Die Metzgerei Schmid zum Löwen in den 1980er-Jahren Foto: Privat Foto: Schwarzwälder Bote

Stadtgeschichte: Über 200 Jahre Strukturwandel im heutigen Sanierungsgebiet Talstadt West / In Heimatgedicht erwähnt

Auf den ersten Blick ist es nur ein neuer Parkplatz, der durch den "Stadtumbau 2030+" an der Lauterbacher Straße vor kurzem entstanden ist. Über mehr als 200 Jahre standen hier aber Gebäude, an die zum Abschied ein Nachruf erinnern soll.

Schramberg. Beim Betrachten alter Bilder aus dem Bereich Berneck-, Haupt- und Lauterbacher Straße zeigt sich, dass in diesem Stadtteil von der ursprünglichen Bausubstanz fast nichts mehr vorhanden ist. Ein historischer Strukturwandel hat stattgefunden – und dauert bis in die Gegenwart an.

Dort, wo jetzt ein Parkplatz ist, der eines Tages in einen neuen Busbahnhof einbezogen werden soll, wird nicht mehr wie einst Bier gebraut, nicht mehr in ein Gasthaus eingekehrt und keine Wurst mehr verkauft. Alles das war einmal "alte Urbanität", ist aber aus und vorbei – und die Erinnerung verblasst, gibt es doch an dieser Stelle keine Info-Tafel oder einen QR-Code, der vergegenwärtigen würde, was hier über 200 Jahre alles war und wer hier einmal gelebt hat.

Am südlichen Ende des alten Marktfleckens stand an dieser Stelle "an der Landstraße nach Hornberg" schon am Ende des 18. Jahrhunderts ein Haus, in dem der Weber Joseph Langenbacher (1763 bis 1817) wohnte. Von 1811 bis 1828 gehörte es dem Zimmermann und Gassenwirt Joseph Bruker (1781 bis 1850).

1828 richtete Johann Baptist Pfundstein (1803 bis 1843) eine Bierbrauerei in dem Gebäude ein, hatte aber keinen Erfolg und setzte sich nach Ungarn ab. 1830 erwarb der benachbarte Schützenwirt Alois Jegglin (1776 bis 1837) die Bierbrauerei für seinen Sohn Alois (1804 bis 1855).

1839 schlossen sich einige Bürger mit dem Ziel zusammen, das Geschäft mit einer "Gesellschaftsbrauerei und Branntweinbrennerei" in noch größerem Maßstab zu betreiben. Im Marktflecken Schramberg gab es damals zwar bereits sechs kleine Brauereien, die aber hauptsächlich Weißbier und kein über den Sommer haltbares Braunbier herstellten, weil sie über keine geeigneten Lagerkeller verfügten. Das in dem Ort mit damals etwa 2800 Einwohnern stark nachgefragte Braunbier musste deshalb meistens von außen bezogen werden.

Zum Betrieb dieser "Gesellschaftsbrauerei" hatten sich der Verwaltungsaktuar Christian Friedrich Schöndorfer, der Färber Philipp Flaig (1798 bis 1853), der Schützenwirt Anton Jegglin, der Bierbrauer Alois Jegglin und der Rotgerber Jakob Jegglin (1805 bis 1871) zusammengeschlossen. Alois Jegglin, der die Bierbrauerei an das Konsortium verkaufte, trat ebenfalls in das Unternehmen ein.

Am Schlossberg kauften die Geschäftsleute ein Grundstück, um dort einen Bierkeller einzurichten und eine Sommerwirtschaft zu betreiben, deren erster Pächter der Gipsermeister Christoph Schweizer (1806 bis 1890) war. Das Gebäude ist bis heute nahezu unverändert erhalten geblieben (Burgweg 33). Für das Gasthaus in der Lauterbacher Straße 1 bürgerte sich der Name "Löwen" ein.

1853 übernahm der Bierbrauer Wilhelm Faist I (1830 bis 1881) den Betrieb, nach seinem Tod seine Ehefrau Agatha Faist (1832 bis 1893), bis sie ihn an ihren Sohn Wilhelm Faist II (1855 bis 1908) weitergeben konnte. Die Schriftstellerin Emma Haaser (1878 bis 1950) hat diesem alten Schramberger eine eindrückliche Erinnerung gewidmet: "Der Bierwilhelm, in dessen Wirtschaft die Handwerker des Fleckens und der anderen, nächstliegenden Straßen beim Schein der Petroleumlampen ihren Dämmerschoppen einzunehmen pflegten, steht breitbeinig auf der Staffel und seine Gattin, deren ›schlanke Linie‹ ziemlich ausgebogen ist, wischt sich die Schweißtropfen von der Stirne, murmelt etwas von der fürchterlichen Hitze und verzieht sich eilig dann auf die Ofenbank in der kühlen Wirtsstube." Der letzte Bierbrauer im "Löwen" war von 1906 bis 1919 Karl Schinle, aus dessen Ära ein paar schöne Biergläser und -flaschen die Zeitläufe überdauert haben.

Von 1919 bis 2003 hat die Metzgerfamilie Schmid über drei Generationen den "Löwen" betrieben. Metzgermeister Friedrich Schmid (1871 bis 1963) aus Freudenstadt hatte sich 1895 zunächst in Lauterbach niedergelassen und wechselte 1919 mit der Gelegenheit zum Kauf des "Löwens" nach Schramberg. Das Gasthaus führte seine Familie zunächst noch parallel, hatte es später aber nur noch einmal im Jahr geöffnet, um die Konzession zu erhalten.

1937 übergab der Firmengründer den Betrieb an seinen Sohn Fritz Schmid (1905 bis 1981), der seinen beruflichen Erfahrungsschatz 1949 unter dem Titel "Der Metzgerberuf. Ein Lehrbuch für junge Meister, Gesellen und Lehrlinge" veröffentlichte.

1971 folgte das dritte und letzte Familienmitglied Helmut Schmid, der die beliebte Metzgerei bis zu seinem 65. Lebensjahr im Jahr 2003 zusammen mit seiner Ehefrau Erika fortführte. Drei ihrer vier Söhne hatten zwar ebenfalls gemäß der Familientradition den Metzgerberuf gelernt, sich dann aber beruflich anders orientiert, da sich die Rahmenbedingungen für den Familienbetrieb immer mehr zum Schlechteren verändert hatten: Konkurrenz durch Supermärkte, Belastung durch EU-Vorschriften, Rückgang der Kundenzahlen durch Personalabbau in der Uhrenfabrik Gebrüder Junghans und Verlust der Innenstadtverbindung durch den Schlossbergtunnel.

Auf diese Art und Weise starb zu Beginn des 21. Jahrhunderts in Schramberg das traditionsreiche Metzgerhandwerk aus, ein wirklich historischer Strukturwandel, da es seit der Gründung des Marktfleckens im Jahr 1547 in Schramberg selbstverständlich immer mehrere Metzger gab – zuletzt gab im Jahr 2018 die Metzgerei Hermann auf.

Nach langem Leerstand verkaufte Familie Schmid 2015 ihr Gebäudeensemble an der Lauterbacher Straße an die Stadt Schramberg, die es schließlich 2018 im Rahmen des "Stadtumbaus 2030+" abreißen ließ, so dass hier nach mehr als 200 Jahren Bebauung mit bewegter Vergangenheit nun ein Parkplatz besteht, der auf die Zukunft wartet.