen gibt. „Viele Kinder werden von ihren Eltern an den Realschulen angemeldet, obwohl sie an der Werkrealschule oder Hauptschule deutlich besser gefördert werden können“, heißt es in der Stellungnahme.

Entlastung gefordert

Wegen der geplanten Abschaffung der Werkrealschulen müssten die Realschulen im Gegenzug entlastet werden. Im Trossinger Rathaus ist man sich im Klaren, dass man als Schulträger auf das geänderte Anmeldeverhalten der Schüler auch bei den Raumkapazitäten an den einzelnen Einrichtungen reagieren muss, also Schulen ausbauen muss, obwohl Trossingen eine ohnehin finanzschwache Stadt ist. Bevor überhaupt gebaut werden könne, seien aufwendige Vergabeverfahren schon in der Planungsphase notwendig bis hin zur Beantragung der Schulbaufördermittel, die dann erst im Jahr darauf genehmigt würden.

Die Einführung des neunjährigen Gymnasiums löst für das Gymnasium Trossingen einen erhöhten Platzbedarf aus, der im aktuellen Raumprogramm zur Beantragung von Zuschüssen für die Schulsanierung und Erweiterung noch nicht beantragt werden kann. Unverständlich sei, so die Trossinger Bürgermeisterin, dass die Stadt aktuell ein Raumprogramm für die Sanierung und Erweiterung des Gymnasiums ohne Berücksichtigung des G 9 mit dem Regierungspräsidium abstimmen muss, obwohl klar ist, dass eine Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium ab September 2025 (zunächst mit den Klassen fünf und sechs) erfolgt.

Einladung nach Trossingen

Auch für das neu errichtete Ganztagesgebäude wird die Rückkehr zum G 9 Folgen haben: Das Gymnasium wird mit nur noch 29 Wochenstunden wieder Halbtagesschule, die Inanspruchnahme des Ganztagsschulbereichs am Gymnasium werde „schlagartig nach unten gehen“, so Susanne Irions Prognose.

Bürgermeisterin Susanne Irion lädt in dem Schreiben an das Kultusministerium ausdrücklich Ministerin Theresia Schopper nach Trossingen ein, um die Überlegungen des Ministeriums zur Schulreform vor Ort und im Austausch mit Schulleitern und Vertretern der Stadt einem Praxistest zu unterziehen.

Gegenüber dem Gemeinderat deutete die Bürgermeisterin an, dass es aufgrund der aktuellen Entwicklungen gut ist, den Schulcampus an einem Standort auszubauen und so ein System der „kommunizierenden Röhren“ zu schaffen.