Klimaforscher Franz Baumann kommt aus Schramberg. Foto: Fritsche

Klimaforscher Franz Baumann kommt aus Schramberg. Rede über Klimawandel in Berlin gehalten.

Schramberg - Der Schramberger Franz Baumann ist als hoher UNO-Beamter und Universitätsprofessor zum Vorkämpfer gegen den Klimawandel geworden. Anlässlich eines Abituriententreffen ist er in Schramberg gewesen.

"Die momentane Hitze bietet einen guten Vorgeschmack auf das, was in Zukunft durch den Klimawandel auf uns zukommt", erklärte Franz Baumann, als er sich beim Treffen der Ehemaligen des Abiturientenjahrgangs 1973 in seiner Heimatstadt Schramberg aufhielt. Baumann, der aus der gleichnamigen früheren Bäckerei und Konditorei an der Steige stammt, ist immer noch mit Schramberg verbunden. Regelmäßig kommt er auch zur Fasnet.

Bis Ende 2015 war Baumann als "Beigeordneter Generalsekretär" sowie Sonderberater für Umweltfragen und Friedensmissionen der Vereinten Nationen tätig. Seit 2017 ist er Gastprofessor an der New York University und beschäftigt sich auch dort mit Fragen der Klimapolitik.

Denkwürdiger Vortrag beim Auswärtigen Amt

Im März dieses Jahres hat Baumann beim Auswärtigen Amt in Berlin einen denkwürdigen Vortrag unter der Überschrift "Klimawandel – Zentrale Herausforderung der Menschheit" gehalten. Er handelte von der vom Treibhausgas CO2 verursachten Erderwärmung, "Erderhitzung" in seinen Worten.

Im Vortrag habe er keine Meinung transportieren wollen, sagt er im Gespräch im Garten seines Schramberger Elternhauses, sondern Sachverhalte aufgezeigt und mit Quellenangaben belegt. "Ich bin kein Missionar, aber die Diskussion über den Klimawandel muss aus der Nische herauskommen", betont Baumann.

Denn gelinge es nicht, den Anstieg der Erderwärmung zu begrenzen, drohe tatsächlich eine irreversible Katastrophe bis hin zum Kollaps der Zivilisation. Baumann zitiert Bundeskanzlerin Angela Merkel: "Der Klimawandel ist für unsere Welt eine Schicksalsfrage. Sie entscheidet über das Wohlergehen von uns allen", hatte diese schon auf der UN-Klimakonferenz 2017 in Bonn erklärt.

Druck aus der Gesellschaft

Der wissenschaftliche Konsens sei, referiert Baumann, dass die Gefahren bei einer Erderwärmung jenseits von zwei Grad Celsius nicht linear, sondern exponentiell zunehmen, dass sie "zu Kipppunkten führt und zu irreversiblem Schaden". Die Wahrcheinlichkeit, dass sich die Erde wegen des unverminderten CO2-Ausstoßes bis zur Jahrhundertwende auf über zwei Grad erwärmt, wird auf 90 Prozent geschätzt. Selbst dass es weniger als drei Grad sein werden, werde nur noch als möglich (und nicht sicher) eingeschätzt. Die Frage sei dann nicht mehr die Verhinderung, sondern nur noch die Hinauszögerung der Katastrophe. "Wir sind die ersten, die den Klimawandel erfahren, und die letzten, die ihn noch bremsen können", mahnt Baumann.

Im Berliner Vortrag beschäftigte er sich auch damit, warum trotz dieser Bedrohung nicht alle Hebel dagegen in Bewegung gesetzt werden: Zum einen spielten Menschen bei Konflikten auf Zeit ("Kommt Zeit, kommt Rat"), zum andern schlössen sie Kompromisse. "Aber die Zeit zum Handeln ist knapp und die Natur macht keine Kompromisse", stellt er fest.

Den laxen Umgang mit der Bedrohung erklärt er so: "In Demokratien entscheiden die Betroffenen, doch das sind hier künftige Generationen oder Länder anderer Regionen, die keine Stimme haben."

Die Bundeskanzlerin wäre sich der großen Herausforderung bewusst, aber ohne Druck aus der Gesellschaft könne sie nicht angemessen handeln.

Dennoch gebe es Lösungen, allerdings nur auf internationaler Ebene. Deutschland könne mit der EU und den asiatischen Staaten das CO2-Problem in einer kollektiven Anstrengung angehen. "Mit dem Preismechanismus über einen höheren CO2-Preis zu steuern, wäre ein wichtiger Schritt." Denn es könne nicht sein, dass es nichts koste, das Klima zu zerstören, die Ozeane zu verschmutzen und die Luft zu verpesten, ohne für den Schaden aufkommen zu müssen.

"Private Askese reicht nicht, ein gesellschaftlicher Umbau zusammen mit den Konservativen und der (Auto-)Industrie ist notwendig", fordert Baumann.

Die Rede im Manuskript

Klimawandel - Zentrale Herausforderung der Menschheit

Vortrag im AA Berlin am Montag, dem 19. März 2018

 

 

Bundeskanzlerin Merkel betonte auf der UN-Klimakonferenz COP 23 in Bonn letztes Jahr im November, dass wir „vor einer, wenn nicht sogar vor der zentralen Herausforderung der Menschheit stehen. Der Klimawandel ist für unsere Welt eine Schicksalsfrage. Sie entscheidet über das Wohlergehen von uns allen.“1 Die Kanzlerin neigt, wie wir wissen, weder zum Drama, noch zur Übertreibung. Ich werde in den nächsten zwanzig Minuten zu ergründen versuchen, was hinter ihrer Behauptung steckt und warum sie recht hat.

 

Klimawandel oder Erderwärmung (korrekter wäre Erderhitzung) ist in der Tat eine Bedrohung von unerhörter Tragweite und außerordentlicher Komplexität, eben DIE zentrale Herausforderung der Menschheit. Der Ursprung der Erderhitzung liegt in der Vergangenheit. Ihre Auswirkungen reichen weit in die Zukunft.

 

 

Die historischen Aspekte der Erderhitzung

Die Erderhitzung wurzelt in der industriellen Revolution und ist die Kehrseite einer phänomenalen Erfolgsgeschichte, die vor allem nach dem zweiten Weltkrieg ungeheuer Fahrt aufnahm.

 

Dia: Wachstumskurve [World population and GDP per capita from year 1 to 2010 AD]

Menschen gibt es seit ca. 150.000 Jahren, aber der größte Wachstumsschub erfolgte in den letzten 60 Jahren. Es dauerte:

  • Mehrere tausend Jahre, bis die erste Milliarde Menschen erreicht war (um 1800)

  • Über ein Jahrhundert bis zur zweiten Milliarde (um 1920)

  • Circa 40 Jahre zur dritten Milliarde (um 1960)

  • 14 Jahre zur vierten Milliarde (1974)

  • 13 Jahre zur fünften Milliarde (1987)

  • 12 Jahre zur sechsten Milliarde (1999)

  • 8 Jahre zur siebten Milliarde (2007)

Heute leben 7,6 Milliarden Menschen auf der Erde. Bis zum Ende des Jahrhunderts werden es über 11 Milliarden sein, d.h. 50 Prozent mehr als heute.

 

Ebenfalls in den vergangenen 60 Jahren profitierten viele Menschen – selbstverständlich nicht alle – von der wachsenden Produktivität und wurden gesund und zu einem in früheren Zeitaltern undenkbaren Umfang wohlhabend. Hauptmotor dieses gewaltigen, ja revolutionären Wohlstandsschubs war der Einsatz fossiler Energiequellen: Kohle, Öl und Gas. Der Energieverbrauch für Mobilität, Wohnkomfort und unseren enormen Gerätepark nahm rapide zu.

 

Pro Kopf & Jahr ist heute:

das Bruttosozialprodukt ca.: D: $50.000 CDN/USA: 50.000 Ghana: $1.500

ist der Stromverbrauch (in kwh) ca: D: 6.600, CDN: 16.500, USA: 12.700, Ghana: 300

sind die CO2 Emissionen (Tonnen pro Kopf) D: 11,7 CDN: 24,4; USA: 20,0; Ghana: 0,3

 

Bemerkenswert ist die enorme Höhe der Wirtschaftsleistung, des Stromverbrauchs und der CO2 Emissionen in westlichen Industrieländer, und wie ungeheuerlich gering diese in Afrika, Asien oder Lateinamerika sind.

 

Anders ausgedrückt: Deutschland hat ca. 1 Prozent der Weltbevölkerung, verbraucht aber 4-5 Prozent der Ressourcen und emittiert 2-3 Prozent des weltweiten CO2. Die Bilanz der anderen Industrieländer ist ähnlich. Um unseren Lebensstandart aufrechtzuerhalten – und ihn in Einklang mit der Natur zu bringen – ist ein Umbau unserer Wirtschaft und unseres Konsumverhaltens unabdingbar. Dies zu bewerkstelligen ist die Schicksalsfrage. Dabei geht es um uns einerseits, aber nicht weniger wichtig darum, dass andere Länder ein legitimes Anliegen haben, zu uns aufzuschließen. Weil die Natur endlich ist ergibt sich die Herausforderung, von der Frau Merkel sprach.

 

Nicht nur sie. In der Enzyklika vom Mai 2015 Laudato si’: Über die Sorge für das gemeinsame Haus, geißelt Papst Franziskus die unerhörte Ungleichverteilung der Güter und die Ausbeutung der Schöpfung durch anthropozentrische Maßlosigkeit. Die Ausbeutung der Schöpfung – die Sorge um die Umwelt und die Ausbeutung nicht-erneuerbarer Rohstoffe – wurde schon in den späten sechziger Jahren politisch artikuliert. Besonders nach dem Bericht des Club of Rome Grenzen des Wachstums (1972) und der Ölkrise 1973 schien malthusisches Elend eine realistische Gefahr [Bedrohung]. Die Umweltverschmutzung wurde erfolgreich bekämpft. Die Luft, die Flüsse, Seen, Industrien, Städte und Autos wurden wesentlich sauberer. Der Himmel über der Ruhr wurde wieder blau

 

Aber was den zweiten Punkt anlangt, die Erschöpfung nicht erneuerbarer Ressourcen und die Belastung der Natur, geschah etwas Interessantes. Der technologische Fortschritt eröffnete neue Rohstoffquellen und schuf synthetischen Ersatz, sodass das Angebot an Materialien sichergestellt war und Preise sogar fielen. Aber es stellte sich überraschenderweise heraus, dass die Erschöpfung von Rohstoffen ein geringes Problem ist. Es sind die Konsequenzen der Rohstoff Nutzung, die verheerend sind. Heute sind fossile Rohstoffe nicht knapp, sondern es gibt sie im Überfluss. Die große Herausforderung ist, sie dort zu belassen, wo sie sind, nämlich im Boden.

 

Wie schwierig das ist, wenn es denn überhaupt möglich sein wird, zeigt sich daran, dass weiter prospektiert wird, obwohl schon bekannte Vorkommen nicht mehr ausgebeutet werden dürfen. Kofi Annans Africa Progress Panel nennt es unlogisch, dass die G-20 Länder jährlich $88 Milliarden ausgeben, um neue Öl und Gasvorkommen zu erschließen und zu subventionieren.2

 

Um nachvollziehbar zu machen, warum das Verbrennen fossiler Brennstoffe verhängnisvoll ist, soll der wissenschaftliche Konsens skizziert werden.

 


 

Die wissenschaftlichen Aspekte der Erderhitzung

 

Das Verbrennen fossiler Energieträger – Kohle, Öl und Gas – erzeugt Kohlendioxid (CO2), ein geruchsloses, unsichtbares, unbrennbares Treibhausgas, welches das Klima erwärmt. Dieser Zusammenhang ist seit den Zeiten Napoleons bekannt.

 

Dia: Keeling Kurve

 

Der amerikanische Wissenschaftler Charles Keeling (20.4.1928 – 20.6.2005) begann in den späten 1950iger Jahren im Mauna Loa Observatorium in Hawaii den Anteil von Kohlendioxid in der Atmosphäre zu registrieren. Die Keeling Kurve dokumentiert den Treibhauseffekt, also den Zusammenhang zwischen dem Verbrennen fossiler Energieträger und der Erderhitzung. CO2 absorbiert die Infrarot Strahlung der Sonne und gibt sie weiter, verhindert aber das Ausströmen ins Weltall der von der Erde zurückgestrahlten Wärme. Dies ist der Grund der Erderwärmung und einer fatalen Rückkopplung: höhere Anteile von CO2 in der Atmosphäre führen zu immer höheren Temperaturen.

 

Während der letzten paar hunderttausend Jahre bewegte sich der Anteil von Kohlendioxid in der Atmosphäre zwischen 180 und 280 Teilen pro Million Einheiten (parts per million, ppm. Seit Beginn der industriellen Revolution wurden durch das Verbrennen fossiler Energieträger – Kohle, Öl und Gas – 1.500 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre verbracht; durch das Abholzen von Wäldern weitere 700 Milliarden Tonnen CO2. Jedes Jahr werden ca. 40 Milliarden Tonnen CO2 hinzugefügt. Tendenz steigend – selbst nach dem Abkommen von Paris und nach dem beispiellosen Wachstum der letzten Jahre und Jahrzehnte. Von 1945 bis 2016 stiegen die Emissionen um das Neunfache an. Jene der letzten sieben Jahre waren höher als die der zwei Jahrhunderte von 1751 bis 1950.

 

Die Temperaturen auf der Erde korrelieren mit dem CO2 Anteil in der Atmosphäre. Die Erwärmung um 0,5C, die in den 1960iger Jahren gemessen wurden, entsprach dem Anteil von CO2 in der Atmosphäre, der auf 300 ppm gestiegen war. In den 136 Jahren der Temperaturmessung hat sich die Erde um 1C erwärmt.

 

2016 war das erste Jahr, in dem der Anteil von CO2 in der Atmosphäre durchgehend über 400 ppm war. 2016 war auch das wärmste Jahr seit der Temperaturaufzeichnung, wie schon die vorausgehenden Jahre 2015 und 2014, und das nachfolgende Jahr 2017. 17 der 18 heißesten Jahre waren im 21. Jahrhundert (das einzige vor dem 21. Jahrhundert war 1998, das 8. wärmste).3 2017 war das einundzwanzigste Jahr in Folge, in dem die Durchschnittstemperaturen in den USA überdurchschnittlich waren.

 

Im Gegensatz zu Wasserdampf, welcher verdunstet, akkumuliert CO2 in der Atmosphäre und wird erst nach Jahrhunderten abgebaut. Deshalb sind die aktuellen Anteile von Kohlendioxid in der Atmosphäre das Resultat sowohl der kumulativen Emissionen seit der industriellen Revolution als auch der heutigen. Schön veranschaulicht dies eine Badewanne, in die von oben Wasser einfließt, in der aber der Abfluss blockert ist. Der Wasserstand steigt bis entweder der Zufluß unterbrochen ist, oder aber bis vorhandenes Wasser abgeschöpft wird.

 

Es ist seit Längerem bekannt, dass ein sich erwärmendes Klima das natürliche Gleichgewicht der Erde stört und die Umwelt verändert. Das schmelzende Eis in Grönland und der Arktis führt zum Ansteigen des Meeresspiegels. Die Wüsten breiten sich aus. Wasser wird in vielen Regionen knapp. Das Wetter wird extremer: Heißer oder kälter, trockener oder feuchter und vor allem stürmischer.

 

Der US Präsident verlautbart, dass es nicht schadet, wenn es ein bisschen wärmer wird.4 Eine gefährliche Illusion! Passender ist der Vergleich mit der Körpertemperatur: 37°C ist normal, 38°C ein mildes und 39°C ein ernsthaftes Fieber. Danach muss man sich ernsthaft Sorgen machen. Ebenso geht es der Natur. Höhere Durchschnittstemperaturen ändern das natürliche Gleichgewicht der Erde. Möglicherweise zerstören sie es. Zusammen mit anderen Eingriffen in die Biosphäre hat die Erderwärmung ein Massensterben verursacht, das 6. in 540 Millionen Jahren. Viele Lebensformen sind bedroht.5

Klar ist, dass die Erderwärmung die Naturkatastrophen des letzten Jahres wenn nicht verursacht, dann verstärkt hat. Die Überschwemmung in Bangladesch, die Dürre in Afrika und Asian, the Orkane in der Karibik, Texas und Florida wie auch die Waldbrände in Kanada und Kalifornien. Der enstandene Schaden allein in den USA übersteigt $300 Milliarden. Diese Kosten werden in Zukunft je nachdem höher ausfallen, wie effektiv die Erderwärmung verlangsamt und umgekehrt wird.

 

Dass CO2 tatsächlich ein Treibhausgas ist, welches das Klima erwärmt, ist wissenschaftlich unumstritten. Es ist mir nicht gelungen, auch nur eine plausible Analyse zu finden, die zu einem andere Schluss kommt. Schon 2005 publizierten die Wissenschaftsakademien von Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Italien, Japan, Kanada, Russland und der USA eine gemeinsame Erklärung, in der eine globale Antwort zur Erderwärmung eingefordert wird

 

Dia: Joint science academies’ statement: Global response to climate change, 2005; http://nationalacademies.org/onpi/06072005.pdf

 

Im Herbst 2017 veröffentlichten über 15,000 Wissenschaftler aus 184 Ländern den aufrüttelnden Aufruf Warnung an die Menschheit,“ in der vor den Gefahren der kommenden ökologischen Katastrophe gewarnt wird.

 

Dia: Alliance of World Scientists, “World Scientists’ Warning to Humanity: A Second Notice,” (October 2017); http://scientistswarning.forestry.oregonstate.edu/

http://scientistswarning.forestry.oregonstate.edu/; ich bin einer der Mit-Initiatoren.

 

 

Die politischen Aspekte der Erderhitzung

 

1988 wurde der Weltklimarat (International Panel on Climate Change) einberufen. Dieser hat seither fünf umfängliche, detaillierte und solide Analysen vorgelegt. Der sechste wird 2021 fertiggestellt werden und 2022/23 herauskommen.

 

Im fünften Bericht (2013) wurde eindeutig (unequivocally) festgehalten, dass die gegenwärtige Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre höher sind als in den letzten 800.000 Jahren, und dass die Zunahme im vergangen Jahrhundert höhere Raten aufwies als je in den vergangenen 20.000 Jahren.

 

Das Kyoto Protokol wurde 1997 abgeschlossen. 2005 trat es in Kraft. Allerdings als Totgeburt, denn sein gewichtiger politischer Nachteil bestand darin, dass er nur von Industrieländern Emissionseinsparungen verlangte, also z.B. nicht von Indien oder China. Damit war das Scheitern von Kyoto vorprogrammiert. Die USA traten nicht bei, und Kanada trat aus. Andere Länder ignorierten die Vorgaben.

 

Das Pariser Abkommen vom Dezember 2015 war vom Ansatz her bahnbrechend. Anstatt Ländern Einsparungsquoten zuzuweisen, einigte man sich zuerst auf eine Obergrenze der Erderwärmung, nämlich auf 2°C höchstens und, besser noch, 1,5°C. Wiewohl diese beiden Marken wissenschaftlich nicht wasserdicht sind, besteht Übereinkommen, dass die Gefahren jenseits von 2°C nicht linear zunehmen, sondern exponentiell. Der wissenschaftliche Konsens ist, dass eine höhere Erderwärmung zu Kipppunkten führt und zu irreversiblem Schaden. Das Pariser Abkommen ist ein großer Erfolg multilateraler Diplomatie. Mit Klarheit wurden die Probleme benannt und Einigung darüber erzielt, was zu tun ist. Fast 200 Länder unterschrieben das Pariser Abkommen, von denen inzwischen 176 Ratifizierungsurkunden hinterlegt haben.6 Allerdings ist das Aufzeichnen einer Marschroute noch keine tatsächliche Vorwärtsbewegung

Im Jahr 2017, zwei Jahre nach dem Pariser Abkommen, stieg der Energiebedarf ungebrochen weiter an (um 2.1%), ebenso die Nachfrage nach allen fossilen Energieträgern (Gas: 3%; Öl: 1,6%; Kohle: 1%;), der Stromverbrauch (3,1%) und die CO2 Emissionen (1,4%, was so viel ist wie wenn 170 Millionen neue Autos auf den Straßen der Welt führen). Erneuerbare Energiequellen wuchsen zwar in noch nie dagewesenem Umfang – China installierte in einem Jahr mehr Solarzellen als die gesamte französische und deutsche Kapazität – aber selbst dieses exorbitante Wachstum deckte nur ein Viertel des steigendes Energiebedarfs ab. Fossile Energieträger bestreiten noch immer 70% des globalen Energiewachstums, sowie 81% des globalenEnergiebedarfs, ein Wert der seit drei Jahrzehnten unverändert ist.

 

Ungebremstes Wirtschaftswachstum bei nachlassender Effizienzsteigerung lässt die Energie Nachfrage weiter zunehmen. Die Internationale Energie Agentur resümiert, dass erneuerbare Energiequellen bis 2040 fünf Mal so schnell wachsen müssen als letztes Jahr, um die Ziele des Pariser Abkommens noch zu erreichen.7 Anzeichen größerer Anstrengungen sind spärlich, sofern es sie überhaupt gibt. Nicht nur nicht in den USA und Kanada, auch nicht in Deutschland, wo sich der CO2 Ausstoß seit 2009 nicht verringert hat.

Trotz der Selbstverpflichtung aller Länder, einen Beitrag zur Erreichung des 1,5°2°C Ziels zu leisten, summiert sich, was jetzt auf dem Tisch ist, auf eine Erhitzung um 3,2°C.8 Deshalb wird die Wahrscheinlichkeit auf 90 Prozent eingeschätzt, dass sich die Erde bis zum Jahrhundertende auf über 2°C erwärmen wird. Selbst dass es weniger als 3°C sein werden, ist nur noch „möglich.“ Wenn nicht massiv umgesteuert wird, ist eine deutliche Erderhitzung nicht mehr abzuwenden. Die Frage ist dann nicht mehr die Verhinderung einer Katastrophe, sondern höchstens noch ihre Hinauszögerung. Die Risiken werden selbst von unverdächtigen Kronzeugen wie dem Weltwirtschaftsforum als sehr hoch eingeschätzt.

Dia: Figure IV Top 5 – The Evolving Risks Landscapes 2008-2018 (p. 6, World Economic Forum, The Global Risks Report 2018 (13th edition); http://reports.weforum.org/global-risks-2018/explore-the-survey-results/#frame/74975 9

Warum ist die Umsetzung des Pariser Abkommens so schwierig? Logischerweise ist es leichter zu argumentieren, warum etwas stattfindet als den Nachweis zu führen, warum wenig oder nichts geschieht. Mir scheint, als wären die Schwierigkeiten weder technisch noch ökonomisch. Noch nie gab es mehr Wohlstand und größere wissenschaftliche Kapazität auf der Erde. Die Schwierigkeiten sind politischer Art – was sie leider nicht lösbarer macht. Sehr wichtig ist der Umstand, dass CO2 über Jahrhunderte in der Atmosphäre verbleibt. Es geht also nicht nur um heutige Emissionen, sondern auch um historische. Der heutige Bestand ist zu über 50 Prozent von den USA und den Ländern der EU verursacht. Das bedeutet eine Bringschuld, dieser Länder, die politisch aber nicht akzeptabel ist.

 

Politisch ebensowenig akzeptabel ist in den entwickelten Ländern die Tatsache, dass die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung gegenwärtig so viel CO2 emittieren wie ärmsten 90 Prozent.10 Diese Asymmetrie sollte ein Ansporn für größte Anstrengungen der reichen Länder sein. Ist es aber nicht, selbst nicht angesichts der Tatsache, dass die Weltbevölkerung bis zum Jahrhundertende um die Hälfte zunehmen wird. Und wiewohl die gegenwärtige US Regierung obstruktiv ist, geht das Problem weiter und tiefer. Auch in anderen entwickelten Ländern sind die Regierungen weitgehend unwillig oder unfähig, greifende nationale Dekarbonisierungspläne vorzulegen und, wichtiger noch, umzusetzen sowie eine wirksame internationale Kooperation zu organisieren.

Politik ist der Machtkampf um Ziele, Mittel und Ressourcen, ob zwischen Menschen, innerhalb von Ländern, in Regionen oder global. Weil Politik aber lokal und in der Jetztzeit stattfindet, ist es schwierig für Regierungen, Probleme anzugehen, deren Ursprung in der Vergangenheit liegt, die von globaler Reichweite sind, und deren Lösungen erst weit in der Zukunft zum Tragen kommen.

 

Der Gouverneur der Bank von England, Mark Carney, nennt Klimawandel die Tragödie des Horizonts, weil dessen katastrophale Wirkungen jenseits des normalen Zeitrahmens heutiger Akteure liegt. Die gegenwärtige Generation tut sich schwer, Kosten zu übernehmen, deren Nutzen erst in Zukunft anfallen werden, selbst wenn heutiges Handeln auch wirtschaftlich sinnvoll ist („je mehr wir heute investieren, je weniger werden wir im Nachhinein zu bereuen haben,“ schöner auf Englisch: ”the more we invest with foresight; the less we will regret in hindsight“).11

Die Interessen heutiger Akteure – Kohle- und Autoindustrie, Ölförderländer und Leute, die gerne für 50 übers Wochenende nach Lissabon fliegen – sind so weit voneinander entfernt, dass rechtzeitiges gemeinsames Handeln äußerst schwierig ist. Vielleicht sogar unmöglich. Normalerweise werden Konflikte durch Verhandlungen und Kompromisse gelöst. Zeit hilft dabei, denn Zeit heilt Wunden und eröffnet Spielraum, in dem Lösungen möglich werden. Kommt Zeit, kommt Rat. Leider ist diese Normalität im Falle von Klimawandel nicht gegeben. Zum einen, weil die Zeit zum Handeln knapp wird. Zum anderen, weil die Natur nicht verhandelt.

 

Ein Krieg kann durch einen Waffenstillstand oder einen Friedensvertrag beendet werden. Die Erderhitzung aber eben nicht, weil die Natur eigenen Gesetzen folgt und sich nicht um Argumente schert, egal ob sie politischer, ökonomischer, humanitärer oder psychologischer Art sind. Der Natur ist es egal, dass Öl-, Kohle und Gasvorkommen Milliarden an verlorenen Investitionen darstellen, oder weitere Milliarden in Kohle- oder Gaskraftwerken verbaut sind und es nett wäre, erstere noch ein bisschen zu nutzen, oder letztere sich amortisieren zu lassen. Die Natur schert sich auch nicht um Politik – egal ob in Autokratien oder Demokratien – die populistischen Sirenengesängen folgend, das Nationalinteresse in Alleingängen durchzusetzen suchen.

 

Internationale Zusammenarbeit wird durch den um sich greifenden Protektionismus erschwert; ebenso durch die Schwächung multilateraler Institutionen. Aber das ist für die Natur nicht von Interesse. Dass die Zeit drängt und der Handlungsspielraum immer enger wird, ist von Interesse nur für die Menschheit, sofern sie ihr eigenes Überleben interessiert. Dies ist es sicherlich, was Kanzlerin Merkel meinte, wenn sie von DER zentralen Herausforderung der Menschheit sprach.

 

 

Was tun?

 

Zum Glück gibt es ganz konkrete Schritte, welche die Dekarbonisierung voranbringen würden, von denen der gewichtigste ist, den Preis für fossile Brennstoffe signifikant zu erhöhen und Subventionen für ihre Nutzer abzuschaffen (allein in Deutschland sind dies mehrere Milliarden Euro pro Jahr).12 Großbritannien demonstriert, was getan werden kann. Am 1. April 2013 wurde eine Preisuntergrenze von £19 pro Tonne CO2 eingeführt. Der Kohleverbrauch sank innerhalb von drei Jahren von 55 Millionen Tonnen auf 10 Millionen Tonnen, der Anteil von Kohlestrom am britischen Strommix fiel auf sieben Prozent (in Deutschland sind es noch gut 40 Prozent).13 In Deutschland würde die sofortige Einführung eines CO2-Mindestpreises von €25 pro Tonne – kombiniert mit der Stilllegung alter Braunkohlekraftwerke – die sonst aussichtslose Erreichung der deutschen Ziele im Pariser Abkommen noch ermöglichen.14

Nationale Anstrengungen müssen durch anspruchsvolle internationale Kooperation ergänzt werden. Ambitioniertes Vorgehen in Deutschland und Europa ist als Grundlage konzertierter globaler Kooperation erforderlich. Ein positives Signal ist die im Januar 2018 von der französischen Nationalversammlung und vom Deutschen Bundestag verabschiedete Elysée-Vertragsresolution, welche beide Regierungen auffordert, Initiativen zum CO2 Preis vorzuschlagen.15

Ein bedeutsamer – und nach und nach höherer – CO2 Preis in Europa und darüberhinaus wäre ein wichtiger Schritt zur Überwindung des weitverbreiteten, staatlich geduldeten Markversagens. Es ist unverständlich, dass es nichts kostet, das Klima zu zerstören, die Ozeane zu versauern und die Luft zu verpesten – mit anderen Worten die Umwelt als Müllhalde zu missbrauchen – ohne für den Schaden aufkommen zu müssen. Weil Marktpreise weder die sozialen Kosten, noch jene für die Umwelt widerspiegeln, basiert unsere Lebensweise auf einer fahrlässigen Verlagerung der Kosten unseres Wohlstands auf arme Länder, künftige Generationen und die Natur. Eine spürbare Verteuerung fossiler Brennstoffe – national, europaweit und international – würde Anreize für Produzenten und Konsumenten schaffen, sparsamer mit Ressourcen umzugehen. Nur wenn nachhaltiger produziert, konsumiert, gefahren und gewohnt wird, kann unsere Belastung der Umwelt auf das reduziert werden, was uns zusteht.

 

Dies ist kein grünes oder linkes, akademisches oder nationales Projekt, sondern, wie Kanzlerin Merkel sagte, die Schicksalsfrage für unsere Welt und die zentrale Herausforderung der Menschheit, die größte Anstrengungen von Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft erfordert, und zwar nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auf globaler. Es steht zu hoffen, dass die bestehenden politischen Systeme effektiv genug sind, um sich der Klimaherausforderung anzunehmen, solange noch Zeit ist und bevor die Probleme zu groß werden.

 

Vor allem unter Naturwissenschaftlern ist die Befürchtung verbreitet, dass der Kampf gegen die Erderhitzung verloren ist, und es nur noch um Schadensbegrenzung geht. Sie begründen dies damit, dass erstens ein auf endloses Wachstum ausgelegtes Wirtschaftssystem mit der Realität einer endlichen Welt kollidiert. Zweitens, weil die Enormität der Probleme bestehende politische Systeme überfordert, die ja nicht nur mit der Herausforderung des Klimawandels konfrontiert sind, sondern gleichzeitig mit den Schocks eines zerfallenden internationalen Systems, mit Kriegen, mit Migration, mit sich beschleunigender Automatisierung und künstlicher Intelligenz und der daraus folgenden Aufmischung der Arbeitswelt und damit der nationalen politischen Systeme.

 

Kassandra rät mit Dringlichkeit zu überlegen, was es für die internationale Ordnung bedeutet, wenn sich die Erde auf 3°C oder mehr erwärmt. Werden die bestehenden politischen Institutionen und Mechanismen hinreichend sein, um mit den Konsequenzen der Erderhitzung umzugehen, oder würde eine Klimakatastrophe die bestehenden nationalen und internationalen Institutionen überwältigen? Wäre es nicht weit besser und billiger, die noch verfügbare Zeit zu nutzen?

 

1\u0002Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Rahmen der UN-Klimakonferenz COP 23 am Mittwoch, dem 15. November 2017 in Bonn; https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2017/11/2017-11-15-bk-cop23.html

2\u0002Africa Progress Panel, “Power, People, Planet: Seizing Africa’s Energy and Climate Opportunities,” Africa Progress Report 2015; http://www.africaprogresspanel.org/wp-content/uploads/2015/06/APP_REPORT_2015_FINAL_low1.pdf


 

3\u0002World Meteorological Organization, “WMO confirms 2017 among the three warmest years on record,” Press Release Number 18-01-2018 of 18 January 2018; https://public.wmo.int/en/media/press-release/wmo-confirms-2017-among-three-warmest-years-record


 

4\u0002


 

5\u0002Der World Wildlife Fund

6
 

7
 

8
 

9
 

10
 

11
 

12
 

13
 

14
 

15