Die Schulreformgesetze kommen erst an Weihnachten in den Landtag. Das wird zeitlich äußerst knapp – vor allem an einem zentralen und für das neunjährige Gymnasium heiklen Punkt.
Die grün-schwarzen Schulreformen von der frühkindlichen Bildung bis zum neunjährigen Gymnasium können vom Landtag offenbar erst im allerletzten Moment beschlossen werden. Anders als von der Koalition zunächst ins Auge gefasst, wird die umfangreichste Schulgesetzänderung der vergangenen Jahrzehnte nicht mehr im Herbst in den Landtag eingebracht. Die parlamentarische Beratung beginnt, wie Kultus- und Staatsministerium auf Anfrage erklärten, erst in der letzten Landtagssitzung des Jahres am 18. Dezember; dann ist die erste Lesung des Gesetzentwurfs anberaumt.
Wenn der Landtag sich sputet, kann die nötige Beratung des Gesetzentwurfs zwar im Januar abgewickelt werden und der Beschluss rechtzeitig zum Februar erfolgen. Doch da die Änderung des Schulgesetzes von diversen Verordnungen flankiert werden muss, werden inzwischen Zweifel laut, ob die neuartige verbindliche Grundschulempfehlung bei diesem Zeitplan überhaupt noch rechtssicher zum nächsten Schuljahr umgesetzt werden kann. Ab Februar werden die Grundschulempfehlungen für alle Viertklässler in jedem Schuljahr an den Grundschulen des Landes erstellt. Deshalb war eine Maßgabe der Koalition stets, dass die Gesetzgebung zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen sein muss.
Was Eltern befürchten
An diesem Dienstag und Mittwoch haben die Viertklässler in Baden-Württemberg erstmals flächendeckend und verpflichtend den Kompetenztest „Kompass 4“ abgelegt, der ein Bestandteil der neuen Leistungsbewertung für die Grundschulempfehlung ist. Sie ist vor allem für angehende Gymnasiasten wichtig, weil die Grundschulempfehlung für diese Schulart ab jetzt wieder verbindlich ist. Eltern klagen inzwischen darüber, dass dieser Kompetenztest den Schülern ohne Rechtsgrundlage abverlangt werde, weil bisher weder das neue Gesetz noch die dazu gehörige Rechtsverordnung vorliegen. „Als Nicht-Jurist tendiere ich zu der Auffassung, dass die Teilnahme an einem unbenoteten Test nicht zwingend eine Verordnung als Grundlage erfordert“, erklärt der Vorsitzende des Landeselternbeirats Sebastian Kölsch auf Anfrage dazu. „Das sieht aber anders aus, wenn das Ergebnis des Kompetenztests zur Voraussetzung für die Schullaufbahnempfehlung der Grundschule genutzt wird.“ Das soll laut den Absichten der Landesregierung im Januar/Februar 2025 erstmals der Fall sein. Dann werden die neuen Grundschulempfehlungen für alle Viertklässler formuliert, die ausschlaggebend für die Wahl der weiterführenden Schule bereits im nächsten Schuljahr sind. Weil die Grundschulempfehlung nur für angehende Gymnasiasten verbindlich ist, ist das zum geplanten Start des G9 im nächsten Schuljahr besonders wichtig. Kölsch bezeichnet es als „unschön und nicht besonders partizipativ“, dass er bisher noch gar keinen der die Schulgesetznovelle begleitenden Verordnungstexte gesehen hat.
Wieso die Regierung sich zuversichtlich gibt
Den Vorwurf, den Kompass-4-Tests fehle die Rechtsgrundlage, weist das Kultusministerium zurück. Da die Tests im Unterricht stattfänden, ergebe sich die Verpflichtung zur Teilnahme aus der Schulpflicht „wie die Teilnahme an jeder anderen Klassenarbeit auch“, betonte ein Sprecher von Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne). Auf Dauer hält Schopper diese Rechtsgrundlage jedoch offensichtlich nicht für tragfähig: „Eine ergänzende gesetzliche Verankerung der Kompetenzmessung Kompass 4 erfolgt Ende Januar/Anfang Februar 2025 im Schulgesetz“, so der Sprecher. Im Gesetz ist zudem eine eigene Rechtsverordnung zu dem Thema verankert. Beim Schulgesetz und den begleitenden Verordnungen sei das Kultusministerium bereits „weit vorangekommen“, teilt das Staatsministerium auf Anfrage ebenfalls optimistisch mit. „Einem fristgerechten Inkrafttreten der Änderungen für das Schuljahr 2024/25 steht Stand jetzt nichts im Wege.“
Wo Schulpraktiker Zweifel haben
Ein Schulpraktiker beurteilt die Sachlage allerdings ganz anders. Gerade bei der Grundschulempfehlung, die in Paragraf 88 zur „Wahl des Bildungswegs“ neu geregelt wird, sieht er gleich mehrere gravierende Schwachstellen. Da neben dem Schulgesetz auch die einschlägige Rechtsverordnung noch fehle, die zudem ein eigenes Anhörungsverfahren durchlaufen müsse, sei unklar, auf welcher Grundlage und nach welchen genauen Vorgaben die Klassenkonferenzen im Januar die „pädagogische Gesamtwürdigung“ der im vierten Schuljahr erreichten Noten vornehmen sollen. Diese Gesamtwürdigung ist ein weiteres wichtiges Element der Grundschulempfehlung. Fragen löst außerdem aus, wie bei privaten Grundschulen verfahren werden soll, für die die Teilnahme am Kompass-4-Test laut der Gesetzesnovelle in diesem Jahr lediglich freiwillig und nicht verpflichtend ist. Noch sei den Schulen nicht mitgeteilt worden, wie sie vorgehen sollen, wenn dieser Baustein fehlt. Ungut sei zudem, dass Kinder, die vom 19. bis 29. November krank seien, sowohl den Haupt- als auch den Nachtermin für diesen Pflichttest versäumten. Auch hier stelle sich die Frage, ob sie dann gar keinen Zugang zum Gymnasium erhalten oder ersatzweise einen Potenzialtest ablegen müssten.
Empfehlung wird wieder verbindlich
Gesetz
Die Grundschulempfehlung soll für Schüler, die das Gymnasium besuchen wollen, im Zuge der anstehenden Schulreformen wieder verbindlich sein. Vier Elemente sollen dabei eine Rolle spielen: der Elternwille, die pädagogische Gesamtwürdigung der Schülerleistung und der Kompetenztest Kompass 4, bei dem das Können in Deutsch und Mathe geprüft wird.
Konflikt
Sind Eltern nicht einverstanden mit der Entscheidung der Schule, können die Kinder einen sogenannten Potenzialtest ablegen, und dort den Nachweis erbringen, dass sie das Gymnasium schaffen können.