Religion: Politiker fordert Christen dazu auf, für eine werteorientierte Weltordnung auf die Straße zu gehen
Mit so einem Besucherandrang hatte man nicht ge-rechnet. Das Touristik- und Kurteam musste deshalb schnell nachbestuhlen. Mehr als 250 Gäste wollten den ehemaligen Bundesminister und Ex-CDU-Generalsekretär Heiner Geißler erleben.
Schömberg. Aber auch das Thema selbst rund um die Frage "Was müsste Martin Luther heute sagen?" ist gerade im 500-jährigen Reformationsjubiläum nicht ohne Brisanz. "Luther war radikal im Denken, aber kein Brandstifter", sah Reinhard Kafka, Geschäftsführer der evangelischen Erwachsenenbildung nördlicher Schwarzwald, in seiner Begrüßung Parallelen zu Heiner Geißler. Dieser begann seine eigenen Thesen zur Wiederbelebung des kirchlichen Reformationswillens mit eigenen biografischen Erfahrungen. Schon im Kindesalter kam er demzufolge im familiären Kreis mit dem von Luther angeprangerten Ablasshandel in Berührung. Geldgier und Macht passe auch heute nicht zu Glauben und Religion, unterstrich Geißler Luthers Thesen. Sünden könnten nicht mit Geld aufgewogen werden. Vielmehr erfolge ihre Vergebung ausschließlich über die Gnade Gottes. Auch dass das unbedingt erforderliche enge Zusammenwirken von katholischen und protestantischen Christen heute ohne Probleme gelingen kann, hat er an eigenem Leib in Wahlkampfzeiten erlebt. "Es muss ein Ende haben mit der Polarisierung in katholischen und evangelischen Religionsgemeinschafen", fordert Geißler und verweist auf die mittlerweile parteiübergreifende politische Zusammenarbeit aller Christen.
Vehement fordert Geißler eine Weiterentwicklung des Frauenbildes der Kirchen. Die heute noch immer hörbare Unterordnung der Frau als Schöpfung aus der Rippe des Mannes und als Versuchung des Mannes beim Sündenfall sei genauso untragbar geworden wie die hierarchische Ansage von Paulus "Christus ist das Haupt des Mannes und der Mann ist das Haupt der Frau". Frauen seien ebenso wie die Männer Geschöpfe Gottes, plädiert Geißler. Jesus habe ihnen beigestanden, und auch Martin Luther habe sich nachdrücklich für eine Gleichstellung eingesetzt.
Mächtige Akteure des Kapitalismus regieren
Mit dem Buchdruck und der Entdeckung Amerikas hat Luther in einer Welt des Umbruches gelebt. Heute aber, im Zeichen einer umfassenden Globalisierung, werde die Welt von mächtigen Akteuren des Kapitalismus, von "Gier, Geiz und Geld" regiert, bilanziert Geißler die gegenwärtige Situation. Hiergegen müssten sich die weltweit mehr als 2,5 Milliarden Katholiken und Protestanten einträchtig und gemeinsam zur Wehr setzen. Überall müssten Christen auf die Straße gehen und für eine neue werteorientierte Welt-ordnung demonstrieren. "Das würde Luther heute sagen", schloss Geißler seine Forderung nach Mut zu neuen reformatorischen Kräften in der Kirche.
Geißler trug sich auch in das Goldene Buch der Gemeinde Schömberg ein.