Alfons Kuhner (1897 bis 1980) verhinderte die Schließung der Panzersperre am Kühlloch. Foto: Schwarzwälder Bote

Heimatgeschichte: "Gruppe Beiter" sorgte für eine kampflose Übergabe der Stadt

Am 20. April 1945, heute vor 75 Jahren, hat für die Schramberger Bevölkerung mit der Besetzung der Franzosen der Zweite Weltkrieg geendet. Durch den Einsatz einer politischen Gruppe konnte die Stadt kampflos übergeben werden. Trotzdem starben an diesem Schicksalstag einige Menschen.

Schramberg. An den 20. April 1945 erinnerte sich die Schramberger Bevölkerung noch lange Zeit, denn es war ein strahlender Frühlingstag und der letzte Geburtstag von Adolf Hitler (1889 bis 1945). Spätestens seit Beginn des Jahres 1945 hatte die deutsche Bevölkerung mit der baldigen Niederlage gerechnet, die sich auch in Schramberg anbahnte.

Als am 17. April 1945 Freudenstadt besetzt und dabei ein Großteil der Gebäude niedergebrannt worden war, erkannten die Schramberger, dass auch bei ihnen der Krieg bald ein Ende nehmen würde. Zeitzeugen berichten sogar davon, dass sie in der Nacht des 16. April von Anhöhen wie dem Schlossberg oder umliegenden Ortsteilen die Rauchwolken über Freudenstadt sehen und das Artilleriefeuer hören konnten. Zudem war Schramberg ein strategischer Knotenpunkt, um die Schwarzwaldtäler zu kontrollieren und die deutsche Wehrmacht, die sich Richtung Süden absetzte, einzukesseln.

Ein Fliegerangriff während des Kriegs

Die Stadt Schramberg hatte das Glück von Kriegshandlungen verschont zu bleiben, obwohl hier ein Großteil der Rüstungsproduktion des Schwarzwalds hergestellt wurde. Es fand lediglich ein Fliegerangriff am 21. März 1945 um 15.30 Uhr statt, bei dem 13 Menschen starben und mehrere Gebäude zerstört wurden. Entscheidend für das Schicksal der "Fünftälerstadt" bei der Einnahme durch die Franzosen war eine innerhalb der Uhrenfabrik Junghans entstandene politische Gruppe um ihren Sprecher Christian Beiter (1908 bis 1979), der als Kaufmann tätig war. Weitere Mitglieder dieser Widerstandsgruppe waren der Firmenfotograf Alfons Kuhner (1897 bis 1980), sowie Joseph Schinle, Christian Saalfrank, Arthur Fernkorn, Josef Schneider, Richard Engler, Otto Droste und Albert Ginter.

Ausführung von Befehl verhindert

Sie kamen bereits 1944 oft zusammen, um über die aktuelle Kriegslage zu diskutieren und hörten ausländischen Rundfunk wie beispielsweise BBC aus England oder Radio Beromünster aus der neutralen Schweiz, die von den Nazis verboten wurden. Sie verstanden sich als antifaschistische Gruppe mit ähnlichen Zielen wie die in Stalingrad gegründete Gruppe "Nationalkomitee Freies Deutschland" und deren Ableger "Freies Deutschland" in der Schweiz sowie in anderen Ländern.

Im Frühjahr 1945 begannen sie schließlich die kampflose Übergabe der Stadt zu planen, um weiteres Unheil zu verhindern. Sie waren davon überzeugt, dass der "Nero-Befehl", den Hitler am 19. März 1945 erteilte und der die Zerstörung von Straßen, Brücken, Fabriken und Versorgungswerken vorsah, keinen Sinn mehr machte. Auch die Verteidigungsbefehle bis zum letzten Mann waren sinnlos, weil Deutschland den Krieg nicht mehr gewinnen konnte.

Errichtung einer Panzersperre verhindert

Aus diesem Grund führten Kuhner und Beiter wenige Tage vor der Übergabe Gespräche mit der örtlichen Polizei, um sie über die Pläne zu informieren und um die Verhaftung der Parteimitglieder zu bitten. Der Hauptmann der Schutzpolizei, David Sorg, fürchtete aber ein unnötiges Blutbad und wollte auf die Rückendeckung durch die Franzosen warten. Weiterhin sollten die Panzersperren im Stadtgebiet nicht geschlossen werden, damit es nicht zu Zerstörungen kommen und Beiter den Franzosen mit einer weißen Fahne entgegenkommen konnte, um ihnen die Kapitulation anzubieten.

Der "Nero-Befehl" Hitlers sollte durch Sprengsätze beim Gaswerk am Rappenfelsen, installiert vom "Volkssturm", durchgesetzt werden. Der "Volkssturm" wurde durch "Führererlass" am 19. Oktober 1944 ins Leben gerufen, um die Heimat zu verteidigen, und umfasste alle wehrfähigen Männer zwischen 16 und 60 Jahren. Der Stadtbaumeister Franz Glanz (1888 bis 1963) konnte die Sprengungen jedoch verhindern, indem er von einem Gegenbefehl des "Reichsverteidigungskommissars" berichtete, der aber nie gegeben wurde.

Weiter hatten die "Volkssturmkompanien" am frühen Morgen des 20. April 1945 den Befehl zur Schließung der Ortsausgänge durch Panzersperren erhalten. Das Tagebuch des Stadtbaumeisters stellt für die Rekonstruktion des Geschehens eine entscheidende Quelle dar. Bürgermeister Fritz Arnold (1899 bis 1972) überließ Franz Glanz sein Amt um 10 Uhr, weil dieser vom Landrat dafür vorgesehen wurde und es durch den Feindalarm zur Räumung kam. Arnold war von diesem Vorhaben jedoch nicht überzeugt und meinte noch zu Glanz: "Sie haben doch von jeher die Bestrebungen und Ziele der Partei sabotiert!"

Arnold verließ das Rathaus und suchte die Geschäftsstelle in Sulgen auf. Auf dem Weg kam er in voller Parteiuniform am Kühlloch vorbei, das sich im Wald an der Steige befindet. Dort sollte eine Panzersperre errichtet werden, was Alfons Kuhner aus der "Gruppe Beiter" und weitere "Volkssturmmänner" verhindern konnten. Laut der Aussage von Kuhner und Friedrich Kieninger (1903 bis 1986), der Kuhner bei seinem Vorhaben unterstützte, seien sie anwesend gewesen als Arnold die Steige hinauf lief. Nach einer Diskussion ging der Parteimann zornentbrannt zur Geschäftsstelle in Sulgen, um die Verhaftung und Erschießung von Kuhner zu fordern.

Sechs Tote bei der Übernahme der Stadt

Stadtbaumeister Glanz unternahm jedoch in dieser Angelegenheit nichts und meinte bei einem weiteren Anruf zu Arnold: "Befehlen tue ich! Wenn Sie aber als Bürgermeister amtieren wollen, dann sind Sie so freundlich und kommen in das Rathaus, dann sind Sie wieder Bürgermeister!" Kieninger, der Arnold begleitete, überbrachte die Nachricht an Kuhner. Dieser konnte sich daraufhin bei einem bekannten Bauern in Sulgen verstecken, bis die Franzosen die Stadt besetzt hatten. Dort ist er, so sagte er in einer Tonbandaufnahme aus dem Jahre 1976, auf eine Gruppe von "Werwölfen" gestoßen, die aus jungen NS-Partisanen bestand. Diese Jugendlichen, die bis zur letzten Patrone kämpfen wollten, habe er entwaffnet und nach Hause geschickt.

An der Panzersperre am Kühlloch verweilten dennoch "Volkssturmmänner", um auf die Franzosen zu schießen, denn die Schließung der Panzersperre konnte aufgrund der sabotierten Werkzeuge nicht mehr durchgeführt werden.

Bei dem Gefecht starb Johann Dold (1902 bis 1945), der anders als die restlichen "Volkssturmmänner" nicht mit erhobenen Händen aus seinem Versteck kam und von einem Marokkaner erschossen wurde, wie andere "Volkssturmmänner" bezeugten. Außerdem wurde Erich Braunschweiger (1929 bis 1945), der sich mit 15 Jahren freiwillig zum "Volkssturm" gemeldet hatte im "Wendelhansenwald" zwischen der B462 und der Steige angeschossen. Er erlag am Morgen des 21. April 1945 einem Lungenstreckschuss im Hilfslazarett Rose in Sulgen.

Auch der "Volkssturmmelder" Albert Weißer (1906 bis 1945) wurde am Tag der Besetzung erschossen, als er die Leute aufforderte, in die Keller zu gehen, weil die Franzosen die Stadt besetzen werden. Dabei bleibt unklar, ob der Genickschuss von einem Franzosen abgefeuert wurde, weil er seine Uniform trug oder ob ein überzeugter Nationalsozialist die Kugel abfeuerte, um sich dem Befehl zu widersetzen.

Ein weiteres Todesopfer forderte der Einmarsch der Franzosen im Lazarett in der Realschule. Der dort arbeitende Zahlmeister Alexander Hombach (1892 bis 1945) flüchtete beim Eintreffen französischer Truppen in das HJ-Zimmer. Er wurde durch die Türe getroffen und starb noch vor Ort. Nach "kurzem Prozess" ganz offensichtlich erschossen wurde das NS-Frauenschaftsmitglied Hilda Mall (1898 bis 1945), die in der Berneckstraße auf die französischen Truppen geschossen haben soll. Im Sterberegister des Standesamts der Stadt Schramberg ist unter dem 27. April 1945 vermerkt: "Eine unbekannte Frau, schätzungsweise 40 bis 45 Jahre alt, ist am 20. April 1945 gegen 21 Uhr 00 Minuten an der Straße nach Schiltach, unterhalb des Gaswerks, erschossen aufgefunden worden. Die Umstände lassen darauf schließen, daß die Tote ein Opfer der feindlichen Besetzung geworden ist."

Einheiten verweigern den Widerstand

Andere "Volkssturmeinheiten" hatten ebenfalls den Befehl, am Kühlloch zu verteidigen, aber die Gruppenführer verweigerten den unnötigen Widerstand und schickten ihre Männer nach Hause, weil sie wussten, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war und unnötige Zerstörungen im Stadtgebiet verhindert werden sollten. Die "Volkssturmgruppe" unter Leitung von Otto Pfaff (1892 bis 1955) nahm nicht einmal mehr an einer Versammlung am Bernecksportplatz teil, weil er meinte, dass sie "ihren Stellungsbefehl hatten und sich nicht das Geschwätz anhören müssen".

Letztendlich passierten die französischen Panzer die Panzersperre am Kühlloch und fuhren etwa um 16 Uhr die Steige hinunter. Sie wurden in der Innenstadt von Christian Beiter mit weißen Fahnen empfangen. Die offizielle Übergabe erfolgte jedoch um 18 Uhr durch Stadtbaumeister Glanz. Es fand dabei eine ausführliche Führung durch das Rathaus statt, ehe der französische Kampfkommandant Bonechon genauere Anweisungen erteilte. Diese umfassten die Abgabe aller Waffen und eine nächtliche Ausgangssperre für die Zivilbevölkerung, die später verkürzt wurde. Zusätzlich sollten Zwangs- und Fremdarbeiter vorerst in ihren Unterkünften verweilen, bis nähere Befehle folgen.

Vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg – auch in der heutigen Großen Kreisstadt Schramberg, deren Stadt- und Ortsteile von Einheiten der Ersten Französischen Armee besetzt wurden. Seit 1950 wird das damalige Geschehen auf örtlicher Ebene zu den Jahrestagen in Erinnerung gerufen.

Bis heute werden auch immer noch unbekannte historische Quellen entdeckt, die zu einem immer vielfältiger werdenden Bild dieser Schicksalszeit beitragen.

Zum 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges hat sich im Stadtarchiv und Stadtmuseum Schramberg ein Autorenteam gebildet, das die Ereignisse des Jahres 1945 neu in den Blick nimmt.

Im ersten Teil der Serie berichtet David Kuhner über den Einmarsch der Franzosen am 20. April 1945, für die zum ersten Mal auch die erst in den vergangenen Jahren dem Stadtarchiv und Stadtmuseum Schramberg zugänglich gemachten Tagebucheintragungen des damaligen Stadtbaumeisters Franz Glanz (1888 bis 1963) ausgewertet werden. Der Autor ist 18 Jahre alt und Abiturient am Gymnasium Schramberg. Er ist der Urenkel von Alfons Kuhner (1897 bis 1980), der vor 75 Jahren maßgeblich daran beteiligt war, seine Heimatstadt vor sinnloser Zerstörung zu bewahren.

Im zweiten Teil, der am kommenden Samstag erscheint, wird Robin Wußler die bisher unbekannte Erzählung "Die Eroberung von Schramberg" des Journalisten Albert Oeser (1878 bis 1959) vorstellen.