Regina Schneider lebt mit ihrer Familie in Japan. Rechts in der Mitte ein Beispiel für die Tücken des Alltags: ein Essensautomat. Rechts unten der Blick aus dem Büro ihres Mannes. Fotos: Schneider Foto: Schwarzwälder Bote

Ausland: Regina Schneider lebt mit ihrer Familie in Japan / Im ersten Jahr viele Herausforderungen gemeistert

Der Kontrast könnte nicht krasser sein: Regina Schneider, geborene Pfundstein, ist auf dem idyllischen Paradieshof aufgewachsen – und lebt seit einem Jahr mit ihrer Familie und 36 Millionen anderen Menschen im Großraum Tokio. Eine echte Herausforderung.

Schramberg. "Als wir jetzt auf dem Paradieshof ankamen, mussten wir erst mal einen großen Waldspaziergang machen", sagt Regina Schneider. Die 42-Jährige verbringt mit ihrem Mann Bertram und den Kindern Emma und Kyra derzeit ein paar Wochen in der Heimat. Und alle vier genießen nach einem Jahr in der japanischen Metropole die Natur, die gute Luft und die Ruhe. "In Tokio bis du nie allein", berichtet die 42-Jährige. Die vielen Menschen auf engem Raum und die kulturellen Unterschiede sorgen für täglich neue Herausforderungen – von der Sprachbarriere ganz zu schweigen. Inzwischen sprechen die vier schon recht gut Japanisch. Die Annahme, dass man mit Englisch durchkommt, hat sich als falsch erwiesen. "Jeder kleine Einkauf war anfangs ein großes Abenteuer", berichtet Regina, die manches mal auf der Suche nach den einfachsten Lebensmitteln schier verzweifelte. "Niemand versteht dich, du kannst nichts lesen und die Verkäuferinnen entschuldigen sich nur ständig auf Japanisch." Nur gut, dass die Familie im Schiffcontainer von Deutschland nach Japan für die erste Zeit jede Menge Spätzlemehl mitgenommen hat – unter anderem.

Bei Bertram Schneider ist zumindest im Beruf Englisch an der Tagesordnung. Er arbeitet bei der japanischen Halbleitertestfirma Advantest im Controlling. Bisher hat er die Chefs vom Standort Böblingen aus betreut, die Familie wohnte in Echterdingen. Vor einem Jahr ergab sich dann für ihn die die Möglichkeit, seinen Job direkt in Tokio auszuüben. Jetzt hat er sein Büro im 22. Stock im Zentrum der Millionenmetropole mit Blick auf den Kaiserpalast und den Tokio-Tower. Und er war schnell bekannt als der größte Mensch, der jemals in diesem Gebäude gearbeitet hat, wie er schmunzelnd berichtet. Mit seinen 1,97 Metern überragt er die Japaner stets wie ein Leuchtturm. "Wenn wir uns mit Bertram in der Stadt verabreden, finden wir ihn immer", lacht Regina Schneider.

Auf seiner Fahrt zur Arbeit von ihrem Haus in Yokohama nach Tokio-City mit dem Zug kommt dem 44-Jährigen seine Größe übrigens ebenfalls zu Gute. So genannte "Pusher", Männer mit weißen Handschuhen, drücken an jeder Station weitere Menschen in den vollen Zug. Bewegen ist unmöglich. "Selbst wenn du ohnmächtig wirst, kannst du nicht umfallen." Und auch an Besonderheiten wie die zurückhaltende Kommunikation der Japaner oder die Tatsache, dass Frauen und Männer nach dem Mittagsgong getrennt Essen gehen, hat er sich inzwischen gewöhnt.

Regina ist derweil mit der Organisation des Familienlebens voll ausgelastet. Die Kinder besuchen die deutsche Schule, spielen dort – als einzige Mädchen – in Fußballteams mit und haben schon neue Kontakte geknüpft. Hilfe bei der Eingewöhnung hat Regina Schneider durch die deutsche Community in Tokio und eine deutsch-japanische Kulturgemeinschaft erfahren. Bei gemeinsamen Unternehmungen lernt sie das Land immer besser kennen: "Ich hatte schon eine Kimono-Anprobe, war bei einer Tempel-Übernachtung, einer Tee-Zeremonie, beim Sumoringen und einmal in der Woche ist Kaffeeklatsch auf Japanisch."

Die große Hilfsbereitschaft weiß Familie Schneider ebenso zu schätzen wie das hervorragende Essen, das auch in den kleinsten Buden von bester Qualität ist. Und: In Japan fühle man sich absolut sicher, betonen sie. "Wenn du in Tokio das Handy verlierst, wird es dir hinterher getragen. Und wenn die Kinder mal verloren gehen würden, wüsste ich, dass sie am Abend wieder da sind", sagt Regina Schneider.

Die extreme Höflichkeit der Japaner und deren unbedingter Wille, nicht aufzufallen und alles richtig zu machen, sorgt auch immer wieder für skurrile Situationen. So wollte Reginas Japanischlehrerin bei einem Besuch einer Kaffeehauskette vor Scham in den Boden versinken, als ihre Schülerin etwas bestellte, das so explizit nicht auf der Karte stand. Eine derartige Extravaganz – für die Japaner unmöglich. Ende August geht es für die Schneiders wieder zurück ins Land der aufgehenden Sonne. Drei Jahre wollen sie mindestens bleiben. Und die nächste Herausforderung wartet schon: der Winter. Den letzten haben sie bibbernd in ihrem Haus verbracht, denn in Japan gibt es keine Heizungen. Nur ein Bereich unter dem Tisch wird gewärmt – "und die Klobrillen sind beheizt".

Im Gepäck haben sie bei der Rückreise wertvolle und in Japan unerschwingliche Güter wie Kaffee, Müsli, Käse, Salami und natürlich Spätzlemehl. An die gute Schwarzwald-Luft, an Freunde und Familie werden sie sich ein bisschen wehmütig erinnern. Doch im Tokio-Trubel bleibt ihnen dafür ohnehin wenig Zeit.