Die Entwicklung an der Oberndorfer Straße stimmt Erich Bauknecht nachdenklich. Eine wesentliche Ursache für die Probleme sieht der Anwohner im stark zugenommenen Verkehr. Foto: Dold

Verkehr macht Viertel  kaputt. Fast nur noch sozial Schwache. Wer kann, der flüchtet.

Schramberg - In der Talstadt liegt nicht erst seit gestern vieles im Argen. Ein besonders neuralgischer Punkt ist die Oberndorfer Straße oberhalb des ehemaligen Lichtspielhauses, wo es viele Probleme gibt.

Einer, der ein Liedchen davon singen kann, ist der gebürtige Schramberger Erich Bauknecht. Er hat 1979 sein Haus an der Oberndorfer Straße gekauft – mittlerweile ist er so etwas wie der letzte Mohikaner, der aus jener Zeit dort verblieben ist. Alle anderen? Verstorben oder längst weggezogen.

Kein Wunder, denn die Häuser sind oft mit einer Rußschicht von den Abgasen überzogen, der Putz bröckelt von den Fensterläden und die Häuser sind zum Teil verformt. "Das liegt an den Erschütterungen vom Verkehr", weiß Bauknecht. "Manchmal wackelt die ganze Bude, wenn die Lastwagen in den niedrigen Gang schalten. Es hat mich schon fast aus dem Bett gehauen. Und die Bausubstanz der Häuser ist nicht die Beste." Sein Haus sei beispielsweise 1875 erbaut worden.

Kein Zusammenhalt mehr

Er kaufte das Haus damals für 60 000 Mark. Seitdem hat der gelernte Schreiner viel Zeit, Geld und Energie investiert, um Haus und Garten auf Vordermann zu bringen. Schallschutzfenster mindern den Lärm von der Straße erheblich, zudem isolierte er Decken und Wände. Im Garten hinter dem Haus entwickelte sich ein Baum zum Lärmschutz, da er einiges des Krachs "schluckt". Die Fenstersimsen müsse man zwei Mal pro Woche vom Ruß reinigen. Fernsehen bei offenem Fenster sei nicht möglich, da man dann wegen des Lärms nichts mehr verstehe.

Der Verkehr habe inzwischen Ausmaße angenommen, die vor 40 Jahren unvorstellbar gewesen seien. Und das wirke sich auf die Umgebung aus. Es gebe sehr viele Wechsel von Anwohnern und auch viele Leerstände. Einziehen würden fast nur noch sozial Schwache und Personen mit Migrationshintergrund. "Hier will einfach keiner mehr her", klagt Bauknecht. Er habe sicher nichts gegen diese Leute, aber mit früher lasse sich das nicht mehr vergleichen. "Damals kannte man sich, saß gerne zusammen und hat sich geholfen", erinnert er sich. Heute mache jeder sein eigenes Ding.

Hoffen auf die Umfahrung

Einst blühte das Leben an der Oberndorfer Straße, es gab eine Vielzahl an Geschäften. Erich Bauknecht erinnert sich an viele: Buchhandlung Bauknecht, Supiran mit seinen Kolonialwaren, Bäckerei Öhler, Kurz- und Weißwaren Kozian, Schreibwaren Nagel, Schuh King, Lebensmittelgeschäft Schleicher, den Heß- und Schmid-Beck, die Firma Hugo Kern im heutigen "Stammhaus". Hinzu kamen Friseure, Reinigung, Elektrogeschäfte und Wirtschaften, beispielsweise die "Türkei". Dort hätten Kegelbuben noch die Kegel aufstellen müssen. Und heute? Alles weg. Die Metzgerei Hermann war das letzte Geschäft, das vor einigen Jahren die Segel strich.

Hoffnung setzt Bauknecht auf die Talstadtumfahrung. "Dann wäre der Schwerlastverkehr weg, der alles kaputt macht", so der Anwohner. Allerdings hat er längst Zweifel, ob diese überhaupt einmal kommt.

Konzept zur Umfahrung habe gefehlt

In Schramberg sei man sich mit der Umfahrung selbst im Weg gestanden, urteilt er, da zu viele Varianten diskutiert worden seien. "Jesses, wenn ich dran denke, was die alles gemacht haben", so Bauknecht. Es habe anders als beispielsweise in Schiltach kein klares Konzept zur Umfahrung gegeben. Dort seien die Tunnels sowohl in Richtung Wolfach als auch Schenkenzell gebaut worden, weil es ein klares Konzept gab.

In Schramberg hingegen seien insbesondere die Anwohner der Oberndorfer Straße die Gelackmeierten. Wenn er jung wäre, so Bauknecht, würde er auch in eine andere Ecke von Schramberg ziehen, aber in seinem Alter komme das nicht mehr in Frage. "Ich wollte nie woanders als in Schramberg leben", sagt er. Allerdings ist er über die Entwicklung alles andere als glücklich.

Kommentar: Niedergang

Es krankt an vielen Stellen in der Talstadt – beileibe nicht nur an der Oberndorfer Straße. Doch dort lautet das Motto mehr denn je: Wer kann, zieht weg. Wo sich einst Geschäft an Geschäft reihte, röhrt heute nur noch der Verkehr der Bundesstraße mitten durch die Stadt. Zudem lässt die Bausubstanz zu wünschen übrig. So ist es kein Wunder, dass dort fast nur noch sozial Schwache leben, denen keine andere Wahl bleibt. Stadtverwaltung und Gemeinderat sind gefordert, hier Konzepte zu entwickeln. Zuschüsse für Projekte gäbe es zuhauf, aber hier bedarf es konkreter Planungen, um diese abgreifen zu können. Der Niedergang der Talstadt hat sonst viele Gesichter: der Bedeutungsverlust von Junghans sowie geschlossene Läden und Restaurants. Zudem sind Krankenhaus, Kinos und Freibad weg. Ein neuer Schulcampus alleine kann die Talstadt nicht retten.