"Echtermeyer" beschenkt sich mit Neuauflage / Deutschlinge und Co.

Von Hans-Peter Schreijäg Oberndorf. Kleinlaut ist bloß das erste Wort. "Neulich", beginnt das Gedicht von Friedrich Rückert, "deutschten auf Deutsch vier deutsche Deutschlinge deutschend, sich überdeutschend am Deutsch, welcher der Deutscheste sei". 1819 hat Rückert diese Zeilen geschrieben. Sie haben an Aktualität nicht eingebüßt. Folglich finden sie unbestritten Platz auf Seite 383 im "Echtermeyer". Bald 175 Jahre, ein gutes Alter, hat diese Gedicht-Sammlung erreicht. Sie hat in lyrischen Zirkeln Kult-Status und wird von der Wissenschaft als maßgebend geschätzt. Nun ist im Jubiläumsjahr die 20. Ausgabe dieser kanonischen, gleichwohl subjektiven Auswahl deutschsprachiger Gedichte erschienen. 850 Gedichte aus 12 Jahrhunderten von A wie Achim von Arnim bis Z wie Ulrich Zieger, vom "Ersten Merseburger Zauberspruch" (ca. 10. Jahrhundert) bis "Aporetisch wie nix" aus 2007 von Ann Cotten, von Minne und Liebe bis Kunst und Kultur. "nützlich sind die enzykliken zum feueranzünden", heißt es bei Hans Magnus Enzensberger: "lies keine oden, mein sohn, lies fahrpläne: sie sind genauer". Der "Echtermeyer" freilich straft den Schriftsteller aus Schwabing der Zeitgeistigkeit. Lies Gedichte! lautet vielmehr das unausgesprochene Bekenntnis der Anthologie. Um es mit Friedrich von Logau zu sagen: "Kann die deutsche Sprache schnauben, schnarchen, poltern, donnern, krachen, Kann sie doch auch spielen, scherzen, liebeln, gütteln, kürmeln, lachen". Es könnte das Geleitwort für den unwiderstehlichen Lyrikwälzer sein. Nachzuprüfen allesamt eben im "Echtermeyer". 1836 ist die erste Ausgabe dieser Gedichtsammlung in den Franckeschen Stiftungen in Halle an der Saale veröffentlicht worden. "Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne", schreibt Hermann Hesse. Der Zauber dieses Lehrbuches ist im Sinne von Herausgeber Theodor Echtermeyer bis heute nicht verflogen. Beispiel gefällig? Dem neuen Band sind ? fein dosiert ? Faksimiles von Dichterhandschriften beigefügt. Das kann Schmuckwerk, aber auch überraschend aufschlussreich sein. Bertolt Brecht, so ist aus den Korrekturen im Typoskript zu erkennen, begann seine berühmte "Kinderhymne" zunächst mit der fabrikhalligen Zeile "Arbeit sparet nicht noch mühe". Die Arbeit ersetzt er dann durch "Anmut". Und aus dem stumpfen "auf dass Deutschland blühe" wird ein optimistisches "Daß ein gutes Deutschland blühe". Und schon wirken die blässlichen Reime unsterblich. Ob man die 850 Gedichte gelesen haben muss? Besser wäre es schon. Gewiss gilt dies für jenes auf Seite 383. "Ich bin deutscher als deutsch. Ich deutscherer. Deutschester bin ich", prahlen Rückerts Deutschlinge. "Bis sie", endet der Dichter, "vor komparatavistisch- und superlativistischer Deutschung den Positiv von Deutsch hatten vergessen zuletzt". Das wird man ja mal sagen dürfen. DAS BUCH: "Echtermeyer Deutsche Gedichte", Herausgeber: Elisabeth K. Paefgen, Peter Geist, Cornelsen Verlag Berlin, 942 Seiten, 19.95 Euro