Adieu, „Stattkultur“. Es war schön mit Euch bis zum letzten Moment! Foto: Bodo Schnekenburger

Am Donnerstagabend bringen die Schmotzigengruppen das Publikum in den Rottweiler Lokalitäten auf den aktuellen Stand in Sachen Stadtleben und Problemlösung: Schonungslose Bestandsaufnahme und kreative Visionen begeistern die Gäste.

Was lange währt – kann auch schon lange gut gewesen sein. Zum Beispiel die scharfen Pointen der „Stattkultur“, die verlässlich nicht nur hart am Puls der Rottweiler Zeit navigieren, sondern genussvoll, mit aufklärerischem Ansatz und sehr gerne auch international den Finger in manche Wunde legen. Seit Donnerstag muss es heißen: „legten“. Leider. Denn zwar gönnt man auch der aktuellen Besetzung Schmotzigen-Ruhestand oder neue Erfahrungen, ganz nach Gusto, wird die Auftritte der „Stattkultur“ künftig aber vermissen. Um so mehr, als es vor der letzten „Klappe“ noch einmal ein halbes Dutzend Szenen aus 30 Jahren Schmotziger mit „Stattkultur“ gab. Also: Danke für alles, macht’s gut. Wir sehen uns!

 

Verkehrsthemen sind Dauerbrenner

Und damit zurück in die Zukunft. Eine Erkenntnis aus der Retrospektive ist: Manches Thema schafft es, über Jahrzehnte aktuell zu bleiben. Da braucht es noch nicht einmal einen Verkehrsversuch. Nein. „Haltet hoch die Tradition“ wird in Rottweil wohl sehr gerne gelebt. Verkehrsthemen? Schon immer aktuell!

Und so muss man schon schauen, wie man dem alten Hut eine neue Facette abgewinnen kann. Der Verkehrsversuch ist da eine Steilvorlage. Fast alle Schmotzigengruppen surften am Donnerstag auf diesem Brett. Und das ist so groß, dass auch Anfänger problemlos damit umgehen können, ohne baden zu gehen.

In guter alter Tradition haben die Narren allerdings nicht nur den Zeigefinger erhoben und herzlich gelacht, sondern nutzen die Erkenntnisse für Visionen eines lebenswerten Rottweil. Wo Otto Wolf höchstpersönlich navigiert. Wo Barbie auf der kurzen Fahrt von A nach B genügend Muße hat, aus dem rosa Cabrio den ganzen süßen Kens zuzuwinken. Wo Entschleunigung Programm und bei der Orientierung an den bunten Streifen auf den Verkehrsflächen Denksport plötzlich zur Meditation wird. Welch andere alte Stadt kann solche Modernität für sich in Anspruch nehmen?

Meditation im Rathaus?

Ach ja, Denksport und Meditation ist auch so ein Ding, wenn es um die Geschicke der Stadt geht. Im Rathaus liegen beide wohl ähnlich eng beieinander wie auf der Straße. Ist eine Aufgabe zu groß, anstrengend, überwältigend: Einfach liegen lassen. Es wird sich erledigen. Oder durch eine neue Aufgabe ersetzt werden. Ruhe bewahren. Innere Mitte finden. Loslassen. Ruhe. Ruhe. Ruhe.

Das OB-Selfie folgt sogleich

Dabei gibt es im Rathaus einen, der ganz auf Außenwirkung setzt. Den Schmotzigengruppen ist aufgefallen, dass dem OB mancher Ruf voraus eilt, dass er aber spätestens gleich mit einem Bild auf einem der gängigen Netzwerke präsent ist. So schnell kann ein Ruf gar nicht eilen, als dass er vor dem OB-Selfie da sein könnte. Wie das mit der Ruhe im Haus einher geht, bleibt ein Rätsel.

Kampf den Wadelkappen

Und ein solches muss dasselbe Phänomen auch im parallelen Haupt- und Ordnungsamt in der Hauptstraße 1 bleiben. Dass sich bei der Narrenzunft, die dort residiert, nicht viel tut, ist irgendwie allen klar. Doch gleichzeitig regiert mitnichten der Stillstand. Die Ruhe dort ist im Zweifelfall die vor dem Sturm, denn die Wadelkappen denken unablässig immer neue Maßnahmenkaskaden zusammen, mit denen sie, so scheint es, den Narren auf die Nerven gehen wollen. Dagegen wird am Donnerstagabend bereits zur Revolution aufgerufen. Missachtung der obrigkeitlichen Anordnungen! Kampf den Wadelkappen. Gut, streiken wäre auch blöd, da man ja exakt das Gegenteil erreichen will.

Ganz viele möchten übrigens ’was ganz Einfaches erreichen: einfache, gutbürgerliche Küche in der Art von Spätzle-Schnitzel-Pommes-Soß’-Paradies. Es darf auch mal ein Braten sein, vegetarische Kässpätzle oder vegane Linsensuppe. Alles, nur eben nicht nur alle Köstlichkeiten aus Urlaubsparadiesen, die es in Rottweil inzwischen zuhauf gibt. Aber, auch das lehren uns die Memoiren der „Stattkultur“, ist ein Thema mit großer Tradition.

Alles ein bisschen aufgeräumter

Ach so, traditionell gut besucht waren die Lokale am Schmotzigenabend – und ein bisschen Bruch gab es mit einer unschönen Tradition: Dieses Jahr wirkte in der Stadt alles ein bisschen aufgeräumter, ruhiger, eher glückselig als dicht bis an die Haarwurzel. Sowas gab’s zwar auch, aber eben weniger als zuletzt. Dafür gab es viel, viel Musik – und damit ist wieder Traditionspflege angesagt. Bunt, laut, fein, aufrüttelnd, auffordernd, unterhaltend – ins Ohr und ans Herz.