Theo Lehmann ist Schäfer mit Leib und Seele, an seiner Seite Kim Ebinger vom Landschaftsentwicklungsverband Mittlerer Schwarzwald (LEV). Foto: Zeger Foto: Schwarzwälder-Bote

Natur: Theo Lehmann sieht die Rückkehr des Raubtiers kritisch/ Noch zu viele Fragen offen

Von Karin Zeger

Schramberg/Aichhalden-Rötenberg/Schiltach. Wenn Theo Lehmann am Esszimmertisch sitzt und durch die Glasfront nach draußen blickt, hat er sein Reich im Blick: Schafe, Ziegen, Hunde, Hühner und Enten tummeln sich da draußen. Bis zum Horizont wechseln sich Acker und Wiesen, Wald und Flur ab. Dieses schöne Fleckchen im Schwarzwald trägt den Namen Silberburg und gehört zu Aichhalden.

Der 51-Jährige ist Schäfer mit Leib und Seele und weiß, dass nicht nur er seine Tiere im Blick hat: "Er weiß zwar nicht, wie ich heiße", scherzt Lehmann, "aber der Wolf ist da und beobachtet uns, da bin ich mir sicher."

Rund 650 Mutterschafe mit Lämmern und 24 Mutterziegen mit Nachwuchs gehören zu seiner Schäferei, die er seit 1996 betreibt. Er hält mit seinen Tieren die Landschaft offen, im Kirnbach, in Schiltach und in Aichhalden. 125 Hektar gehören zum Betrieb, 80 Hektar davon sind Weidefläche, 35 Mähweide (für die Winterfuttergewinnung) und zehn Hektar Ackerbau.

Theo Lehmann ist ein seltenes Exemplar – in vielerlei Hinsicht: Er ist einer der wenigen in Baden-Württemberg, der von der Schäferei lebt und der kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es um die Natur im Allgemeinen und seine Tiere im Besonderen geht. Und derzeit gibt es viel zu sagen, denn der Wolf ist beherrschendes Thema. "Zu viele offene Wolf-Fragen stehen im Raum, die auch hinter die Zukunft vieler Schäferein ein dickes Fragezeichen setzen", sagt Lehmann.

Dabei geht es dem engagierten Tierfreund nicht um Schwarzmalerei oder um den Erhalt des Zaubers, der das Raubtier immer noch umgibt. Er stellt nüchtern fest: "Der Wolf könnte der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt." Denn die Zukunft der Schäferei sei jetzt schon alles andere als rosig. "Der Stundenlohn liegt derzeit einschließlich Förderung unter 6,50 Euro." Wenn sich der Wolf in Rudeln bei uns niederlässt, "werden unsere Enkel keine Schäfer mehr sehen", ist sich Lehmann sicher.

Wer haftet für die durch einen Wolfsangriff entstandenen Schäden? Wer übernimmt die Haftung für Schäden, wenn Versicherungsgesellschaften das Risiko zu groß wird und Weidetierhalter am Ende keinen Versicherungsschutz mehr erhalten? Bei solchen essenziellen Überlegungen wird schnell klar, dass es Lehmann – und den meisten seiner Kollegen – nicht darum geht, dass der Wolf ab und zu ein Schaf reißt. "Das kann ich verkraften", sagt er. Der Wolf geht tiefer, wenn die "Rahmenbedingungen nicht stimmen". Hier sei die Politik gefordert.

Aber selbst wenn die rechtlichen Fragen geklärt wären, würden die Schwierigkeiten durch den Wolf nicht aufhören. Ein großes Problem ist der Schutz der Schafe. Möglich soll dieser durch spezielle Zäune (Wolfsabwehrnetz) oder Herdenschutzhunde sein. Die Praxis zeige aber: "Einen funktionierenden Herdenschutz gibt es nicht." Was in weniger besiedelten Gebieten wie Rumänien oder im Osten von Deutschland machbar ist, lässt sich im Schwarzwald nicht umsetzen.

Lehmann erzählt: "Ich bewirtschafte in den Sommermonaten viele kleinparzellierte Flächen. Damit das funktioniert, muss ich meine Schafe auf vier bis sechs Herden aufteilen. Laut Empfehlung von Praktikern benötigt man mindestens zwei Schutzhunde pro Herde, ich benötige als zwölf Hunde. Pro Hund fallen Kosten von rund 1000 Euro an. Für meinen Betrieb wären das also Mehrkosten von 12 000 Euro im Jahr, für die ich nicht entschädigt würde. Von den Anschaffungskosten ganz zu schweigen." Zudem sei die Sozialisierung von Herdenschutzhunden sehr aufwendig, der Schutz der Herde habe für diese Tiere oberstes Priorität, Gehorsam sei für sie ein Fremdwort.

"Aber selbst wenn wir das alles bei Seite ließen, bin ich gespannt auf die vielen Freizeitsportler, Naturliebhaber und Anwohner, die begeistert sein werden, wenn die Hunde in unserem dicht besiedelten Gebiet ständig Alarm schlagen und sich abwehrend verhalten – Konflikte sind vorprogrammiert."

Für Kim Ebinger vom Landschaftsentwicklungsverband Mittlerer Schwarzwald mit Sitz in Schiltach geht es um das Miteinander, sie sieht sich auch als Vermittlerin zwischen den beiden Parteien: auf der einen Seite die Wolfs-Befürworter, auf der anderen Seite die Gegner. Können die Schwarzwaldhänge durch Schafe, Ziegen und andere Weidtiere nicht mehr offen gehalten werden, sieht sie auch die Artenvielfalt in Gefahr.

Oder wie es Theo Lehmann formuliert: "Wer übernimmt den Erhalt der Kultur- und Erholungslandschaft, wenn es keine Weidetierhalter mehr gibt?"

Wanderschafhaltung: Herden ziehen im Jahresverlauf über weite Strecken und sind nur kurz an einem Ort. In Baden-Württemberg traditionell weit verbreitet.

Standortgebundene Hütehaltung: Die Schafe leben im Winter im Stall und werden ansonsten auf Flächen in der Region gehütet. In Baden-Württemberg verbreitet.

Koppelschafhaltung: Die Schafe leben mehr oder weniger an einem Standort in festen Koppeln. Eher im Nebenerwerb und bei der Hobbytierhaltung üblich.

In der Regel sind es zunächst junge männliche Tiere, die auf ihren weiten Wanderungen neue Regionen besuchen. Kommen weibliche Tiere nach, gründen sie eine Familie, ein Rudel entsteht. Dies besteht aus beiden Elterntieren sowie dem diesjährigen und dem letztjährigen Nachwuchs. In Deutschland lebten im Frühjahr dieses Jahres 70 Wolfsrudel beziehungsweise Paare. Quelle: Nabu