Das Logo zu "100 Jahre Weimarer Republik in Schramberg" mit dem Lichtspielhaus. Foto: Schwarzwälder Bote

Heimatgeschichte: 100 Jahre Weimarer Republik in Schramberg

Schramberg. Mit den Wahlen zu den verfassunggebenden Landes- und Nationalversammlungen begann in Schramberg wie überall im damaligen Deutschen Reich die Geschichte der Weimarer Republik. Am 19. Januar 1919, heute vor 100 Jahren, bestätigte die damalige Bürgerschaft mit großer Mehrheit den Durchbruch der Demokratie.

Unter dem Titel "Zur Jahreswende" eröffnete der Schramberger Fabrikarbeiter und Schriftsteller Friedrich "Fritz" Rapp (1882 bis 1961) das Geburtsjahr der Weimarer Republik im "Schwarzwälder Tagblatt" vom 1. Januar 1919 mit einem Zeitbild, das einen guten Eindruck vermittelt, wie groß damals auch in der Industriestadt Schramberg die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft nach dem Leid und der Not im Ersten Weltkrieg gewesen sind: "Ein neues Jahr im neuen Deutschland. Eine neue Zeit [...] Vermöge unserer eigenen Kraft und dem Segen Gottes wollen wir vertrauensvoll an unsere Arbeit gehen im neuen Jahre; mitraten und mittaten im öffentlichen und privaten Leben, um wahr zu machen den obersten Grundsatz im neuen, demokratischen Deutschland: Ein freies Volk im freien Staat."

Zukunft der Demokratie wird allerorts mit Leidenschaft diskutiert

Nach der "Novemberrevolution" im Spätherbst 1918 stellten sowohl der "Rat der Volksbeauftragten" unter der Führung des SPD-Politikers Friedrich Ebert (1871 bis 1925) in Berlin auf Reichs- wie auch die "provisorische Regierung" unter der Führung des SPD-Politikers Wilhelm Blos (1849 bis 1927) in Stuttgart auf Landesebene die Weichen für die Einberufung einer verfassungsgebenden National- und Landesversammlung. Für den (neuen) Freien Volksstaat Württemberg wurde der Wahltermin auf den 12. Januar 1919 gelegt, für das Deutsche Reich auf den 19. Januar 1919. Mit der "Novemberrevolution" wurde auch das – vor allem von der SPD seit Langem geforderte – Frauenwahlrecht eingeführt und das Wahlalter von 25 auf 20 Jahre herabgesetzt.

Die Zukunft der neuen Demokratie wurde Ende 1918/Anfang 1919 überall mit großer Leidenschaft diskutiert. Der Jahreswechsel war indes von den bürgerkriegsartigen Kämpfen zwischen den revolutionären "Spartakisten" in den Großstädten wie Berlin und Stuttgart und den regierungstreuen Truppen überschattet. In der Industriestadt Schramberg waren bereits im wilhelminischen Kaiserreich sehr aktive politische Parteien und Lager entstanden, die Ende 1918/1919 ihre Anhänger mit zahlreichen Großveranstaltungen und Spitzenpolitikern auf den Rednerbühnen mobilisierten.

Ende 1918 spaltet sich in Schramberg die radikale Linke von der SPD ab

Bei der letzten Reichstagswahl vor dem Ersten Weltkrieg am 12. Januar 1912 war die politische Linke mit der SPD in der Arbeiterstadt Schramberg mit 45,8 Prozent zur stärksten Kraft aufgestiegen. Die anderen, ebenfalls starken, politischen Lager waren das katholische Zentrum, die linksliberale Fortschrittliche Volkspartei und die konservativen Nationalliberalen. Die Fortschrittliche Volkspartei und die Nationalliberalen bündelten in der "Novemberrevolution" in der neu gegründeten Deutschen Demokratischen Partei (DDP) ihre Kräfte. Ende 1918 spaltete sich schließlich auch in Schramberg die radikale Linke von der SPD "Mehrheitssozialdemokratie" ab und gründete eine Ortsgruppe der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD), aus der im Jahr 1920 eine Ortsgruppe der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) entstand.

Die sehr lebendige (und konfliktreiche) politische Kultur brachte auch einige herausragende politische Persönlichkeiten hervor, die auch auf Reichs- und Landesebene Gewicht hatten. Gleich drei Schramberger kandidierten am 12. Januar 1919 für die verfassungsgebende Landesversammlung und wurden auch gewählt: der damals in Stuttgart wohnende, aber für das Oberamt Oberndorf und damit auch für Schramberg kandidierende Arbeitersekretär Josef Andre (1879 bis 1950) für das Zentrum, der Porzellanmaler Albert Bauer (1883 bis 1959) für die SPD und der Katastergeometer Rudolf Linkenheil (1880 bis 1939) für die DDP. Mit drei Abgeordneten war die Industriestadt Schramberg im ersten Landtag des Freien Volksstaates Württemberg hervorragend vertreten.

Für die verfassungsgebende Nationalversammlung kandidierten auf der Liste des Zentrums auf Platz 4 der Arbeitersekretär Josef Andre und auf Platz 12 Klara Schweizer (1877 bis 1962), die Ehefrau des Emaillefabrikanten Max Schweizer (1873 bis 1924). Durch ihr soziales Engagement im Katholischen Frauenbund und dem Elisabethenverein, zu dessen Ehrenvorsitzenden sie später ernannt wurde, war sie in Schramberg sehr bekannt und geschätzt.

Als einer von insgesamt 17 Abgeordneten des Wahlkreises 31/21 Württemberg und einer von vier württembergischen Zentrumspolitikern wurde Josef Andre auch gewählt. Seine drei (württembergischen) Kollegen sind als bedeutende Pioniere christlich-demokratischer Politik im heutigen Land Baden-Württemberg auch allgemein bekannt geblieben: Adolf Gröber (1854 bis 1919), Matthias Erzberger (1875 bis 1921) und Eugen Bolz (1881 bis 1945).

Mehrheit bestätigt bei beiden Wahlen den Durchbruch

B ei beiden Wahlen bestätigte eine überwältigende Mehrheit der Schrambergerinnen und Schramberger den Durchbruch der Demokratie und wählte vor allem die DDP, die SPD und das Zentrum, die trotz aller Gegensätze als "Weimarer Koalition" das Fundament für die Weimarer Republik bildeten. Bei der Wahl zur verfassunggebenden Landesversammlung am 12. Januar 1919 erreichten in Schramberg die SPD 42,7 Prozent, das Zentrum 36 Prozent und die DDP 16,6 Prozent. Auf die USPD entfielen nur 3,1 Prozent.

Das Ergebnis bei der Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919 fiel eine Woche später dann ähnlich aus: SPD 42,9 Prozent, Zentrum 37,1 Prozent, DDP 16,5 Prozent und USPD 2,8 Prozent. Mit diesen Ergebnissen blieb man auch in Schramberg über die "Novemberrevolution" hinweg wie andernorts den politischen Grundhaltungen des wilhelminischen Kaiserreiches größtenteils treu.

Nach der historischen Wahl schrieb das "Schwarzwälder Tagblatt" über die Geburt der Weimarer Republik: "Es wird der Anspannung aller Kräfte der am 19. gewählten Vertrauensmänner des deutschen Volkes bedürfen, um das gewaltige Werk zustandezubringen. Es gilt den stolzen Bau zu errichten, in dem der neue deutsche Volksstaat wohnen soll."

Das ehemalige Lichtspielhaus in der Architektur des "Bauhauses", dessen 100-jähriges Jubiläum 2019 gefeiert wird, ist ein herausragendes Kulturdenkmal der Weimarer Republik in Schramberg. In seinem Zeichen beginnt der Schwarzwälder Bote heute in Kooperation mit dem Historiker und Kulturwissenschaftler Carsten Kohlmann die Serie "100 Jahre Weimarer Republik in Schramberg", die von 2019 bis 2033 in einem vielfältigen Bilderbogen zahlreiche weitgehend vergessene Aspekte und Ereignisse dieser Epoche in Erinnerung rufen wird.