Kontrabasslehrer Jonathan Sell Foto: Anton Foto: Schwarzwälder Bote

Kultur: 31-jähriger Kontrabasslehrer unterrichtet seit zehn Monaten an der Musikschule Schramberg

Der 31-jährige Jonathan Seel ist in Hof/Saale geboren. Er studierte sieben Jahre an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellenden Kunst in Mannheim. Dort erwarb er den Master of Music. Während seines Studiums war er Mitarbeiter im Tonstudio der Musikhochschule Mannheim und Leiter einer Gymnasiums-Big-Band. Neben Einzel- und Gruppenunterricht in Schramberg hat Sell einen Lehrauftrag in Freudenstadt. Zudem hat er vielfältige Erfahrungen auf dem Sektor Band-Coaching, Musiktheorie und Gehörbildung – auch durch seine Tätigkeit als Dozent an der Orientalischen Musikakademie Mannheim, wo er vor allem im Bereich Umsetzung orientalischer Musik mit westlichen Instrumenten aktiv ist.

Schramberg. Seit Mai 2018 ist die Stelle des Kontrabasslehrers an der Musikschule Schramberg wieder besetzt. Jonathan Sell aus Gengenbach, Kontrabassist, E-Bassist, Komponist und Musiker im interkulturellen Austausch unterrichtet seither Schüler und Erwachsene in den Fächern Kontrabass und E-Bass. Im Rahmen der Schülervorspiele der Musikschule findet am Dienstag, 19.März, 18.30 Uhr, im Bachzimmer der Musikschule ein Auftritt seiner Schüler im Einzel- und Ensemblespiel statt. Im Gespräch mit unserer Zeitung erläuterte er die Schwerpunkte seiner musikalischen Arbeit.

Herr Sell, welchen musikalischen Werdegang haben Sie?

Ich bin in einem musikalischen Elternhaus aufgewachsen und habe zunächst in Hof eine klassische Ausbildung am Kontrabass absolviert. Die Hofer Sinfoniker, bei denen ich mitgespielt habe, sind ja ein Begriff. Im Zivildienst wurde mir klar, dass in meinem Leben Musik die Nummer eins ist. Es gab keinen Plan B für die Zukunft. Allerdings ist es nicht einfach, die Balance zu finden zwischen Beruf und Musikleidenschaft. Seit mein Sohn geboren ist, bin ich dabei, mich nochmals neu zu positionieren. Während meines Studiums der Fächer Kontrabass, Jazz und Popularmusik bin ich viel gereist, immer auf der Suche nach neuen Einflüssen.

Worauf legen Sie bei Ihrer künstlerischen Arbeit den Fokus?

Ich brauche immer das Gefühl, dass sich etwas entwickelt. In der Musik ist alles schon mal dagewesen. Es gibt wenig Möglichkeiten, vollständig Neues zu schaffen, doch kann man durch Kombination bereits bekannter Versatzstücke dennoch Neues hervorbringen.

Sie sind auch Komponist. Wie gehen Sie beim Komponieren vor?

Es gibt zwei Wege. Beim intuitiven Weg verwende ich Phrasen, Motive, Melodien und Rhythmen, die mir gerade gefallen. Der zweite Weg geht über ein Merkblatt, wo ich einen Kompositionsplan entwerfe und überlege, was die Musik auf emotionaler Ebene verursacht. So entwickelt sich ein eigener Stil mit bestimmten Kompositionselementen.

Welche Sichtweise haben Sie auf die Musik und ihre Aufgaben?

Ich versuche, Musik sehr global zu sehen. Berücksichtigt werden muss immer die Verknüpfung zwischen Musikgeschichte und Zeitgeschichte. So wäre der Jazz der 1960er-Jahre nicht ohne die politische Strömung der Rassentrennung in den USA denkbar. Er kann heute nicht mehr so authentisch gespielt werden. Ich sehe Musik als eine universal verbindende Sprache, die die Grenzen zwischen verschiedenen Kulturkreisen und musikalischen Stilistiken überwinden kann.

Wie praktizieren Sie diese "Weltmusik"?

Ich musiziere mit Freunden aus Tunesien, dem arabischen Raum und Indien. Mein tunesischer Freund spielt Oud, eine arabische Laute. Ein anderer spielt Nay, eine arabische Bambusflöte, oder Kanun, eine arabische Zither. Von der indischen Musik kommen Sitar (Zupfinstrument)und Tablas (Trommeln) zum Einsatz. Mir ist wichtig, dass bei diesen interkulturellen Konzerten nicht die Fremdartigkeit, das Exotische zur Schau gestellt wird, sondern das Verbindende im Vordergrund steht. Die Vorgehensweise bei diesen Konzerten, die teilweise ohne lange Vorbereitung erfolgen, ist wie beim Jazz: Der Rahmen ist vorgegeben, das erste Thema meist festgelegt. Im Zentrum steht die Improvisation. Es reizt sehr, Musik interpretatorisch zu gestalten. Das Spiel hängt wie eine Momentaufnahme von der jeweiligen Situation ab. Als Musiker geht es nicht darum, mit raffinierter Technik zu brillieren, sondern loszulassen vom Ego. Man wird zu der Musik, die man macht.

In wie vielen Formationen spielen Sie mit?

Derzeit spiele ich in acht Bands mit Oriental Jazz, Progressive Rock and Jazz, Jazz der 1920er- und 30er-Jahre, Indian Jazz und deutsch-syrischem Oriental Jazz Rock. Mit diesen Bands habe ich von 2014 bis 2017 bei internationalen Festivals konzertiert und zahlreiche CDs produziert. Seit 2011 nehme ich jährlich am Workshop "Orient meets Occident" teil mit der Thematik "Tradition und Moderne in Jazz, arabischer und europäischer klassischer Musik und ihren interkulturellen Hintergründen".

Können Sie diese Vielfalt und Offenheit auch in Ihren Unterricht einbringen?

Wir praktizieren verschiedene Musikrichtungen, angefangen von Klassik über Blues, Jazz, Gospel, Soul, Rock und Pop. So weitet sich der musikalische Horizont. Die Schüler liegen mir sehr am Herzen und ich möchte individuell auf jeden eingehen, etwa welche Vorlieben er hat. Wir gehen also nicht Kapitel für Kapitel in einem bestimmten Lehrwerk durch. Da es für Jazz, Rock und Pop wenig Notenmaterial gibt, hören wir Jazzaufnahmen und ich bereite als Anhaltspunkte eine vage Notation vor. Unterrichtserfahrung habe ich als Leiter einer Big Band, als künstlerischer Leiter eines Projekts zur Partizipation von geflüchteten Musikern und als Dozent an der Orientalischen Musikakademie Mannheim gewinnen können.

Sie haben auch Erfahrung mit Theaterarbeit. In Schramberg gibt es ja eine langjährige Musical-Tradition. Könnten Sie sich vorstellen, an einem derartigen Projekt mitzuarbeiten?

Theaterarbeit schätze ich total. In jeder Musik geht es darum, Geschichten zu erzählen. Die Zuhörer sollen inspiriert werden. Auch Instrumentalmusik ist vielfältig interpretierbar und es schwingt immer eine politische und soziale Komponente mit. Ich kann mit meiner Musik zum Friedensprozess beitragen. Je mehr ich von anderen Kulturen lerne, desto intensiver und echter kann der Austausch werden, nicht, indem ich die fremde Musik nur als exotisches Gewürz einstreue. So kann auch Angst vor dem Fremden abgebaut werden. Bisher habe ich bei drei Produktionen, einem Gesamtkunstwerk mit Musik, Tanz und Theater, einer Musical- und einer Opernproduktion mit Jazzband und Orchester mitgewirkt.   Die Fragen stellte Antonie Anton.