Die IG Metall wirft dem Unternehmen vor, wichtige "Hausaufgaben" nicht gemacht zu haben. Foto: Wegner

Unternehmensführung will Verschiebung oder Aussetzung des tariflichen Zusatzgeldes.

Schramberg-Sulgen - Kritischen Fragen der Mitarbeiter hat sich die Geschäftsführung von Kern-Liebers auf einer Betriebsversammlung stellen müssen.

Am Donnerstag hatte in der Firmenzentrale von Kern-Liebers in Sulgen eine Betriebsversammlung stattgefunden. Im Vorfeld hatten der Betriebsrat und die IG-Metall Freudenstadt an die Belegschaft einen offenen Brief an die Geschäftsleitung als Flugblattverteilt. Hintergrund ist die Umsetzung des Tarifabschlusses. Kern-Liebers hat zwar die allgemeine Tariferhöhung mitgetragen, will aber das "tarifliche Zusatzgeld" ab 2019 ("T-ZUG", siehe Infokasten) aussetzen.

Der Vorsitzende der Geschäftsleitung, Udo Schnell, habe dazu einen entsprechenden Antrag gestellt, teilte die IG-Metall-Bevollmächtigte Dorothee Diehm mit. Eine Aussetzung würde bedeuten, dass die Beschäftigten auf zwei Millionen Euro jährlich verzichten müssten. Zusätzlich zu den zwei Stunden unbezahlter Mehrarbeit, wie sie im Ergänzungstarifvertrag zur Standortsicherung bislang sowieso schon vereinbart worden seien.

Gewerkschaft vielleicht Sündenbock für Verlagerungspläne?

Für Schnell dagegen stellen nicht nur die jährlich zwei Millionen Euro des Einmalbetrags, sondern auch die optionalen freien Tage ein Problem dar: "Ein Viertel bis ein Fünftel der Belegschaft werden voraussichtlich Gebrauch davon machen. Bei einem so hohen Anteil sind die Produktionsprozesse nicht beherrschbar und Schichtausfälle die Konsequenz", antwortet Schnell auf die Anfrage. Ohne Aussetzung drohe eine Verkleinerung des Standorts. "Unter diesen Umständen ist es doch ein legitimes Ansinnen, dazu in Verhandlungen einzugsteigen", verteidigt Schnell seinen Antrag auf Aussetzung. 36 Millionen Euro hätte die Belegschaft schon in den Jahre von 1996 bis 2008 und 2017 bis 2018 in den Standort investiert, hält die IG Metall im offenen Brief dagegen. Und mutmaßt, Schnell suche mit der Gewerkschaft vielleicht einen Sündenbock für Verlagerungspläne.

Im Ergänzungstarifvertrag hatte die IG Metall ein Sonderkündigungsrecht festgeschrieben, wenn drei von fünf Kriterien nicht erfüllt werden. Keines sei erfüllt worden. "Die Kriterien Fehlerkosten und EBIT wurden so verfehlt, das wir uns ernsthaft fragen müssen, ob nicht Absicht dahinter steckt", formulieren es Betriebsrat und IG Metall. Die Fehlerkosten lägen schon seit mindestens fünf Jahren auf "völlig inakzeptablen hohen Niveau" – was jährlich circa sechs Millionen Euro koste.

Bekenntnis zum Standort Schramberg

An der Betriebsversammlung hatten nicht nur Schnell und seine Vorstandskollege, sondern auch Hans-Jochem und Hannes Steim als Gesellschafter teilgenommen. Positiv sei deren Bekenntnis zum Standort Schramberg von der Belegschaft und auch der IG Metall aufgenommen worden, berichtet Diehm. Im Vorfeld hatte die Gewerkschaft Fragen der Belegschaft gesammelt und der Geschäftsleitung zugeleitet.

Die 83 Punkte der Frageliste, die der Redaktion vorliegen, entwerfen aus Sicht der IG Metall das Bild eines Unternehmens, das viel Potenzial hat, aber eine Reihe wichtiger "Hausaufgaben" seit Jahren nicht energisch genug angegangen ist. Natürlich schaffte es Schnell nicht, alle Fragen schon am Donnerstag zu beantworten. "Wir warten jetzt auf die Aussage der IG Metall zum Aussetzen des ›T-Zugs‹ bis zum Ende der Laufzeit des Ergänzungstarifvertrags in zwei Jahren", erklärt Schnell.

Am Samstag hatte eine IGM-Mitgliederversammlung zum Thema stattgefunden. Dort sei der Beschluss gefasst worden, vom Sonderkündigungsrecht des Ergänzungstarifvertrags mit seinen zwei Stunden unbezahlter Mehrarbeit zum 30. November noch keinen Gebrauch zu machen und Gespräche mit der Geschäftsführung von Kern-Liebers aufzunehmen, berichtete Diehm. Ziel bleibe, die Beschäftigung am Standort Schramberg zu sichern – aber zu fairen Bedingungen.

Im Tarifabschluss Anfang Februar 2018 wurd auch ein jährliches tarifliches Zusatzgeld ab 2019 ("T-ZUG") vereinbart. Dieses setzt sich zusammen aus 27,5 Prozent eines Monatsentgelts sowie einem für alle Beschäftigten einheitlichen Betrag (in Baden-Württemberg sind das 400 Euro im Jahr 2019). Dieser zweite Einmalbetrag kann betrieblich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten verschoben, abgesenkt oder gestrichen werden. Mitarbeiter, die Kinder bis acht Jahre betreuen, enge Angehörige pflegen oder schon länger Schicht arbeiten können zwischen dem prozentualen Monatsentgelt oder acht zusätzlichen freien Tagen wählen. (Quelle: IG Metall)