Die Nachfrage nach Grippe-Impfungen übersteigt dieses Jahr das Angebot - auch in Schramberg. (Symbolfoto) Foto: Margais

Auch im Raum Schramberg wird der Impfstoff knapp. Praxen können Nachfrage nicht bedienen.

Schramberg - Jüngst war vielerorts verstärkt von einer Knappheit der Grippe-Impfstoffe die Rede. Eine Entwicklung, die sich auch im Raum Schramberg abzeichnet. Hiesige Ärzte und Apotheker bestätigen das.

Sind für dieses Jahr zu wenig Grippe-Impfstoffe vorhanden? Und das, obwohl Institutionen wie die kassenärztliche Vereinigung oder die Ständige Impfkommission des Robert-Koch-Instituts – wie jedes Jahr – eine Impf-Empfehlung ausgesprochen haben? Diese gelte 2020 besonders für Personen aus den Risikogruppen. Das betont auch Gebhard Pfaff von den "Regiodocs" im Gespräch mit unserer Zeitung: "Aus medizinischer Sicht gehe ich mit den Instituten mit und empfehle eine Grippeimpfung – vor allem den Personen aus der Risikogruppe", so Pfaff. Es stehe außer Frage, dass diese eine Infektion mit dem Influenza- und dem Coronavirus hintereinander oder gar gleichzeitig unbedingt vermeiden sollten.

Zusammenhang mit Corona

Pfaff, wie auch Jürgen Winter als Sprecher der Schramberger Ärzteschaft, bestätigt, dass die hiesigen Ärztepraxen ebenfalls Grippe-Impfstoff-Engpässe haben. "Aufgrund des im Vergleich zu den Vorjahren deutlich höheren Ansturms auf Grippeimpfungen hat unsere Praxis derzeit alle Grippe-Seren schon verbraucht", erklärt Jürgen Winter auf Anfrage. "Stand Ende vergangener Woche konnte uns die Apotheke nicht sagen, wann genau weitere Impfstoffe eintreffen. Wir haben aber noch eine Option auf 300 Grippeimpfungen. Es ist nur die Frage, wann wir sie bekommen", fährt Winter fort.

Schwarzwald-Baar-Kreis: Grippe-Impfstoff wird knapp

Auf der Suche nach einer Erklärung für die erhöhte Nachfrage holt Gebhard Pfaff aus: "Der normale Vorgang ist: Die Praxen bestellen im späten Frühjahr ihren Bedarf in den Apotheken oder beim Hersteller. Dabei richten sie sich nach den Erfahrungswerten der vergangenen Jahre. Seit den Zeiten von Vogel- und Schweinegrippe um 2010 hatte ich immer mehr das Gefühl, dass die Akzeptanz zur Impfung jährlich gesunken ist. Der Umgang von offizieller Seite mit dem Thema Grippe war für viele nicht stimmig. Dieses Jahr mit Corona, zu dem ein größerer Konsens herrscht, war es nun sehr schwer abzuschätzen, wie die Nachfrage sein wird", so der Mediziner.

Lieferanten haben aktuell keinen Nachschub

Generell glaube er, dass Aspekte zu Corona auch in den Bereich der Grippe ausstrahlen: "Ich kann mir zum einen vorstellen, dass viele glauben, dass sie nach einer Grippeimpfung einen potenziell schwächeren Verlauf im Falle einer Corona-Erkrankung haben", so Pfaff. "Zum anderen möchten die Menschen derzeit Symptome vermeiden – beispielsweise am Arbeitsplatz oder beim Einkaufen." Auch bei den "Regiodocs" gebe es derzeit mehr Anfragen als Impfstoffe. "Und von den Lieferanten hört man, dass es keinen Nachschub gibt", so Pfaff.

Das bestätigen die Apotheker – wie etwa Birgitt Mäntele, Inhaberin der Römer-Apotheken in Waldmössingen und im Medzentrum: "Im Moment ist nichts verfügbar." 2019 hätten sich noch sehr wenige gegen Grippe impfen lassen wollen. Aus Angst, Influenza und Corona gleichzeitig zu bekommen, sehe dies 2020 anders aus.

Neu produzieren ist nicht möglich

Nun habe der Bund eine weitere Lieferung auf Mitte November angekündigt von Impfreserven, die eigentlich ins Ausland hätten exportiert werden sollen. Neuen Impfstoff nachzuproduzieren, erklärt die Apothekerin, sei nicht möglich. "Der Herstellungsprozess dauert den ganzen Sommer. Bis das nachproduziert wäre, wäre die Grippesaison vorbei", so Mäntele. Wichtig ist es ihrer Meinung nach, dass Hochrisikopatienten und Menschen in medizinischen Berufen die Impfungen zur Verfügung gestellt werden.

Dass derzeit viele Menschen Angst hätten sei nachvollziehbar. Dennoch sei die Wahrscheinlichkeit einer schweren Grippe-Erkrankung dieses Jahr – gerade aufgrund der corona-bedingten Abstandsregelungen und dem Tragen eines Mundschutzes – "deutlich, deutlich geringer", beruhigt Mäntele.

War Entwicklung absehbar?

Thorsten Wenner von der Zollhaus-Apotheke in Aichhalden sieht den Sachverhalt hingegen etwas anders. Er meint, die Bestellvorgänge bei den Herstellern seien bis Ende März, Anfang April möglich gewesen – also noch zu einem Zeitpunkt, zu dem die Entwicklung der Corona-Pandemie bereits absehbar war. Weil in den vergangenen Jahren mehr Impfstoff hergestellt wurde als nachgefragt, seien die Ärzte Anfang des Jahres angehalten gewesen, weniger zu bestellen. Auch wegen dieser restriktiven Haltung beim Bestellen sehe die Situation nun so "bescheiden" aus. Er berichtet von einem Großhändler, der ihm bis Ende November Impfstoffe in Aussicht gestellt habe – den dieser aus Frankreich beziehen muss.

Nicole Quandt von der Spittel-Apotheke und der Apotheke Sulgen bezeichnet das Bestellen der Grippe-Impfungen nach 20 Jahren Erfahrung als Apothekerin als "jährliches Chaos". Sie meint, die coronabeeinflusst höhere Nachfrage sei zum Bestell-Zeitpunkt im Frühjahr nicht absehbar gewesen. Für sie sind die vielen Aufrufe und Empfehlungen Grund, warum auch Nicht-Risiko-Patienten jetzt verstärkt geimpft werden möchten. Impfstoffe wird es bei ihr vermutlich erst wieder Mitte November aus dem Befund der "nationalen Impfstoffreserve" geben. Wie Mäntele glaubt sie aber an ein schwächeres Influenza-Jahr aufgrund der Verordnungs-Regeln.

Ausmaße der Pandemie waren nicht absehbar

Weil die Hersteller die genaue Zusammensetzung der Influenza-Impfung aus vier Virenstämmen jährlich neu konfigurieren müssen und seinerzeit die Ausmaße der Corona-Pandemie so nicht absehbar waren, sieht Gebhard Pfaff von den "Regiodocs" keinen gröberen "Fehler" bei der Bereitstellung von Impfstoffen.

Diese Einschätzung ist auch einem Schreiben der kassenärztlichen Vereinigung (KV) Baden-Württemberg an die Fachärzte zu entnehmen, das unserer Redaktion vorliegt. Dennoch nennt sie die "erheblichen Lieferengpässe mit versorgungsrelevanten Mengen an Grippeimpfstoff" für den Praxisablauf derzeit "schlechthin eine Katastrophe".

17 Millionen Impfdosen seien in Deutschland von Ärzten bestellt, drei Millionen mehr seien produziert worden, heißt es in dem Schreiben. Darüber hinaus bestehe eine "nationale Impfstoffreserve" von weiteren sechs Millionen Dosen, die den Praxen in drei Wochen zur Verfügung stünden. "Insgesamt werden also 26 Millionen Menschen in Deutschland dieses Jahr gegen die Grippe geimpft werden können statt der 14 Millionen im Vorjahr. Hoffen wir, dass der in langwierigen biologischen Prozessen hergestellte Impfstoff ausreichend ist", heißt es weiter.