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Timo Broghammer sieht Territorialverhalten als Auslöser. "Ziel: Töten des Eindringlings".

Schramberg-Sulgen/Tennenbronn - "Ich bin kein Hundepsychologe", sagte der Polizeibeamte, der den "Fall Kisha" bearbeitet. Wer sich hingegen bestens mit Verhaltensmustern von Tieren auskennt, ist Tino Broghammer.

Der Biologe beschäftigt sich mit Verhalten und Interaktion verschiedener Tierarten sowie Konflikten zwischen Tieren und Menschen. Außerdem besitzt er professionelle Erfahrung in der Ausbildung von Jagdhunden. Internationale Praxiserfahrung hat er in Namibia (Geparden) und Tadschikistan (Schraubenziegen) gesammelt. Sein Vater Reinhard stammt aus Tennenbronn, seine Großeltern Eugen und Ilse Broghammer leben dort.

Die Familie Schröder hat sich unterdessen nochmals zu Wort gemeldet. Entgegen der Darstellungen der Polizei habe es von den Schäferhunden sehr wohl Angriffe auf Angela Schröder gegeben, da diese sich in deren Mantel verbissen hätten. Es habe keine direkten Verletzungen durch Hundebisse gegeben, sagt deren Mann. Doch wäre seine Frau im Sommer leichter bekleidet gewesen, hätte es auch für sie übel enden können.

Nun aber zum Interview mit Tino Broghammer.

Herr Broghammer, sollten die Schäferhunde eingeschläfert werden? Denn es wird immer wieder behauptet "Wer so etwas einmal getan hat, tut das wieder".

Nein, die beiden Schäferhunde sind nicht schuldfähig und müssen auf keinen Fall eingeschläfert werden. Die Verantwortung liegt beim Hundehalter. Zunächst sollte geprüft werden, ob dieser noch für die Haltung der Schäferhunde geeignet ist. Des Weiteren muss unbedingt ein professioneller Hundetrainer mit den Hunden und dem alten oder neuen Besitzer arbeiten.   

Wie erklären Sie sich den tödlichen Vorfall?

Der Vorfall lässt sich durch das sogenannte Territorialverhalten erklären. Die beiden Schäferhunde waren dabei, ohne Zustimmung des Halters als Rudelführer, ihr vermeintliches Revier aggressiv auszuweiten, beziehungsweise zu verteidigen. Nur selten endet das Revier eines Hundes am Gartenzaun. Ihr Ziel war das Töten des Eindringlings, sofern dieser nicht sofort und schnell genug die Flucht ergriffen hätte. Schäferhunde weisen rassebedingt ein stärkeres Territorialverhalten auf als manch andere Hunderassen. Auch ihre körperliche Überlegenheit gegenüber dem Jack Russell-Terrier spielte eine Rolle, dass es zu dem tragischen Tod kam. Der Fehler liegt somit beim Halter der Hunde, da es offenbar Mängel bei der Erziehung gibt.

Wie wahrscheinlich ist es, dass die Hunde zuvor gereizt wurden, beispielsweise durch Steinwürfe?

Es ist natürlich möglich, dass die Hunde durch Steinwürfe dazu bewegt wurden, aus der Umzäunung zu flüchten. Dies hat jedoch nichts mit dem Angriff auf den Jack Russell Terrier zu tun. Der Angriff diente ausschließlich zur Vermeidung von Konkurrenz im eigenen Revier.

Sind Schäferhunde besonders gefährlich? Also gefährlicher als die Rassen, die auf der Kampfhunde-Liste stehen?

Ob ein Hund besonders gefährlich ist, lässt sich nicht pauschal an einer Rasse und schon gar nicht an einer Kampfhund-Liste festmachen. Es muss einem bewusst sein, dass die verschiedenen Hunderassen historisch für spezielle Aufgaben gezüchtet wurden und dadurch unterschiedliche Charakterzüge besitzen. Dabei war es unabdingbar, dass viele Hunderassen eine gewisse Aggression und Schärfe gegenüber Menschen oder Tieren zeigten sowie ein ausgeprägtes Territorialverhalten aufwiesen.

Welches sind die Merkmale des Schäferhundes?

Der Deutsche Schäferhund wurde nicht nur zum Zusammenhalten der Herde, sondern auch zu deren Verteidigung gezüchtet. Auch heute wird eine gewisse Schärfe bei einigen Gebrauchshunderassen benötigt. Deutsche Schäferhunde sind jedoch relativ gesehen für die meisten gemeldeten Beißunfälle verantwortlich. Die Mischung aus kräftigem Körperbau, Körpergröße und angeborenem Aggressionspotenzial verlangen daher eine konsequente Erziehung mit klaren Regeln sowie einer angemessenen Auslastung, damit es nicht zu einem tragischen Unfall kommt. Denn jede Hunderasse ist sozialisier- und trainierbar und somit kann jeder Hund zum liebsten und treuesten Begleiter für seine Halter und Fremde werden. Gerade Schäferhunde lassen sich bei kompetenter Erziehung sehr gut führen, denn sie haben einen angezüchteten "Will to please", das heißt, sie wollen dem Besitzer gefallen und es ihnen recht machen.  

 Wie sollte sich ein Mensch verhalten, wenn aggressive Hunde angreifen?

Angriffe auf Menschen durch fremde Hunde sind in Deutschland glücklicherweise selten, können jedoch wie beim Vorfall in Sulgen vorkommen. Immer wieder wird empfohlen, nicht in Panik zu verfallen, aber kaum jemand hat in der Situation tatsächlich das entsprechende Nervenkostüm dazu.

Es gibt Verhaltensregeln, welche schwere Bissverletzungen verhindern können, jedoch kein Patentrezept sind. Die wichtigste Regel ist, nicht davonzurennen, da dies den Hund dazu motivieren würde, einen zu hetzen. Am besten bleibt man ruhig stehen oder geht je nach Gelände langsam rückwärts, macht keine hektischen Bewegungen mit den Händen und versucht, einen Gegenstand wie einen Regenschirm oder Rucksack zwischen sich und den Hund zu bringen, ohne den Hund damit zu provozieren. Der Hund sollte mit ruhiger Stimme angesprochen, aber nicht angeschrien werden. Außerdem sollte Augenkontakt vermieden werden, da dies die Aggression steigern könnte.  

Und wenn das alles nicht hilft?

Kommt es zum Verbeißen, kann der Hund mit gezielten Schlägen und Tritten im Nasen- und Augenbereich zum Ablassen bewegt werden. Fällt man zu Boden, sollte man eine Embryohaltung einnehmen und dabei Hals und Gesicht mit Armen und Händen schützen.

Wie kann man kleinere Hunde wie im Fall Kisha am besten schützen?

Wird der eigene, kleinere Hund angegriffen, ist die häufigste Reaktion der Halter das Hochheben des Vierbeiners. Dies sollte jedoch nicht gemacht werden, da man schnell selbst zum Opfer werden kann oder es zu einem Verbeißen kommen kann, bei dem der kleine Hund Schaden nimmt. Die beste Lösung ist, die Leine fallen zu lassen, sodass der Hund die Chance zur Flucht bekommt und das Gebiet weiträumig verlassen kann. Ist man mit einer weiteren Person unterwegs, ist es möglich, die Hunde beherzt voneinander zu trennen, indem man sie zum Beispiel am Halsband packt und dieses verdreht, um die Luft abzudrücken. Dabei geht man jedoch auf jeden Fall das Risiko ein, vom anderen oder sogar eigenen Hund gebissen zu werden.  Die Fragen stellte Martin Dold.

Tino Broghammer legte 2011 sein Abitur am Hohenstaufen-Gymnasium Eberbach (Landkreis Heidelberg) ab. 2015 erhielt er den Bachelor in Biologie an der Universität Konstanz und Cardiff University. 2018 folgte der Master in Wildtierökologie und Wildtiermanagement an der Universität Wien.