Symbolisch kommt der China-Besuch von Olaf Scholz zur Unzeit. Sachlich ist er richtig und angebracht, kommentiert Christian Gottschalk.
Kürzer als Olaf Scholz kann man China praktisch nicht besuchen. Der Trip des Kanzlers ist als Tagesausflug angelegt, ohne Übernachtung in Peking. Verglichen damit ist die Aufregung im Vorfeld der Reise beachtlich. Aus dem Außenamt gibt es gute Tipps für das richtige Verhalten, aus jeder Ecke melden sich politische Freunde und noch weniger Wohlmeinende zu Wort, um zu erklären, auf was der Kanzler aber ganz bestimmt zu achten habe. Die einen kritisieren, dass Scholz überhaupt in den Flieger steigt, die anderen mahnen ihn, dort wenigstens deutliche Worte zu hinterlassen. Auf der Mainstreamautobahn der öffentlichen Meinung ist mit diesem Besuch kein Blumentopf zu gewinnen.
Auch zu Trump wurde der Kontakt gewahrt
Nun muss man in der Tat die Frage stellen, wer im Kanzleramt für die Terminkoordination des Hausherren zuständig ist. Dass sich Xi Jinping vor wenigen Tagen entgegen aller Tradition zur Machtfigur von Dauer hat ausrufen lassen, das war seit Jahren bekannt. Dass Scholz daher nun der erste G-7-Chef sein wird, der dem neuen Dauerherrscher seine Referenz erweist, ist sicherlich ungeschickt. Symbolisch kommt der Besuch zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Sachlich ist er richtig und angebracht. China ist seit Jahren der wichtigste Handelspartner, das lässt sich nicht ignorieren. Auch dann nicht, wenn dort ein Staatschef regiert, mit dessen Ideen man nicht übereinstimmen kann und der gerade dabei ist, sein Land in eine Zukunft zu führen, die nicht nur für China mehr Gefahren denn Hoffnungsschimmer birgt. Auch als ein Donald Trump im Weißen Haus gesessen ist, sind die Kontakte unter den Staatsoberhäuptern schließlich nicht eingefroren worden.
Naive Vorstellungen von Politik
Wer auch immer nun vom Kanzler fordert, dieser möge in Peking mal so richtig mit der Faust auf den Tisch hauen, lautstark den Umgang mit Minderheiten in Xinjang, Tibet oder der Inneren Mongolei kritisieren, das Vorgehen Pekings in Hongkong brandmarken und damit drohen, dass es weitere Zusammenarbeit unter diesen Umständen nicht geben könne, der hat sich als eher naiver Zeitgenosse geoutet. Genau so wird man gar nichts erreichen. Was nicht bedeutet, dass all diese Themen nicht angesprochen werden dürfen. Sie müssen es sogar – stetig und beharrlich. Aber wenn überhaupt, dann wird der stete Tropfen den Stein höhlen, nicht der deutlich sichtbare Vulkanausbruch.
Größte Gewinner der Globalisierung
Eine beschleunigte Beharrlichkeit ist hingegen angebracht, wenn es um die Wirtschaftsbeziehungen der beiden Länder geht. China und Deutschland gehören wahrscheinlich zu den größten Gewinnern, die die Globalisierung in den vergangenen 40 Jahren hervorgebracht hat. Beide haben dementsprechend viel zu verlieren. Im Wettbewerb einer weitgehend freien gegen eine weitgehend staatlich gelenkte Wirtschaft haben die deutschen Unternehmer ihr Augenmerk oft zu sehr auf sich selbst gerichtet, während China das große Ganze im Blick hatte. Das wirkt in der Rückschau gelegentlich naiv. Nun gilt es, Fehler die gemacht worden sind, zu korrigieren – und nicht erneut in die gleichen Fallen zu tappen. Dabei ist die Politik gefordert – aber auch all die hoch bezahlten Firmenlenker, die den Kanzler bei seinem Trip begleiten.
Reise führt zu den Nachbarn
Der wird die Reisegruppe auch noch nach Vietnam und Singapur führen. Nicht nur, damit die CO2-Bilanz nicht ganz so verheerend ausfällt. Beide Länder kommen in den unterschiedlichsten Bereichen als alternative Standorte in Betracht, wenn es darum geht, die Abhängigkeit von China zu minimieren. Das zeigt dann gleich auch ein weiteres Dilemma: Vietnam und Singapur mögen nicht so im Fokus stehen wie China – freiheitliche Demokratien mit einem großen Faible für westliche Werte sind sie aber bei weitem ebenso wenig.