Vorderansicht von Haus K in Ettlingen (nahe Karlsruhe). Foto: © Stephan Baumann, Karlsruhe, w/Stephan Baumann

Auf der Halbhöhe Ettlingens steht ein radikal schlichtes Einfamilienhaus aus Leichtbeton. Der Architekt Martin Dürr hat auf knappem Raum einiges gewagt und am Ende eine Familie sowie die Jury eines renommierten Architekturpreises glücklich gemacht. Ein Hausbesuch.

Stuttgart - Berührungen sind wichtiger, als man denkt. Haptische Erlebnisse. Das Berühren von Dingen und Produkten löst Emotionen aus; gutes Design kann man also auch fühlen. Und nicht alles, was glatt scheint, ist wirklich glatt.

 

Oberflächen fühlen

So steht man also eines sonnigen Freitagnachmittags in einem stadtnahen Wohngebiet in Ettlingen vor der Tür eines hell scheinenden Einfamilienhauses – und klingelt erst mal nicht. Sondern streichelt die Betonfassade, dann die Garage, die mit Holz verkleidet ist, allerdings ganz ohne einen Farbanstrich oder Lasur auskommt.

Angekohltes Holz

Die Oberfläche schimmert schwarz oder violett, je nach Lichteinfall. Das Holz wurde karbonisiert, angekohlt, es ist ein aus Japan stammendes Verfahren zur Holzveredelung namens Yakisugi. Dabei handelt es sich um eine jahrhundertealte Methode, bei der Holz behutsam verkohlt wird. Danach sieht es wertiger aus und ist zudem beständiger. Die leicht poröse, sich weich anfühlende Hauswand und die angeraute, glänzende Holzoberfläche bilden einen eindrücklichen Gegensatz; Beton und Holz ergänzen sich wunderbar.

Freunde der Architektur

Schön, dass die Eigentümer von „Haus K“ auf der Halbhöhe Ettlingens lockere Zeitgenossen sind, die kein Problem damit haben, dass ein fremder Mensch am helllichten Tage ihr Zuhause befummelt. Anne und Caspar Käding begrüßen einen herzlich wie einen alten Bekannten. An neugierige Passanten sind sie gewöhnt, an begeisterte Architekturkenner, denen vor lauter Staunen der Mund offen bleibt. Sowie an jene, die mit dem monolithischen Bau so gar nichts anfangen können und ihre Sicht entsprechend kommentieren. „Die Urteile fallen oft sehr abwertend aus“, sagt Anne Käding.

Wohlgefühl und Wagnis

„Wir fühlen uns extrem wohl in dem Haus“, betonen die Bauherren, die diese kompromisslose Ästhetik von Anfang an so wollten. Und deswegen auch mit den Plänen des Architekten Martin Dürr, einem alten Schulfreund von Caspar Käding, keinerlei Schwierigkeiten hatten.

Schwierigkeiten gab es allerdings, als man mit dem Baurechtsamt und den Herausforderungen des Baumaterials zu kämpfen hatte, denn der Karlsruher Architekt entschied sich für Leichtbeton mit einer Wandstärke von 45 Zentimetern – ungewöhnlich wenig. Umhüllt wird das Gebäude mit unbehandelten einschaligen Außenwänden. Leichtbeton hat viele Vorteile: durch seine geringere Dichte, weniger Energieeinsatz bei der Fertigung wie auch durch einen geringeren Stoffeinsatz bei der Abmischung.

Tragend und dämmend

„Es ist ein moderner Baustoff, der gleichzeitig trägt und dämmt“, erläutert Martin Dürr, der ebenfalls beim Sprechen mit den Händen über eine Wand streicht. „Ein Baustoff, der schützende Fassade außen und fertige Oberfläche im Inneren ist – ohne eine einzige weitere Schicht.“ Und sein Freund Caspar Käding ergänzt, was ihm so sehr gefällt: „Es gibt keinen Putz, wir benötigen keine Farbe. Das Material gibt die Farbigkeit vor.“

Doch es fehlt noch an Erfahrungen mit dem Baustoff, weshalb die Entwicklung der Rezeptur länger gedauert hat als erwartet, schließlich darf die geringere Materialdichte nicht dazu führen, dass die Druckfestigkeit vernachlässigt wird. Bis die beauftragte Heidelberger Firma den richtigen Leichtbeton liefern konnte, wurden die Nerven der Bauherren auf eine harte Geduldsprobe gestellt.

Spannende Raumkonzeption

Das Warten hat sich gelohnt, das Ergebnis bei der visuellen Anmutung ist nahezu perfekt. Fugen, Spalten, Übergänge: Alles wirkt wie aus einem Guss. Die Dramaturgie der Raumkonzeption ist spannend aus jedem Blickwinkel. Besonders gelungen: Die drei Geschosse werden durch eine lange, einläufige Treppe verbunden, die mit einem großzügigen Licht- und Luftraum korrespondiert. Alles ist hell, transparent, auch dank der großen Fenster zur Rückseite hin. Und doch gibt es im Inneren Rückzugsräume, Zonen der Geborgenheit. Das Wohnen verteilt sich auf drei Ebenen, die oberste davon ist dem Kochen und Essen gewidmet, mit herrlichem Blick über Ettlingen hinüber bis zu den Vogesen.

Ein Kind als Bedingung

Diese Aussicht ist schön, war aber eine weitere Herausforderung, denn man musste erst einmal das Potenzial erkennen, das an diesem Ort verborgen ist: einem abschüssigen, nicht allzu großen Grundstück, das seit Jahrzehnten in dieser 60er-Jahre-Siedlung unbebaut geblieben war. Mit viel Engagement, der Klinkenputzerei bei Maklern und dem entsprechenden Glück der Tüchtigen konnten die Kädings letztlich das Grundstück vom Eigentümer erwerben, dessen Bedingung nur eine war: Die künftigen Bewohner sollten Eltern sein. Da traf es sich gut, dass das erste Kind der Kädings schon da war.

Viel Vintage und Minimalismus

Das Paar, beide Zahnärzte, ist architektonisch beschlagen. Dazu kommt, dass sich die zwei auch bei der reduzierten Inneneinrichtung wunderbar ergänzen: viel Vintage, die Leuchten eines dänischen Klassikers, dazu im Bad ein Röhrenradio als Erbstück der Familie. Nur wenige Möbel. Der Rest ist: Raum. Viel Raum. Das passt. Und deswegen ist die Freude groß, dass ihr und Martin Dürrs Projekt, diese anspruchsvolle Nachverdichtung in einem gewachsenen Viertel und der Mut zum Experiment mit Leichtbeton nun mit dem renommierten Hugo-Häring-Preis 2020 ausgezeichnet worden ist.

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