Foto: Kunert

Waldarbeiter im Landkreis Calw Teil eines Forschungsprojekts zur Sturz-Prävention.

Schömberg - In kaum einem anderen Berufsfeld passieren so viele Arbeitsunfälle wie im Forst. Grund genug für den Landkreis Calw, die Mitarbeiter in der eigenen Forstverwaltung mit einem Pilotprojekt für die Gefahren zu sensibilisieren. Und durch spezielle Trainings zu schützen.

7 Uhr morgens bei der Forsthütte am Bühlhof in Schömberg: Knapp über ein Dutzend gestandene Mannsbilder balancieren auf einem Bein, springen gemeinsam in die Höhe, "tanzen" wie beim Zumba auf einem "Aero Stepper" genannten Kissen. Aber nur einer der "Tänzer" trägt Turnschuhe und Trainingsanzug – die meisten anderen schwere Sicherheitsstiefel und Holzfällermontur – ihr Arbeitsoutfit als Waldarbeiter im Auftrag des Landkreises Calw.

Aber auch die "Chefs" der Calwer Forstverwaltung sind heute dabei: Bernhard Harnisch, Abteilungsleiter Waldwirtschaft, dessen Büroleiter Uwe Göbel und Andreas Karcher, Revierleiter im Bühlhof; und "Fachkraft Arbeitssicherheit" für die Kreise Calw und Freudenstadt.

Das "Sagen" hat aber an diesem Morgen der Mann im Trainingsanzug: Camillo Manna. Der Fitness-Coach aus Pforzheim arbeitet für das Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) der Universität Konstanz.

Die wiederum hat mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) das Fitness-Programm "FORSTaktiv mobil" entwickelt – ein Pilotprojekt zur Arbeitssicherheit für Waldarbeiter, speziell zu deren Sturz- und Stolperprävention. Denn, so Uwe Göbel vom Landratsamt, Auswertungen über die vergangenen Jahre hätten ergeben, dass vor allem eben dieses "Stolpern und Stürzen" im Wald die häufigsten Unfallursachen sind – und damit die meisten Kranken- und Fehltage für die Forstverwaltung verursachen.

Insgesamt gibt es 50 000 Hektar Wald im Kreis Calw. 60 Forstwirte bewirtschaften diesen zur Hälfte als Staatswald geführten Waldbestand. Wobei der Landkreis auch im Auftrag der Kommunen deren Waldarbeiter mit verwaltet.

"Früher war in Baden-Württemberg jeder dritte Waldarbeiter in einem Jahr in einen Unfall verwickelt", berichtet Andreas Karcher. Seit man sich aktiv um die Unfallprävention im Wald kümmert, was ungefähr seit den 1980er-Jahren der Fall sei, konnte der Wert bereits entscheidend verbessert werden: "Heute ist jeder siebente, achte im Jahr betroffen."

Andere Bundesländer haben mehr erreicht

Klingt nach einem Fortschritt. Ist es aber aus Forstsicht nur bedingt, denn: "Früher war trotz der hohen Zahlen Baden-Württemberg Spitze in der Unfallprävention." Heute ist das Land trotz der erreichten Verbesserungen im Bundesschnitt nur noch Schlusslicht. Was heißt: "Die anderen Bundesländer haben in diesem Bereich mehr erreicht als wir." Es gibt also noch reichlich "Luft nach oben" im Arbeitsschutz.

Genau deshalb jetzt das auch als Forschungsprogramm aufgesetzte "FORSTaktiv mobil". Ein Pilotprojekt, mit dem der Kreis Calw landesweit eine Vorreiterrolle einnehmen will.

Zum dauerhaften Mitmachen bewegen

Die größte Herausforderung dabei: "Die Kollegen wirklich zum dauerhaften aktiven Mitmachen zu motivieren", so Karcher. Bereits in der Vergangenheit wurden solche Trainingsmaßnahmen für die Waldmitarbeiter angeboten – bisher ausschließlich auf freiwilliger Basis. Und zusätzlich zur Dienstzeit.

Bei "FORSTaktiv mobil" gilt Anwesenheits- und Mitmachpflicht, wobei das Training aber raus zu den Mitarbeitern in den Wald kommt.

Das ist neu an diesem Projekt. Wobei, wenn man nachfragt, den Kollegen der Sinn des gemeinsamen "Turnen im Wald" absolut bewusst ist: "Man merkt schon, dass durch die speziellen Übungen bestimmte Muskelpartien trainiert werden, von denen man vorher nichts wusste", schmunzelt etwa Markus – ein bärtiger Hüne, der nachher in Agenbach zur Holzernte ran muss.

Und Kollege Michael, der später mit seinen Trupp bei Höfen eingesetzt werden wird, ergänzt: "Der Gleichgewichtssinn wird spürbar sicherer." Wobei beiden aber auch klar ist: "Trotzdem werden sich die Unfälle in unserem Job nie ganz vermeiden lassen. Das gehört einfach dazu."

Was so leicht dahin gesagt ist, bedeutet aber oft eben auch krasse Schicksalsschläge, wie nicht nur Arbeitsschützer Karcher weiß. "Es passieren leider immer wieder auch tödliche Unfälle." Wie zuletzt vor drei Jahren im Kreis Freudenstadt. In einem anderen Fall dort traf ein umstürzender, sogenannter Totbaum einen Waldarbeiter – und verletzte ihn so schwer, dass er heute querschnittsgelähmt ist. Der Super-Gau im Wald.

"Das betrifft dann immer auch die gesamte Gruppe, die gemeinsam im Wald arbeitet." Ein Trauma für alle im Team. "Deswegen ist es so wichtig, präventiv tätig zu werden." Abgesehen davon, dass es der Gesetzgeber von jedem Dienstherrn im Rahmen von dessen Aufsichtspflicht für seine Mitarbeiter verlangt.

Aber sinkende Unfallzahlen seien auch ein Wettbewerbsvorteil der staatlichen Forstwirtschaftsbetriebe gegenüber privaten Anbietern, bei denen die Unfallzahlen aktuell "noch sehr viel höher" seien. Denn weniger Unfallzahlen gleich weniger Fehlzeiten gleich weniger Kosten für die Verwaltung. "Arbeitssicherheit macht eben auch aus ökonomischer Sicht Sinn."

Und was man beobachte: "Für die jungen, neuen Mitarbeiter im Wald ist diese Selbstoptimierung mit diesem neuen Trainingsprogramm eine völlig selbstverständliche Sache."

Wie das Aufwärmtraining beim Sport – wo man sich ja auch nie "kalt" an die Arbeit mache. "Die beginnen von sich aus die tägliche Routine mit solchem Training." Und – das kann man auch an diesem Morgen bei der Forsthütte am Bühlhof beobachten – reißen so auch die älteren Kollegen beim Mitmachen mit.