Foto: Andreas Rosar

Update Couragierte Passanten halten einen der mutmaßlichen Täter auf der Königstraße fest.

Stuttgart - Die organisierte Kriminalität in Estland hat offenbar wieder deutsche Juweliere ins Visier genommen: Eine Gruppe wurde am Donnerstag nach Stuttgart geschickt - doch der Überfall in der Königstraße endete für einen 31- und einen 34-jährigen Esten hinter Gittern.

Wahrscheinlich wird die Polizei nur die sogenannten Soldaten, quasi das Fußvolk des Raubkommandos, erwischt haben. Sicher dürften die verdächtigen Juwelierräuber erklären, dass sie in Tallinn in Estland von einem Unbekannten, von dem sie nur den Vornamen kennen, angeheuert worden seien. Dass sie gehofft hätten, dass sie mit dem Überfall auf einen Juwelier ihre Schulden erlassen bekämen. So war es bisher stets, wenn in der Vergangenheit estländische Tätergruppen auf Beutezug dingfest gemacht worden waren. Beim Landeskriminalamt hatte sich dazu extra eine Ermittlungsgruppe namens Baju spezialisiert.

Angestellten und Kunden mit Schusswaffen bedroht

Seit Donnerstag beschäftigt sich das Raubdezernat mit einem 31- und einem 34- jährigen Mann aus Estland, die an einem bewaffneten Raubüberfall auf das Juweliergeschäft Kutter an der Königstraße beteiligt gewesen sein sollen. Dank der Mithilfe und Aufmerksamkeit von Passanten konnten die beiden bereits wenige Minuten nach der Tat dingfest gemacht werden. Mindestens ein weiterer Komplize konnte dagegen entkommen - trotz Großfahndung mit Hubschrauber und Mobilem Einsatzkommando.

Die Tat spielte sich gegen 12.10 Uhr ab: Einer der Täter gab sich als Kunde aus, bat einen der Angestellten nach draußen ans Schaufenster. Plötzlich drangen zwei weitere Männer in das Geschäft ein, bedrohten in gebrochenem Englisch die sieben Angestellten und vier Kunden mit Schusswaffen. Die Täter ließen sich die Vitrinen öffnen, packten Uhren im Wert von mehreren Zehntausend Euro in zwei Taschen und rannten davon. Doch dann ging einiges schief.

Vom dritten Räuber fehlt jede Spur

Drei mutige Passanten verfolgten die Täter, die von der Königstraße nach links in Richtung Calwer Straße flüchteten. Dass einer der Täter in die Luft und in Richtung der Zeugen schoss, hinderte die couragierten jungen Männer nicht, den 31-Jährigen zu überwältigen und festzuhalten. Der Mann hatte eine der Taschen mit der Beute dabei. Zum Glück hatte er nur mit einer Schreckschusswaffe gefeuert.

Sein 34-jähriger Komplize entkam zunächst in die Theodor-Heuss-Straße. Zeugen sahen ihn und einen weiteren Verdächtigen in einem achtgeschossigen Bürogebäude verschwinden. Was sie dort wollten, ist unklar: Womöglich wollten sie in die Tiefgarage des Gebäudes zwischen Kiene- und Büchsenstraße.

Vom dritten Räuber fehlt jede Spur

Bei dem Gebäude handelte es sich allerdings um eine Filiale der KPMG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft - und die berät grundsätzlich keine Räuber. Der 34-Jährige fiel mit seiner abgetragenen beigefarbenen Jacke und grauen verwaschenen Jeans sogleich auf - und blieb offenbar am Zugangssicherungssystem hängen. Gegen 12.45 Uhr wurde der Verdächtige von der Polizei mit Handschließen abgeführt.

Für die Beschäftigten war der Fall aber noch lange nicht ausgestanden: Weil der dritte Täter noch im Komplex vermutet wurde, ließ die Polizei das Gebäude räumen. "Wir wurden aus unserem Alltag gerissen", sagt KPMG-Vorstand Stefan Held. "Ich war noch mitten in einer Besprechung", sagt eine Mitarbeiterin, die ohne Jacke, notdürftig in eine grüne Fleecedecke gehüllt, zitternd in der Kälte stehen muss. Am Stuttgarter Standort des Unternehmens sind 400 Mitarbeiter beschäftigt, allerdings waren zur Mittagszeit nicht alle im Gebäude anwesend. Nach Stunden erst wurde die Sperrung des Areals wieder aufgehoben. Beamte des Mobilen Einsatzkommandos konnten keine Spur des dritten Mannes mehr entdecken. Auch eine Fahndung auf den Ausfallstraßen blieb am Donnerstag ohne Ergebnis. Die Polizeiaktion sorgte in der Innenstadt für Aufsehen, weil ein Polizeihubschrauber längere Zeit über dem Stadtzentrum kreiste.

Glücklicherweise kam bei dem Überfall niemand zu Schaden. Auch bei Juwelier Kutter waren alle offenbar mit dem Schrecken davongekommen. Erst vor acht Monaten hatte es dort den letzten Überfall gegeben. Auch damals war einer der Täter, ein 21-jähriger Serbe, nicht weit gekommen.