Die Zeit hat auch bei Junghans ihre Spuren hinterlassen. Die Bunker auf dem Firmengelände mussten zwar nie als Zuflucht vor Bombenangriffen genutzt werden, sind heute aber ein faszinierendes Relikt vergangener Jahrzehnte. Foto: Schneider Foto: Schwarzwälder-Bote

Junghans-Führung: Die spannende Entstehungsgeschichte der zeitweise größten Uhrenfabrik der Welt.

Schramberg - Spannende Anekdoten und faszinierende Einblicke in die Geschichte der Firma Junghans bot Liegenschaftsverwalter Klaus Dreyer, als er bei einer seiner Führungen etwa 40 wissbegierige Besucher über das Junghans-Gelände führte.

Wie es den Junghans-Clan nach Schramberg verschlagen hatte

Zunächst fuhr die Gruppe mit dem Aufzug hinauf zum fünften Stock und erklomm schließlich das Dach des Gebäudes 76. Von dort oben hatte man einen herrlichen Ausblick, den die Teilnehmer bei besten Wetter eine Weile genossen, bevor Dreyer zu erzählen begann.

Er beschäftigte sich mit der Frage, wie die Firma Junghans entstanden war und es den Junghans-Clan nach Schramberg verschlagen hatte. Nikolaus Junghans wurde 1841 von seinem alten Freund Isidor Faißt nach Schramberg geholt, um in dessen Steingutfabrik als Kupferdrucker zu arbeiten. Sein Sohn Erhard, der Gründer der später zeitweise weltweit größten Uhrenfabrik, ging bei der Schramberger Strohhutfabrik in Lehre und erwies sich als talentierter Kaufmann, der vom Gehilfen des Firmenleiters Johannes Tobler zu einem wichtigen Mann in der Firma aufstieg.

Uhrengeschäfte weigerten sich, Junghans-Uhren zu verkaufen

Als Erhard Junghans für seine erfolgreiche Arbeit mehr Lohn verlangte und nicht bekam, kündigte er, konnte aber vom Grafen von Bissingen überredet werden, in Schramberg zu bleiben. Er erwarb ein Grundstück in der Geißhalde und versuchte sein Glück mit einer Ölmühle, die allerdings böse floppte und 1961 nach zwei Jahren schon wieder am Ende war. So entschloss sich Junghans, sich der Produktion von Uhren zu widmen.

Als er bei seinem nach Amerika ausgewanderten Bruder Xaver zu Besuch war, lernte er die dortigen Fließband-Produktionstechniken kennen, führte diese Arbeitsweise auch in seiner Schramberger Uhrenfabrik ein und hatte großen Erfolg. Zwar weigerten sich die Uhrengeschäfte zunächst, die Uhren zu verkaufen, weil sie den in Fließbandarbeit zusammengebauten Zeitmessern eine schlechte Qualität unterstellten. Doch aufgrund der reißenden Absätze, die Junghans vor allem im Versandhandel erzielte, kamen auch die kleinen Uhrengeschäfte bald nicht mehr daran vorbei, die Uhren zu verkaufen.

Misstrauen gegenüber dem Jungshans-Konzept

Auch für die Uhrmacher, die vor der Junghans-Ära ihre Uhren komplett selbst zusammengebaut und auch selbst verkauft hatten, gab es erhebliche Verbesserungen, obwohl sie dem Konzept Junghans anfangs mit Misstrauen begegneten. Statt zu hungern, wenn sie keine Uhren verkauften, bekamen sie einen guten, festen und sicheren Monatslohn.

Durch die innovativen Produktionstechniken und das technische Know-How wuchs die Firma rasend schnell – auch nach dem Tod Erhard Junghans, als sie von seinen Söhnen Artur und Erhard jun. übernommen wurde. Unter ihrer Regie entwickelte sich die Firma immer weiter, bis sie um das Jahr 1910 herum mit etwa 3000 Beschäftigten und weit über drei Millionen produzierten Uhren pro Jahr gar die weltweit größte Uhrenfabrik war.

Entdeckungstour unter der Erde

Nach Dreyers Vortrag fuhr die Gruppe mit dem Aufzug nach unten, um sich einen der beiden Bunker auf dem Junghans-Gelände anzusehen. "Viele wundern sich, dass das Junghans Firmengelände im zweiten Weltkrieg von Bombenangriffen verschont wurde", erläuterte Dreyer. "Dabei wussten die Amerikaner genau Bescheid. Stadtarchivar Carsten Kohlmann hat bei seinen Recherchen in Washington Pläne gefunden, in denen das Firmengelände eingezeichnet war. Sie haben nur irrtümlich angenommen, dass auch der Majolika-Komplex zur Firma gehört."

Über die Gründe der Zurückhaltung der Amerikaner konnte Dreyer nur spekulieren, denn schließlich stellte Junghans während des Krieges Zünder für die Deutsche Wehrmacht her. "Vielleicht hing es damit zusammen, dass Junghans mit einer Amerikanerin verheiratet war", mutmaßte Dreyer. "Vielleicht hat er aber auch in irgendeiner Form mit den Amerikanern zusammengearbeitet, zum Beispiel als Informant, man weiß ja nicht." Auf jeden Fall musste der Bunker nie als Zufluchtsort vor den Bomben der Alliierten benutzt werden, ist heute aber ein faszinierendes Relikt vergangener Zeiten.

Heute steht das Gebäude leer - idealer Veranstaltungsort

Nach einer kurzen Entdeckungstour ging es im Gebäude 45 nach oben in den Terrassenbau, der während des ersten Weltkrieges zur Produktion von Kanonenzündern erbaut worden war. Als das Gebäude jedoch 1918 fertig gestellt wurde, war der Krieg schon vorbei und so wurden in den einzelnen Etagen keine Zünder sondern Taschenuhren hergestellt. Das führte allerdings zu logistischen Problemen. Die Produktionshelfer hatten ganz schön zu schleppen, um die Bauteile und die fertigen Uhren nach oben oder nach unten zu bringen.

Heute steht auch der Terrassenbau leer. Die Idee, das Gebäude umzubauen, so dass Veranstaltungen darin stattfinden können, scheiterte an den hohen Kosten, obwohl die Örtlichkeit ideal wäre. "Vielleicht findet sich ja jemand, der das Projekt mal in Angriff nimmt", hoffte Dreyer am Ende seiner bereits neunten Junghans-Führung, die er in regelmäßigen Abständen anbietet.