Anton Haas und seine Ehefrau Theresia Haas mit ihren Kindern Maria, Hubert, Josef und Anton im Zweiten WeltkriegFotos: privat Foto: Schwarzwälder Bote

Heimatgeschichte: Viele Nachbarn und Mitbürger unterstützen die Familie Haas 1945

Am 20. April 1945 ist das Haus Hutneck 1 beim Einmarsch der Franzosen abgebrannt und wurde mit seinem ganzen Inventar zerstört, alle Tiere starben. Beim Wiederaufbau erfuhren dessen Besitzer Anton Haas und seine Kinder Unterstützung von zahlreichen Nachbarn und Mitbürgern.

Schramberg-Sulgen. Einige Fanatiker vom Volkssturm hatten noch etwas Munition und schossen aus dem Wald auf die französischen Panzer. Militärisch war dies völlig sinnlos, da die nächste Stellung der deutschen Armee in Villingen war. Als Reaktion schossen die französischen Panzer das nächste Haus in Brand.

In meinem Elternhaus waren zu der Zeit keine Personen. Wir Kinder wurden von einer Tante versorgt, weil sich unser Vater im Krieg befand und unsere Mutter zwei Jahre vorher verstorben war. Aus Angst gingen wir mit unserer Tante zu unserem Nachbarn Kieninger in den Keller. Ein junger Mann von der Familie Günter auf dem benachbarten Schoren wollte die Tiere retten und wurde gleich gefangen genommen. Er musste dann helfen, die Panzersperren zu öffnen, konnte aber fliehen, als er allein war. Auf Schleichwegen kam er abends wieder zurück nach Hause.

Zu Fuß von Saloniki bis nach Oberösterreich

Mein Vater Anton Haas (1909 bis 1990) war bis 1944 als Soldat in Saloniki in Griechenland. Von November 1944 bis April 1945 ging der Rückmarsch, über weite Teile zu Fuß und vom Feind bedroht, über Albanien und Kroatien. Durch mehrere sehr glückliche Umstände war er letztlich bei den letzten 20 von ursprünglich 800 Soldaten, die im Steyr-Land in Oberösterreich ankamen. Dort hat ihn die Gruppe dann allein gelassen, weil er vor Erschöpfung im Freien eingeschlafen war. Erst Jahre später erfuhr er, dass die Gruppe dann von Russen entdeckt wurde und alle in russische Gefangenschaft kamen.

Er hat dann tags darauf von einer noch nicht besetzten Brücke in Losenstein erfahren, rannte dort hin und kam noch ganz knapp rechtzeitig über die Enns in amerikanisch besetztes Gebiet. Von amerikanischer Gefangenschaft bald entlassen, konnte er nicht nach Hause, weil bekannt wurde, dass an der französischen Zonengrenze alle arbeitsfähigen Männer gefangen genommen wurden.

Er ging mit einem Bekannten ins Remstal. Als er dort an einer Straße entlanglief, fuhr Arthur Junghans (1903 bis 1998) aus Schramberg vorbei, erkannte ihn und konnte ihn mit drei Uhren als Bestechung mit über die Zonengrenze nehmen. Für ihn waren alle diese Ereignisse keine reinen Zufälle, sondern eindeutige Beweise von himmlischer Führung mit Gebetserhörung.

Haus in Schutt und Asche vorgefunden

S o war er bereits am 15. Juni 1945 in Sulgen, fand von seinem Haus aber nur die Schuttreste vor und musste seine vier Kinder bei Verwandten verteilt aufsuchen. Das Haus wieder aufzubauen schien damals scheinbar unmöglich. Es gab nichts zu kaufen, höchstens auf dem Schwarzmarkt zu tauschen, doch dafür hatte er nichts mehr. Aber er wollte seine Kinder wieder bei sich haben und seine Arbeit als Landwirt ausüben. So ging er mit vollem Gottvertrauen und durch Gebet unterstütztem Mut daran, fast unmöglich Erscheinendes möglich zu machen.

Er bekam ein Fahrrad geschenkt, damit fuhr er fast täglich bis an die Grenze der Belastbarkeit zum Regeln, Organisieren und selbst Anpacken, zum Sammeln und um Hilfe zu bitten. Bei vielen Waldbesitzern bis nach Tennenbronn durfte er jeweils einen Baumstamm schlagen und hatte so genügend Bauholz. Andere halfen beim Bearbeiten oder beim Transport. Auch die Handwerker unterstützten ihn, obwohl das Geld, das sie dafür bekamen, wertlos war, weil man nichts dafür kaufen konnte.

Aus dem Holz wurden auch Schindeln hergestellt und das hintere Hausdach mit Holzschindeln gedeckt. So ging er wieder von Haus zu Haus, um die dafür notwendigen kleinen Nägel zum Festnageln zu sammeln. Auf der Vorderseite wurde das Dach dann über dem Landwirtschaftsteil mit gesammelten Ziegeln gedeckt. Zum Teil konnten Spender 100 gebrauchte Ziegel, andere nur 50 abgeben, so dass ein Dach wie ein buntes Mosaik entstand. Die einzelnen Übergangsstellen der total verschiedenen Ziegelsorten wurden mit Holzschindeln unterlegt, so dass das Dach zunächst wasserdicht war, bis der Herbststurm dort eine Angriffsfläche hatte und in einer einzigen Nacht fast das ganze Dach abdeckte.

Bildtafeln ersetzen die Fensterscheiben

Ein weiteres Problem war das Fehlen von Glas für die Fenster. Dafür sammelte er alte Bildtafeln, um so zum notwendigen Glas zu kommen. Noch viele einzelne Punkte könnten aufgeführt werden, wie mit provisorischen Hilfen Ersatzlösungen geschaffen werden mussten, weil heute Selbstverständliches wie zum Beispiel Zement, Fensterkitt, Tapeten, Farben und anderes nicht mehr zu bekommen war. Letztlich wurde durch die vielen großzügigen Unterstützungen von sehr vielen Seiten das Haus notdürftig im November 1946 bezugsfertig. Welche Mängel es noch hatte, zeigten bald Sturm, Regen und der Winter sehr deutlich auf, doch auch diese wurden überwunden.

Mein Vater verheiratete sich am 30. November 1946 wieder und sah seinen Herzenswunsch voll erfüllt, seine Familie wieder zusammen zu haben, Gott lobend und allen Helfern dankend.

Das Feldkreuz, am nahen Waldeck von ihm errichtet, sollte als bleibendes Zeichen diesem Dank an Gott und die Helfer Ausdruck verleihen. Aus dieser Sicht kann die Hoffnung geschöpft werden, dass auch die Schwierigkeiten der jetzigen Not und Krise, wenn den Bedürftigen geholfen wird, in einem neuen Gemeinschaftsgeist miteinander gemeistert werden können.

Vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg – auch in der heutigen Großen Kreisstadt Schramberg, deren Stadt- und Ortsteile von Einheiten der Ersten Französischen Armee besetzt wurden. Seit 1950 wird das damalige Geschehen auf örtlicher Ebene zu den Jahrestagen in Erinnerung gerufen. Bis heute werden auch immer noch unbekannte Quellen entdeckt, die zu einem immer vielfältiger werdenden Bild dieser Schicksalszeit beitragen.

Zum 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges hat sich im Stadtarchiv und Stadtmuseum Schramberg ein Autorenteam gebildet, das in Kooperation mit dem Schwarzwälder Boten die Ereignisse des Jahres 1945 neu in den Blick nimmt.

Im neunten Teil berichtet Hubert Haas über das Schicksal seiner Familie in Sulgen am Ende des Zweiten Weltkriegs. Der 82 Jahre alte Autor war von 1971 bis 2003 als CDU-Politiker Gemeinderat der Großen Kreisstadt Schramberg, wurde 1999 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und ist bis heute kirchlich, politisch und sozial engagiert.

Unsere Serie setzen wir in loser Folge bis zum diesjährigen Volkstrauertag fort. Der Erinnerung an das Kriegsende wird im Herbst in einer neuen Serie die Erinnerung an die Nachkriegszeit folgen.